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# taz.de -- Fusion von Jazz und Volkslied: Reise durch das Land
> Die Ukrainisch-Deutsche Jazzsängerin Ganna Gryniva verbindet alte Lieder
> mit Jazz. Jetzt geht sie mit ihrem neuen Album „Home“ auf Tour.
Bild: Tradition in Liedern und Kleidung hat für Ganna Gryniva neue Bedeutung
„Der Frühling ist gekommen mit grünen Zweigen.“ So beginnt ein altes
ukrainisches Volkslied, das heute noch von den Bewohner:innen des
Dorfes Lysets in der Westukraine gesungen wird. Im letzten Frühling war
dieses kraftvolle Lied für Ganna Gryniva ein Weg, um nach dem Schock über
den russischen Überfall auf die Ukraine ihren Lebensmut wiederzufinden.
Auf Grundlage des tradierten Liedes arrangiert die deutsch-ukrainische
Jazzmusikerin „Vesna“ (deutsch: Frühling): Ein rund vierminütiges Stück
Jazz, das dem Ursprungslied seine Eigenständigkeit lässt und es
gleichzeitig auflädt mit neuer Energie. Gryniva ist stimmlich auf einer
Hochebene, ihre musikalischen Begleiter Schlagzeug, Saxofon und Klavier
sind erst mal unten im Tal.
Dann aber löst sie sich von der traditionellen Melodie, schraubt ihre
Stimme immer wieder hoch – wie eine Spirale – und kommt so im Jazzsound an.
Gleichzeitig behält sie das Vibrierende des traditionellen ukrainischen
Gesangs bei. Nun vereinen sich auch die Melodiestränge von Gesang und
Instrumenten. Eine Einheit, die sich gegenseitig antreibt.
Auf einem Videoclip, den Ganna Gryniva auf Youtube gestellt hat, sieht man
ältere Frauen und Männer, die vor ukrainischen Holzhäusern stehen und
singen. Zusammen mit der Staatlichen Musikakademie Lviv hat sich Gryniva
auf die Suche nach mündlich überlieferten Liedern gemacht und die ganze
Ukraine bereist.
## Ein vielschichtiges Hörerlebnis
Zu hören ist eine Auslese dieser Fundstücke auf ihrem aktuellen Album
[1][„Home“]. Die 33-Jährige verbindet die alten Melodien mit sensiblem
Jazz-Sound und singt konsequent auf Ukrainisch. Es ist eine slawische
Sprache, die viele Überschneidungen mit dem Polnischen und Russischen hat,
sich klanglich aber doch wesentlich von beiden unterscheidet. Faszinierend
ist, wie organisch sich hier der Klang des Ukrainischen mit dem Sound von
Jazz verbindet. Heraus kommt ein extrem vielschichtiges Hörerlebnis.
Gryniva studierte an der Musikhochschule Franz Liszt in Weimar Jazzgesang.
Ihre Kindheit hat sie in der Ukraine verbracht, seit Jugendtagen lebt sie
bereits in Deutschland. Sie arbeitet mit unterschiedlichen
Musiker:innen zusammen, aber ihre Hausband ist GANNA, mit der sie seit
2015 tourt und auch ihr neues Album produziert hat. Mit dem französischen
Saxofonisten Musina Ebobissé, dem schwedischen Pianisten Povel Widestrand,
dem österreichischen Schlagzeuger Mathias Ruppnig und dem aus Bayern
stammenden Bassisten Tom Berkmann ist es ein internationales Ensemble, das
seinen Schwerpunkt in Berlin hat.
Am 23. März 2022, einen Monat nach Beginn des russischen Angriffskrieges
auf die Ukraine, trat Ganna Gryniva zusammen mit der ukrainischen Sängerin
[2][Mariana Sadovska] in der Berliner Akademie der Künste anlässlich des
Solidaritätskonzerts „Songs of Wounding“ auf, um Spenden für die
Ukraine-Hilfe Berlin zu sammeln. Deren Kontaktdaten findet man auch auf der
Webseite der Sängerin.
Anfang April 2022 traf sich die Berliner Jazzszene im Konzertsaal der
Universität der Künste. Ein Reigen von 70 Künstler:innen gab sich das
Mikrofon in die Hand beim „Peace on Earth“-Konzert, um so Spenden für die
Ukraine zu generieren. Ganna Gryniva war mit dem neuen Arrangement eines
ukrainischen Volksliedes mit dabei, „weil ich mich als Teil der deutschen
Szene verstehe und weil ich es unglaublich wichtig finde, dass die
ukrainische Kultur mehr Sichtbarkeit im deutschen Kulturraum und auch in
der hiesigen Jazz-Szene bekommt“.
## Covern eines Marsches
Auf dem Album „Home“ covert sie auch ein Lied, das von den
Ukrainer:innen seit 150 Jahren als nationales Liedgut gepflegt wird:
Czerwona Kalina (deutsch: rote Viburnum-Beere). Ein patriotischer Marsch,
der seit Kriegsbeginn von vielen Künstler:innen gecovert wird. Dessen
Text beginnt mit der Feststellung, dass die Ukraine in Not ist, aber dass
sie mit Hilfe der Roten Kalina (ein nationales Symbol seit Jahrhunderten)
wieder auf die Beine kommt. „Mach dir keine Sorgen“, heißt es in der
zweiten Strophe, „ruhmreiche Ukraine, du hast ein freies Volk“. Das Lied
hatte schon immer Sprengkraft, zu Zeiten der UdSSR war es bis 1991 verboten
und ist es jetzt erneut – auf der Krim.
Gryniva lässt sich in ihrer Fassung von einem Schlagzeug begleiten. Dessen
Sound erinnert von Ferne an eine Marschtrommel. Gryniva aktualisiert den
Text und singt von Freiwilligen, die die Stellung halten.
2 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.berthold-records.de/releases/home/
[2] /Ukrainische-Saengerin-Mariana-Sadovska/!5843062
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Musik
Jazz
Folk
Ukraine
wochentaz
Belarus
elektronische Musik
Theater
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