# taz.de -- Posthumes Album von Phill Niblock: Ordnung im unruhigen Klang | |
> „Looking for Daniel“ besteht aus nur zwei Kompositionen. Und ist eine | |
> würdige Klammer im Werk des Allroundkünstlers Phill Niblock. | |
Bild: Biliana Voutchkova und Phill Niblock. Er widmete ihr ein Stück | |
Eine Traumszene aus übereinandergelegten Klängen. Es ertönen durch ihre | |
Konstanz fast schon beunruhigende Geigenphrasen mit fluktuierenden | |
Obertönen als Basis, im Hintergrund sind Schichten einer sanften | |
Frauenstimme zu hören. Sie singt wortlos, was beruhigende Wirkung hat, als | |
Ausgleich zum instrumentalen Part. Erstaunlich ist dabei, dass diese | |
dichte, vielschichtige Struktur über mehr als 21 Minuten die Spannung hält. | |
Die Musik variiert durch kleinste Bewegungen und entwickelt sich so kaum | |
merklich – eine Meditation über Kontinuität und Veränderung. „Biliana“… | |
heißt der erste von zwei Tracks vom Album „Looking for Daniel“ des | |
US-Künstlers und Komponisten Phill Niblock. Veröffentlicht wurde das Album | |
vom Amsterdamer Label Unsounds – posthum, [1][kurz nach Niblocks Tod im | |
Alter von 90 Jahren im Januar]. | |
Phill Niblock gilt als Vorreiter der Minimal Music, er hat zugleich auch | |
als Fotograf und Videoregisseur gearbeitet und machte sich im Laufe seiner | |
fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere einen Ruf als Multimediakünstler der | |
Avantgarde. | |
Niblock schaffte mit minimalistischen Mitteln und viel Feingefühl äußerst | |
komplexe Klangarchitekturen. Seit Mitte der 1980er war er als Direktor der | |
in seinem New Yorker Loft in Chinatown ansässigen Stiftung für | |
Avantgarde-Musik Experimental Intermedia tätig. Dort fanden mehr als 1.000 | |
Konzerte statt. 2014 wurde Niblock [2][mit dem John-Cage-Preis] | |
ausgezeichnet. | |
## „Nur eine Art von Musik“ | |
Bemerkenswert sind auch seine filmischen Arbeiten – darunter Aufnahmen | |
seiner Kollegen [3][Sun Ra] und [4][Arthur Russell]. Sein | |
avantgardistischer Signature-Sound ist, wie auch in „Biliana“ zu hören, | |
geprägt von langen gleichbleibenden Tonclustern, sogenannten Drones, und | |
der Schichtung verschiedener instrumenteller und Gesangs-Ebenen | |
übereinander, die seichte Veränderungen durchlaufen. | |
Melodien oder Rhythmus hingegen gibt es in seinen Kompositionen nicht. „Ich | |
mache nur eine Art von Musik. Etwas anderes mache ich nicht. Ich | |
interessiere mich für Klang – für eine bestimmte Ordnung darin,“ erklärte | |
Niblock in einem Interview 2022. „Was ich tat, wurde im Laufe der Jahre | |
besser und klarer, aber im Grunde hatte ich 1968 in wenigen Minuten | |
entschieden, was ich tun wollte und wie ich es tun wollte. Und das war | |
alles, was ich tat.“ | |
Der Track „Biliana“, der im Herbst 2023 aufgenommen wurde, ist der aus | |
Bulgarien stammenden Geigerin Biliana Voutchkova gewidmet. Sie lebt in | |
Berlin und in Bern, wo sie an der Hochschule der Künste lehrt. Neben ihren | |
Soloperformances, in denen sie die Verbindung zwischen Innenwelt und | |
Klangraum erforscht, spielt sie unter anderem im Trio Jane in Ether und im | |
Land Stages Collective. | |
2019 begründete sie das Dara String Festival für Streich- und | |
Saiteninstrumente in Berlin, das seitdem jährlich im Oktober stattfindet. | |
Bei einem Konzert 2022 in Berlin spielten Niblocks Partnerin, die | |
kanadische Künstlerin Katherine Liberovskaya, und Voutchkova zusammen ein | |
Duett sowie ein Quintett mit Nicola L. Hein und Claudia Schmitz – und | |
Niblock selbst. Jene Performance gefiel Phill Niblock so gut, dass er | |
beschloss, der bulgarischen Künstlerin ein Stück zu widmen. | |
„Er beendete den Mix und bereitete ihn für die Veröffentlichung vor, | |
wenige Tage bevor er starb. Es ist ein kostbares Abschiedsgeschenk, dass | |
wir nun in die Welt setzen“, erklärt Voutchkova. | |
## Leiche am Rheinufer | |
Der zweite Track des Albums „Exploratory, Rhine Version, Looking for | |
Daniel“ wurde im Februar 2023 von den beiden niederländischen Ensembles | |
Modelo62 und Scordatura Ensemble während einer Live-Aufführung im Rahmen | |
des Echonance-Festivals in Amsterdam aufgenommen. Auch hier erklingt – | |
versteckter – eine Stimme. Der Songtitel verweist auf Daniel Buess, den | |
Schlagzeuger und Co-Direktor des Ensembles Phoenix in Basel, der eines | |
Nachts im Jahr 2016 verschwand und dessen Leiche später am Rheinufer | |
gefunden wurde. | |
Die neben Stimme auch mit Flöte, Bassklarinette, Trompeten, E-Gitarre, | |
Viola, Kontrabass, Keyboard und sogar einer Orgel angereicherte | |
Niblock-Komposition umfasst viel mehr Instrumente als die erste, auf der | |
Voutchkova solo spielt und singt, sie wirkt auch unruhiger. Zugleich ist | |
die Struktur aus den Klangschichten, die miteinander eine Beziehung aus | |
Konstanz und Fluktuation eingehen, wieder typisch für das Werk des | |
US-Komponisten. | |
Beide Tracks sind zwar posthum erschienen, wurden aber noch nach | |
Vorstellungen von Phill Niblock geformt und bilden einen würdigen Abschluss | |
für das Gesamtwerk eines großen Avantgardisten, der mehrere | |
Musiker*innen-Generationen prägte – viele weitere dürften folgen. | |
8 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Nachruf-auf-Komponisten-Phill-Niblock/!5986108 | |
[2] /John-Cage-zum-100-Geburtstag/!5084910 | |
[3] /Blaxploitation-Scifi-Musikfilm-mit-Sun-Ra/!5613979 | |
[4] /Disco-Kultur-in-New-York/!5379098 | |
## AUTOREN | |
Yelizaveta Landenberger | |
## TAGS | |
Musik | |
Komponist | |
Avantgarde | |
Jazz | |
New York | |
Spiritual Jazz | |
Konzert | |
Jazz | |
Jazz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ukrainisch-britisches Jazz-Duo: Spirituelle Fusion | |
Auf ihrem Album „Altera Vita“ geben Alina Bzhezhinska und Tony Kofi mit | |
Harfe und Saxofon „Antwort auf eine Welt, die einen Reset braucht“. | |
Jazzkonzert für Duke Ellington: „Blues ist immer unser Rückgrat“ | |
Jason Moran und Christian McBride spielten in Berlin zu Ehren von Duke | |
Ellington. Beide bringen enzyklopädisches Wissen um die Jazzgeschichte mit. | |
Don Was über die Blue-Note-Philosophie: „Verlier nie den Groove, man!“ | |
Das legendäre New Yorker Jazzlabel Blue Note Records gibt es seit 1939. Ein | |
Gespräch mit Labelchef Don Was über ein großes Erbe und den | |
Blue-Note-Sound. | |
Neues Jazzalbum von Myra Melford: Poesie des Lichts | |
US-Jazzpianistin Myra Melford strebt auf ihrem neuen Album „Hear the Light | |
Singing“ nach Kinästhesie. Es entstand mit ihrem Quintett. |