| # taz.de -- Buch über Pianistin Jutta Hipp: Wagnisse im Jazzkeller | |
| > Die deutsche Jazzerin Jutta Hipp ging nach New York, war eine Sensation | |
| > und wurde vergessen. Eine Biografie erinnert an sie. | |
| Bild: Zunächst hatte Jutta Hipp Erfolg in New York, dann scheiterte sie am mac… | |
| Dies ist ein Stoff, aus dem Legenden entstehen. Eine junge Frau, die | |
| [1][Pianistin Jutta Hipp], eroberte Anfang der fünfziger Jahre binnen | |
| kurzer Zeit die westdeutsche Jazzszene. Die 1925 Geborene war damals weit | |
| und breit die einzige Künstlerin in der bier- und nikotingetränkten | |
| Männerdomäne Jazz. | |
| Als der einflussreiche US-Impresario Leonard Feather bei einem Besuch die | |
| attraktive Rothaarige im Januar 1954 im Duisburger Jazzkeller „Bohème“ die | |
| Tasten bearbeiten sah, überredete er sie, in die USA zu kommen: Jutta Hipp | |
| siedelte nach New York um, nahm Musik für das von beiden deutschen | |
| Emigranten Alfred Lion und Francis Wolff betreute [2][Label Blue Note] auf | |
| und heimste zunächst Kritikerlob ein. | |
| Bemerkungen wie „Jutta’s Piano is really Hipp“ und „Hipp! Hipp! Hurray�… | |
| fielen – aber bald darauf verstummte Jutta Hipp wieder. Im Frühjahr 1958 | |
| begann die Musikerin, in einer Kleiderfabrik im New Yorker Bezirk Queens | |
| als Zuschneiderin zu arbeiten, geriet in Vergessenheit und starb im April | |
| 2003 allein in ihrer New Yorker Wohnung. Was genau ist da passiert? | |
| ## Biografie von Jutta Hipp | |
| Die Saxophonistin Ilona Haberkamp hat sich um die Wiederentdeckung von | |
| Jutta Hipp sehr verdient gemacht. 2013 veröffentlichte sie mit ihrem | |
| Quartett das Album „Cool is Hipp is Cool“ und publizierte 2015 einen Band | |
| mit Musik und Zeichnungen der Künstlerin. Jetzt legt Haberkamp eine | |
| Biografie vor, die es schafft, endgültig Licht in das Dunkel dieser | |
| Künstlerinnenbiografie zu bringen. | |
| Jutta Hipp wuchs gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in die rege Leipziger | |
| Jazzszene hinein, in der auch der Klarinettist Rolf Kühn seine ersten | |
| Erfahrungen machte. Es gibt ein Foto von ihr, wie sie noch in der Nazizeit | |
| grell geschminkt auf einem Sofa liegt, mit Strümpfen, auf die an den Knien | |
| zwei knallrote Herzchen gestickt sind. Als Mitglied des Leipziger „Hot | |
| Clubs“, wo man auch selber Musik machte, setzte sie sich von den bloß | |
| hörenden und tanzenden „Swingheinis“, die es in anderen deutschen | |
| Großstädten gab, ab. | |
| Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen flüchtete sie im März 1946 fast | |
| ohne Habe von Sachsen in die bayrische Provinz und begann, durch Clubs der | |
| US-Army zu tingeln. Während ihre beiden anderen Mitflüchtlinge entnervt | |
| aufgaben, schlug sich Hipp nach München durch. | |
| Unter welchen Umständen sie dort lebte, skizziert Ilona Haberkamp eher | |
| knapp – Auftritte gab es nur bei den GIs, mit viel Alkohol und Exzessen. | |
| 1948 bringt Jutta Hipp einen Jungen zur Welt. Der Vater war ein schwarzer | |
| GI, zu dem der Kontakt bald abbrach. Ihr gemeinsames Kind gab sie zur | |
| Adoption frei und sah es ebenfalls nicht wieder. Aus den sechziger Jahren | |
| gibt es vereinzelte Hinweise auf ihren Sohn Lionel, der in einer Beatband | |
| namens „Lionel and the Tireds“ als Organist spielte. | |
| ## Im Jazzkeller mit Albert Mangelsdorff | |
| Trotz aller privaten Katastrophen schaffte sie in der Combo des | |
| Tenorsaxophonisten Hans Koller in den nächsten Jahren den Durchbruch. 1952 | |
| zog sie von München nach Frankfurt am Main und prägte, unter anderem auch | |
| mit Albert Mangelsdorff, die Szene um den dortigen Jazzkeller. | |
| Als jazzspielende Musikerin war sie eine Sensation, noch mehr sorgte sie | |
| als Bandleaderin mit eigenem Quintett für Furore – bis sie auf dem | |
| Höhepunkt ihres Ansehens ihr Glück in den USA versuchte. Das war schon rein | |
| musikalisch ein ziemliches Wagnis. Ihre großen Erfolge hatte sie mit dem | |
| Cooljazz von Hans Koller gefeiert, der mit Bezügen zur Kontrapunktik des | |
| Barock bereits an einer europäischen Variante von Jazz feilte. | |
| Insgeheim blieb Jutta Hipp aber immer auch ihrer frühen Begeisterung für | |
| den Münchner „Jump“ verpflichtet, dem alten Rhythm & Blues. In New York | |
| nahm sie begierig Hardbop auf, wurde ein ausgesprochener Fan ihres | |
| Pianistenkollegen Horace Silver. | |
| In New York lehnte Jutta Hipp auch bald alles ab, was mit „Cool“ zu tun | |
| hatte oder gar mit den sich Ende der 1950er andeutenden Entwicklungen zum | |
| Free Jazz – obwohl sie am Schluss ihrer aktiven Zeit anscheinend durchaus | |
| fasziniert auch ein paar Mal bei den Gruppenimprovisationen von Charles | |
| Mingus mitwirkte. | |
| ## Machistisches Ambiente in Bars und Kellerclubs | |
| Am gravierendsten für ihren Abschied vom Jazz dürften die Pro-bleme gewesen | |
| sein, die sie als Musikerin zwangsläufig im machistischen Ambiente von Bars | |
| und Kellerclubs erlebte. Ilona Haberkamp fand beklemmende Belege dafür, | |
| dass Hipps Förderer Leonard Feather sie von Anfang an auch sexuell | |
| bedrängte. Zudem konnte die deutsche Emigrantin die binnenamerikanischen | |
| Verhältnisse nur schwer überblicken. | |
| Als europäische Frau geriet sie auf verquere Weise in die | |
| Emanzipationsbestrebungen der schwarzen US-Musiker hinein. So wurde es zu | |
| einem traumatischen Erlebnis, als Art Blakey sie einmal, als sie schon | |
| einiges getrunken hatte, spontan auf die Bühne bat, um sie vor Publikum als | |
| schlechte Musikerin vorzuführen. Die zynische Kommerzialisierung und der | |
| Konkurrenzkampf in der US-Jazzszene taten ein Übriges. | |
| Hipps Live-Auftritte im „Hickory House“, bei der zwei Blue-Note-Alben | |
| mitgeschnitten wurden, gerieten für die Künstlerin eher traumatisch – das | |
| Publikum unterhielt sich ostentativ laut, es nahm die Musik der Pianistin | |
| nur als ornamentales Beiwerk wahr. Unsicherheit und Selbstzweifel führten | |
| schließlich zu immer heftigerem Alkoholkonsum und schließlich zum | |
| Zusammenbruch. | |
| Ilona Haberkamps biografische Skizze birgt viele bislang unbekannte | |
| Geschichten. Die entscheidende dabei ist, wie weit eine künstlerisch | |
| ambitionierte Frau, von deren grafischen Arbeiten und pointierten | |
| Karikaturen einige auch abgebildet sind, ihrer Zeit voraus war. Man kann | |
| Parallelen zu einer Schriftstellerin wie Ingeborg Bachmann erkennen, die | |
| auf ähnliche Weise ein Leben als selbstbestimmte Frau zu leben versuchte, | |
| als Begriffe wie „Emanzipation“ noch gar bekannt waren und die | |
| gesellschaftlichen Möglichkeiten dafür fehlten. | |
| ## Ihrer Zeit voraus | |
| Jutta Hipp wollte – wie ein Mann – unabhängig bleiben, sich künstlerisch | |
| selbst verwirklichen und keine Rücksichten auf Familie und | |
| gesellschaftliche Konventionen nehmen. Ihre abgebrochene Karriere als | |
| Musikerin wirkt dabei wie ein Menetekel. | |
| Das Buch von Ilona Haberkamp ist ein Lehrstück. Und wenn man dazu die | |
| wieder erhältlichen Aufnahmen von Jutta Hipp hört, ihr Zusammenspiel mit | |
| Emil und Albert Mangelsdorff etwa oder ihre Alben mit Zoot Sims, | |
| aufgezeichnet in den Rudy van Gelder-Studios in Hackensack/New Jersey – | |
| ahnt man, dass die Geschichte mit anderen und heute normalen | |
| Rahmenbedingungen ganz anders hätte laufen können. | |
| 27 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Helmut Böttiger | |
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