# taz.de -- Ukrainische Sängerin Mariana Sadovska: Singen gegen die Angst | |
> Zwischen Avantgarde und Folkmusik: Die ukrainische Sängerin Mariana | |
> Sadovska geht bei ihrer Suche nach dem Ursprung ukrainischer Musik eigene | |
> Wege. | |
Bild: Mariana Sadovska bei einem Konzert in Leipzig | |
Es beginnt mit zarten Geigenklängen, fast zeitlupenartigen Schlägen auf die | |
Snaredrum und einem langsamen Arpeggio mit der akustischen Gitarre. In | |
bedächtigem Tempo leiten Sängerin Mariana Sadovska und Schlagzeuger Max | |
Andrzejewski das Stück „Meine Rose (Mittsommernacht)“ ein – es ist ein | |
rituelles altes Lied über das Leben auf dem Dorf, in der Natur. | |
Irgendwann schwingt sich die todtraurig klingende Stimme Sadovskas immer | |
mehr auf, nach einem ruhigen Spannungsmoment kommt ein Chor hinzu. | |
Die Intonation wird zackiger, es kommt Schwung in das Stück, ehe | |
Streichinstrument und Schlagzeug fast freejazzig das Finale einläuten. | |
Dieses schwermütige Lied mit all seinem Pathos ist eines der ergreifendsten | |
Stücke auf dem neuen Album [1][der ukrainischen Musikerin und Komponistin | |
Mariana Sadovska]. „Songs of Wounding“ heißt das Werk, darauf hat Sadovska | |
mit dem Berliner (Jazz-)Musiker Andrzejewski und dem Gesangstrio Kurbasy | |
aus Lviv ukrainische Volkslieder neu eingespielt – mit Elementen aus | |
Avantgarde und Neuer Musik. | |
## Die Dörfer bereist | |
Sadovska, die ebenfalls aus Lviv stammt und dort Klavier studierte, ist | |
seit vielen Jahren [2][eine der bekanntesten Folk-/Global-Pop-Musikerinnen | |
aus der Ukraine]. Seit mehr als 20 Jahren lebt sie in Köln. Für | |
traditionelle ukrainische Songs und Gesänge der Vergangenheit hat sie sich | |
schon früh interessiert. Seit sie 18 ist, hat sie die Dörfer ihres | |
Heimatlands bereist, um nach ihnen zu forschen und Feldaufnahmen zu machen. | |
Sie debütierte 2001 mit dem Album „Songs I learned in Ukraine“, auf dem | |
tiefmelancholische Klavier- und Akkordeonstücke versammelt sind. | |
Die musikalische Ausgrabungsarbeit ist ihr ein politisches Anliegen – | |
Russland hat [3][das eigenständige Lied- und Kulturgut der Ukraine vor und | |
nach der Sowjetzeit] immer zu unterdrücken versucht. In einem Interview | |
sagte Sadovska einmal: „Es geht um unsere tragische Geschichte, in der die | |
Ukraine einen Nachbarn hat, der seit Jahren versucht, unsere Kultur zu | |
vernichten.“ | |
Mit ihrer Musik kämpft sie gegen diesen Vernichtungswillen an, nach dem 24. | |
Februar 2022 hat sie sich auch mal als Teil eines „musikalischen | |
Bataillons“ bezeichnet. Sie hilft den ukrainischen Streitkräften aber auch | |
ganz konkret und praktisch, indem sie Spenden für Militärausrüstung sammelt | |
(auf ihrer Website findet sich das Spendenkonto). | |
## Klagelieder gegen den russischen Angriff | |
Das Projekt „Songs of Wounding“ begann aber bereits vor Beginn des | |
russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Sadovska und Andrzejewski haben | |
die Stücke 2021 im Rahmen der Konzertreihe „Outernational“ in Berlin | |
erstmals neu interpretiert. Die Musik wurde dann zum Großteil bei den | |
Leipziger Jazztagen 2023 aufgenommen. Viele Songs erinnern an Klagelieder, | |
etwa „Nachtigall“ und „Der Wind weht aus den Bergen“, bei denen der Ges… | |
im Vordergrund steht. | |
Mit Klageliedern und ihren verschiedenen Funktionen hat sich Sadovska auch | |
ethnografisch auseinandergesetzt. Sie erklärt auf [4][der Projektwebsite] | |
etwa, dass diese Lieder nicht nur dazu da seien, den Schmerz | |
herauszulassen, sondern in der griechischen Tradition auch, um das Böse von | |
sich fernzuhalten. | |
Singen gegen die Angst. Neben den melancholischen Songs finden sich auf dem | |
Album auch dynamischere Stücke in hohem Tempo wie etwa „Felsen“, das vom | |
Verlust der Jugend handelt. Den Refrain trägt Sadovska mit viel Verve und | |
voller Stimme vor, im Verlauf des Songs geht sie zum Flehen, fast zum | |
Schreien über. Zum Abschluss hört man frei improvisierte Sounds des | |
Schlagzeugs und der Streicher. | |
## Die Singtradition der Wagenhändler | |
Aus welchen Kontexten die Songs stammen, verraten manchmal schon die Titel. | |
Das getragene „Chumaky“ spielt etwa auf „Chumaks“ an, so hießen | |
Wagenhändler in der Ukraine im Mittelalter. Wagenhändler sollen auf meist | |
nächtlichen Reisen in der Ukraine einst eine eigene Singtradition begründet | |
haben. An einem Stück ist – Überraschung – die Berliner Noise-Musikerin | |
Marta Zapparoli beteiligt, die für krachige Tape-Loops und elektronische | |
Experimente bekannt ist. „Marta“ ist entsprechend ein kleiner Ausreißer auf | |
dem Album, plötzlich sind da dronig-doomige Töne zu vernehmen. | |
Besonders an dem Album ist insgesamt die Verbindung aus traditionellem | |
Volkslied und Avantgarde/Freier Musik. So entstehen Brüche innerhalb der | |
Songs, etwa wenn hymnische und harmonische Passagen übergehen in | |
chaotisch-nervöse Töne der Rhythmussektion. Damit gelingen Sadovska und | |
ihren Mitmusiker:innen überraschende Interpretationen. | |
Ursprünglichkeit und Tiefe gehen den Songs keineswegs verloren – ganz im | |
Gegenteil, sie gewinnen durch diese Neubearbeitungen. | |
3 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Konzert-von-Mariana-Sadovska/!5942411 | |
[2] /Fusion-von-Jazz-und-Volkslied/!5911739 | |
[3] /Vortrag-ueber-ukrainische-Kultur/!5978579 | |
[4] http://marianasadovska.com/de/ | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Neues Album | |
Folk Music | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ukraine-Konflikt | |
elektronische Musik | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Experimentalmusik aus der Ukraine: Im Untergrund der bröckelnden UdSSR | |
Die Label Shukai und Muscut betreiben eine Archäologie des Sounds aus der | |
Ukraine und finden die wunderbare Musik der 1980er und 90er. | |
Konzert von Mariana Sadovska: Musik beeinflusst das Schicksal | |
Die Ukrainerin Mariana Sadovska gastiert beim Festival „Performing Exiles“ | |
im Haus der Berliner Festspiele. Ihre Stimme klingt variantenreich. | |
Musik für die Ukraine: Die Stille der Steppe hören | |
Die ukrainische Technoproduzentin Kateryna Zavoloka lebt in Berlin. Mit | |
einem Label setzt sie sich für Empathie mit ihrer geschundenen Heimat ein. | |
Ukrainische Band spielt in Berlin: Hohe schwarze Mützen | |
Die Band Dakhabrakha bringt im Berliner Tempodrom Folkmusik mit | |
tribalistischer Percussion zusammen. Sie treibt Spenden für humanitäre | |
Hilfe ein. |