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# taz.de -- Nachruf US-Jazzsaxofonist Wayne Shorter: Weird wie Wayne
> Der US-Jazzsaxofonist und Gründer der Fusionband Weather Report, Wayne
> Shorter, ist 89-jährig in Los Angeles gestorben. Nachruf auf einen
> Visionär.
Bild: Wayne Shorter
Es war immer die Melodie, die für Wayne Shorter im Vordergrund stand. Als
Erzählung, die in eine Märchen-, Comic- oder Science-Fiction-Welt führte,
in andere Länder und Zeitebenen oder in ein Bekenntnis. Genau wie in
„[1][Speak No Evil]“, seinem dritten Album für das Label Blue Note,
veröffentlicht 1964.
Die Melodie zählt zu den bekanntesten des Jazz, sie ist seiner ersten
Ehefrau gewidmet. „[2][Infant Eyes]“ komponierte Shorter für die gemeinsame
Tochter. Es ist eine langsame, zärtliche und gleichzeitig zerrissene
Melodie, aus der sich sein Solo herauslöst. Wie ein Bildhauer, der eine
Figur formt und zu einem Monument erhebt. Mit „Speak no Evil“ streifte er
den Hard Bop ab und übernahm kompositorische Elemente von zeitgenössischen
Komponisten wie Varese und Stravinsky in sein Spiel.
1964 ist auch das Jahr, als das Civil-Rights-Gesetz wenige Monate nach
[3][Kennedys Ermordung] die sogenannte Rassentrennung aufhob,
[4][Martin-Luther King] den Friedensnobelpreis erhielt und die USA
offiziell in den Vietnamkrieg eintraten. Für Wayne Shorter markierte jenes
Jahr auch den Beginn seiner Zusammenarbeit mit [5][Miles Davis], nach fünf
Jahren zuvor, während derer er als musikalischer Leiter von [6][Art
Blakey's Jazz Messengers] fungierte.
Mit Miles tritt er am 12. Februar 1964 in der Philharmonic Hall in New York
auf, an einem Benefizkonzert der Bürgerrechtsbewegung für das „Voter
Education Project“ in Lousiana und Mississippi. Shorter ist damals 31,
persönlich und musikalisch steht er an einem Wendepunkt.
## Inspiriert von Comics und Science-Fiction
Shorter hatte erst spät angefangen, ein Instrument zu lernen. Am 25. August
1933 in Newark, New Jersey, geboren, wuchs er mit seinem älteren Bruder
Alan im Newarker Industrieviertel Ironbound auf. Shorter, stets begeistert
von Comics und Science-Fiction, hatte im Alter von 12 Jahren einen
landesweiten Kunst-Wettbewerb gewonnen und damit einen Platz in der Newark
Arts High-School, der ersten öffentlichen High School des Landes, die auf
bildende und darstellende Kunst spezialisiert war.
Doch nachdem der Junge Dizzy Gillespie mit Charlie Parker gehört hatte,
schwänzte er seine Zeichenkurse und trieb sich im örtlichen
Instrumentengeschäft herum. Mit 15 Jahren erhielt er seine erste
Klarinette, ein Jahr später kam ein [7][Tenorsaxofon] dazu. Die Klarinette
von damals habe er immer noch, erzählte er noch 2022 dem Schlagzeuger (The
Roots) und HipHop-Produzenten Questlove für dessen Video-Podcast „Supreme“.
Er habe sechs Stunden am Tag Tonleitern geübt und versucht, die Musik der
Alben von Gillespie und Stravinsky nachzuspielen, die er sich in der
Stadtbibliothek ausgeliehen hatte.
Wayne Shoter gefiel der lässige Stil der Bopper mindestens ebenso wie deren
Musik. Wie jene „Jazzcats“ trat er im Anzug auf und legte die aktuelle
Tageszeitung anstelle von Notenblättern auf das Pult. Der Dichter Leroy
Jones, später Amiri Baraka, ebenfalls aus Newark, erinnerte sich, dass es
damals hieß „Weird as Wayne“ und Shorter beschriftete seinen Saxofonkoffer
mit „Mr. Weird“.
## Beteiligung am Meisterwerk „Bitches Brew“
Wayne Shorter komponierte für Miles Davis unter anderem „Nefertiti“ und
blieb [8][bis zu seinem 1969 gemeinsam eingespielten epochalen Album
„Bitches Brew“], das einen radikalen Neuanfang beschrieb. 1970 gründete er
mit Joe Zawinul und Miroslav Vitouš die Fusionband Weather Report, die auch
kommerziell mit ihrer Kreuzung von Rock und Jazz so erfolgreich wurde, dass
er sich 1972 mit seiner zweiten Frau und der gemeinsamen Tochter einen
Umzug nach Los Angeles und ein Haus leisten konnte.
Hauptgrund für die Emigration nach Südkalifornien war die schwere
Erkrankung seiner Tochter und der von einem Arzt empfohlene Klimawechsel.
Seit 1973 war Shorter Buddhist. Im Interview mit Questlove, der Shorter zum
Pionier, musikalischen Architekten und größten Zeitreisenden der
Jazzgeschichte erklärt, erzählt er, dies habe ihm geholfen, die Krankheit
seiner Tochter und später ihren Tod und den seiner Frau akzeptieren zu
können.
Mit Weather Report wechselte Wayne Shorter vom Tenor- zum Sopransaxofon und
entwickelte einen abstrakten, minimalistischen Stil mit dem Ansatz, die
traditionelle Trennung von Solist und Begleitung aufzuheben. Er erklärte,
diese Musik zur „Folk-Musik der Zukunft.“ Nach Auflösung der Band 1986
spielte Wayne Shorter mit Carlos Santana, den Rolling Stones, Steely Dan
und auf mehreren Alben von Joni Mitchell.
## „Iphigenia“ in Boston
Im Jahr 2000 gründete er sein bis zuletzt aktives akustisches Quartett mit
Danilo Pérez, John Pattitucci und Brian Blade, mit dem er einige seiner
frühen Kompositionen neu interpretierte. Es folgten mehrere Grammys und
2017 der Polar Music Prize. 2021 wurde seine Oper „Iphigenia“ in Boston
uraufgeführt. Ein Herzensprojekt des Komponisten, der sie für Orchester und
Quintett komponierte.
Shorter sah Jazz als kulturellen DNA-Code. „Der Spirit des Jazz ist das
Ausbrechen aus dem Gewohnten, ein revolutionärer Akt.“ Wayne Shorter starb
am 2. März 2023 im Alter von 89 Jahren in einem Krankenhaus in Los Angeles.
3 Mar 2023
## LINKS
[1] https://youtu.be/fvRkGglLe-U
[2] https://youtu.be/CYg_3pQN-LU
[3] /Offenlegung-der-Kennedy-Akten/!5456611
[4] /!456691/
[5] /Miles-Davis-Sessions-neu-aufgelegt/!5192397
[6] /Schlagzeuger-Art-Blakey/!5628180
[7] /Jazzsaxofonistin-Lotte-Anker/!5825675
[8] /Nachruf-auf-Chick-Corea/!5748584
## AUTOREN
Maxi Broecking
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