# taz.de -- Don Was über die Blue-Note-Philosophie: „Verlier nie den Groove,… | |
> Das legendäre New Yorker Jazzlabel Blue Note Records gibt es seit 1939. | |
> Ein Gespräch mit Labelchef Don Was über ein großes Erbe und den | |
> Blue-Note-Sound. | |
Bild: Don Was auf den Dächern von New York | |
taz: Don Was, Blue Note, das von Ihnen geleitete Jazzlabel feiert 2024 | |
seinen 85. Geburtstag. Ein biblisches Alter für ein Plattenlabel, das muss | |
seine Gründe haben, oder? | |
Don Was: Als ich 2011 die Leitung übernahm, habe ich erstmal im | |
Blue-Note-Katalog recherchiert, was an den Tausenden Alben noch relevant | |
ist. Das Geheimnis lautet: Ob Art Blakey, Horace Silver oder Wayne Shorter | |
– alle Musiker:innen waren und sind mit der Jazztradition bestens | |
vertraut. Sie sind ihr nicht einfach treu geblieben, sondern haben ihr | |
Wissen genutzt, um damit etwas Neues zu kreieren. Beispiel Thelonius Monk. | |
Der Pianist galt 1947 als radikalster Künstler überhaupt. Seine Art, | |
Klavier zu spielen, war revolutionär, trotzdem fußte sie auf dem, was | |
vorher da war. | |
Wie würden Sie die Blue-Note-Philosophie definieren? | |
Das Manifest der beiden in Berlin gebürtigen Label-Gründer Alfred Lion und | |
Francis Wolff legte schon in den 1940ern fest, dass sie auf authentische | |
Musik setzen und ihren Schützlingen volle künstlerische Freiheit gewähren. | |
Blue-Note-Musiker:innen wählen jede Note mit Bedacht, ihre Musik kommt | |
wirklich von Herzen. | |
Inzwischen sind Künstler:innen von Norah Jones über Gregory Porter bis | |
zu Rosanne Cash bei Ihnen unter Vertrag. Gibt es den Blue-Note-Sound | |
überhaupt noch? | |
Die Genannten klingen in der Tat sehr unterschiedlich. Dennoch haben sie | |
etwas gemeinsam: ihre Glaubwürdigkeit. In den 1950er und 1960er Jahren | |
zeichnete der Tonmeister Rudy van Gelder für sämtliche Aufnahmen | |
verantwortlich. Francis Wolff machte alle Fotos, Reid Miles war der | |
Grafiker. Somit gab es auch eine unverkennbare Ästhetik, einen | |
Blue-Note-Sound. Heute wäre es jedoch schwierig, den Musiker:innen zu | |
diktieren, in welchem Studio sie aufnehmen, was für ein Video sie drehen | |
sollen. Sie entscheiden das eigenverantwortlich. | |
Welche Vision haben Sie für Blue Note im 21. Jahrhundert? | |
Auch für uns ist Streaming extrem wichtig geworden. Im Gegensatz zu anderen | |
Plattenfirmen machen Tonträger nach wie vor den Löwenanteil des Geschäfts | |
aus. Mein Motto: Lass uns großartige Alben produzieren, dann ergibt sich | |
alles Weitere von selbst. Im Idealfall verbessert Blue-Note-Musik die | |
Lebensqualität der Hörer:innen. | |
Blue Note gibt deutlich mehr Männern als Frauen die Chance, ein Album | |
aufzunehmen. Woran liegt das? | |
Männerüberschuss ist generell ein Problem im Musikgeschäft, leider auch im | |
Jazz. Blue Note kann durchaus einige Künstlerinnen vorweisen. Melissa | |
Aldana etwa ist eine unglaubliche Saxofonistin. Ihr Spiel hat einen sehr | |
charakteristischen Ton. Was mich in Bezug auf Musikerinnen hoffnungsvoll | |
stimmt, ist [1][Terri Lyne Carringtons Programm] zur Förderung von | |
Künstlerinnen am Berklee College of Music. | |
Lassen Sie uns zurückblicken. Die beiden Blue-Note-Gründer waren vor den | |
Nazis aus Berlin nach New York geflüchtet. Als Juden erfuhren sie | |
Diskriminierung. War es ihnen deshalb ein Anliegen, diskriminierte schwarze | |
Jazzmusiker zu fördern? | |
Sicherlich, Alfred Lion und Francis Wolff waren bereit, jene Musik zu | |
hören, die die gesellschaftliche Benachteiligung Schwarzer | |
Amerikaner:innen reflektierte. Mehr noch: Sie konnten sich mit deren | |
Sache identifizieren. Ich halte es für eine gute Sache, dass bei Blue Note | |
Unterdrückte aus verschiedenen Teilen dieser Welt zusammengekommen sind und | |
miteinander gearbeitet haben. | |
In der Vergangenheit war Blue Note eine Art Schutzraum für Diskriminierte. | |
Wird diese Aufgabe wieder eine größere Rolle spielen, falls Trump erneut | |
US-Präsident wird? | |
Falls er gewählt werden sollte, liegt es in der Verantwortung der | |
Künstler:innen, sich damit auseinanderzusetzen. Besser noch wäre: wenn sie | |
gegen diesen Zustand rebellieren. Gerade Jazzmusiker:innen strebten in | |
jeder Ära aus der Enge heraus. Dizzy Gillespie und Charlie Parker waren in | |
der Bigband des Sängers Billy Eckstine. Das bedeutete: Sie mussten | |
Chartsmusik spielen. Das stellte sie allerdings nicht zufrieden. Sie | |
wünschten sich mehr Freiheit. Das ist Kern des Jazz, er strebt vorwärts und | |
bricht Regeln. | |
Haben Sie sich dieses Credo zu eigen gemacht, als Sie 1979 in Detroit Ihre | |
Band Was (Not Was) gegründet haben? | |
Ja. In den USA waren die 1960er Jahre eine Zeit der Veränderung, das hat | |
mich als Teenager geprägt. [2][Unser Ziel war es, mit Was (Not Was) | |
Dancefloor-Musik zu revolutionieren]. Unsere Songs sollten politische | |
Botschaften haben und trotzdem tanzbar sein, wir mischten Funk, Disco und | |
Jazz. Damit stießen wir auf Widerstand. Die Leute wollten in einem | |
Dance-Track keine E-Gitarren und Trompetensoli hören. | |
Später haben Sie auch als Produzent gearbeitet, vor allem für die Rolling | |
Stones. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit ihnen? | |
Ich bin nach New York gereist, um sie zu treffen. Die Stones hatten 1993 | |
einen Vertrag bei Virgin. Das Label empfahl mich als Produzenten. [3][Als | |
ich im Studio ankam, testeten die Stones gerade einen neuen Bassisten. | |
Danach kamen sie zu mir]. Mick Jagger erläuterte mir, was ein Produzent | |
seiner Ansicht nach für die Stones tun könnte. Zeitgleich zählte mir Keith | |
Richards all die Gründe auf, die gegen einen Produzenten sprachen. Es war | |
wie Tennis, ich drehte meinen Kopf dauernd von einer Seite zur anderen. | |
Schließlich fragte Keith: „Bist du sicher, dass du das Fleisch in diesem | |
Sandwich sein willst?“ Okay, ich dachte, das war’s, von denen höre ich nie | |
wieder. Dann habe ich fast 30 Jahre ihre Alben produziert. | |
Begonnen haben Sie als Sessionmusiker, nun leiten Sie Blue Note. Hatten Sie | |
für Ihre Karriere einen Masterplan? | |
Nein. Als Hippie hegte ich nur einen Wunsch: auf keinen Fall einen festen | |
Job! Egal, ob ich selber Musik mache oder produziere – das war und ist für | |
mich keine Arbeit. Ehrlich gesagt hatte ich keine realistische Idee davon, | |
was genau meine Aufgabe bei Blue Note sein würde. Ich malte mir das Ganze | |
als Party aus. Mit der Option, Zugang zu allen Mastertapes zu haben. | |
Selbstverständlich ist es viel komplizierter, ein Unternehmen zu leiten. | |
Trotzdem liebe ich den Job. Ich hoffe, ich kann ihn behalten, bis ich | |
sterbe. | |
Wann haben Sie Musik von Blue Note erstmals wahrgenommen? | |
Das war 1966, ich sollte meine Mutter zum Einkaufen in den Supermarkt | |
begleiten. Weil ich mies gelaunt war, blieb ich im Auto und stellte das | |
Radio an. Ich stieß auf einen Detroiter Jazzsender und es lief Joe | |
Hendersons „Mode for Joe“. Henderson entlockte seinem Saxofon einen | |
gequälten Ton, dann fängt er plötzlich an zu grooven. Und ich begriff: | |
Verlier nie den Groove, man! Als meine Mutter aus dem Supermarkt kam, hatte | |
ich mich wieder in einen netten Jungen verwandelt. | |
18 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Jazzdrummerin-Carrington-ueber-Diversitaet/!5932659 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=PaURecYXTFE | |
[3] /Ausstellung-ueber-die-Rolling-Stones/!5959141 | |
## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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