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# taz.de -- Neues Jazzalbum von Myra Melford: Poesie des Lichts
> US-Jazzpianistin Myra Melford strebt auf ihrem neuen Album „Hear the
> Light Singing“ nach Kinästhesie. Es entstand mit ihrem Quintett.
Bild: Myra Melford, ganz vorne
Von Sonnenlicht ist an diesem regnerischen Januartag in Berkeley,
Kalifornien, nichts zu sehen. Die Universitätsstadt an der Bay Area nahe
San Francisco erhebt sich bis zu einer Spitze, über die man die gesamte
Bucht überblicken kann.
Die Grauschattierungen des Pazifiks vermischen sich mit denen des Himmels,
beide scheinen ineinander überzugehen. Eine Poesie des Lichts in Verbindung
mit Wasser fasziniert die US-Jazzpianistin und Komponistin Myra Melford,
die seit 2004 in Berkeley Komposition und Improvisation unterrichtet:
[1][Seit sie vor einigen Jahren die Zeichnungen der „Gaeta“-Serie des
US-Malers Cy Twombly gesehen hatte], ursprünglich entstanden in der kleinen
italienischen Küstenstadt bei Neapel, in der Twombly zuletzt lebte. Auch
Gaeta erhebt sich in einer Hügellandschaft und Twombly konnte die Bucht von
Neapel überblicken.
Twomblys reduziert-abstrakte zehnteilige Serie, mit dem Titel „For the Love
of Fire and Water“, die sich heute im Museum Brandhorst in München
befindet, widmete er dem Licht und dem sich über die Bucht ausbreitenden
Mittelmeer.
## Reise ans Meer
Myra Melford, die auf zahlreichen Reisen immer wieder Orte besuchte, zu
denen sie eine künstlerische und literarische Verbindung spürt, reiste
selbst nach Gaeta, um nachzuempfinden, was Twombly zu seiner Serie
inspiriert hatte, die für sie zu Musik geworden ist.
Vor Kurzem hat die 67-Jährige ihr neues Album „Hear the Light Singing“
veröffentlicht, eine Fortsetzung des Vorgängers „For the Love of Fire and
Water“, über ebendiese Serie von Twombly. Der poetische Titel habe sie
angesprochen und vor allem die Energie der Zeichnungen.
Darauf habe sie sofort reagiert, „als spürbare kinästhetische Reaktion, die
mich dazu bringt, Klavier zu spielen und Musik zu komponieren“. Ihr neues
Werk, erklärt Melford der taz, beziehe sich auf dasselbe Set von
Zeichnungen, jedoch habe sie für das frühere Album eine Art Anleitung für
sehr offene Improvisationen zu den Arbeiten erarbeitet. Nun enthalte ihre
Musik deutlich mehr auskomponierte Abschnitte, die sie direkt für die
beteiligten Künstlerinnen geschrieben habe.
## Im Dunkeln zeichnen
„Eigentlich“, so Melford, „bilden beide Alben zusammengenommen eine einzi…
lange Suite.“ Sie habe gelesen, dass Twombly oft im Dunkeln zeichnete, um
sich zu schulen. Er habe sich mehr dafür interessiert, wie sich die Linie
anfühlte, als dafür, wie sie aussah. „Das drückte für mich genau das aus,
wie ich Klavier spiele. Für mich geht es nur um die Geste und die Energie.“
Die Idee zu dem Projekt kam, als [2][ihr Kollege John Zorn] sie 2019
einlud, fünf Abende lang Konzerte in seinem New Yorker Club „The Stone“ zu
spielen, mit jeweils einem anderen ihrer Ensembles. „An vier Abenden“, so
Melford, „präsentierte ich bereits bestehende Projekte und hatte mir zuerst
für den Finalabend eine freie Improvisationsnacht vorgestellt.
Doch ich hatte bereits einige Skizzen zu Twombly komponiert und lud dann
solche Musikerinnen ein, mit denen ich schon lange mal gemeinsam spielen
wollte. Wir spielten an diesem Abend erstmals überhaupt zusammen und es
wurde geradezu magisch.“
## Sich freier fühlen
Bereits vor dem „Fire and Water“-Quintett hatte sie Combos mit Musikerinnen
gegründet, das Tiger Trio mit Flötistin Nicole Mitchell und Bassistin
Joëlle Léandre sowie das MZM mit Koto-Spielerin Miya Masaoka und
Harfenistin Zeena Parkins. Musikalisch gebe es für Myra Melford keinen
Unterschied, ausschließlich mit Musikerinnen zu spielen, jedoch außerhalb
der Musik und im Diskurs merke sie, dass sie sich freier fühle.
Myra Melford kam spät zum Jazz. Geboren 1957 in Illinois, wuchs sie in
Chicago auf, studierte zuerst Klassik von Bartók und Strawinsky, wandte
sich dann von der Musik ab und studierte Umweltwissenschaften. Wendepunkt
sei ein Konzert von Leroy Jenkins und Amina Claudine Meyers gewesen,
[3][die beide in Chicago Teil des Musiker*innenkollektivs der
Organisation AACM waren].
„Ich hatte keine Ahnung, was Leroy und Amina da genau machten. Aber schon
beim ersten Stück dachte ich, das ist es, was ich selbst auch erreichen
will. Ich werden meine eigene Musik finden, meine eigene Art, Klavier zu
spielen.“ In New York besuchte sie Workshops von Leroy Jenkins und nahm
Privatunterricht bei Henry Threadgill, Jaki Byard und Don Pullen. [4][Sie
habe dann auch angefangen, mit Butch Morris zu arbeiten und in seinen
Ensembles zu spielen]. „Das war meine Schule, Butch war ein großartiger und
für mich sehr wichtiger Mentor.“
Das intervallische Kompositionssystem von Henry Threadgill hat Melfords
Kompositionsweise definitiv beeinflusst, und wie Butch Morris in seinen
„Conductions“ durch Gestik improvisierte Stücke gestaltet habe, präge bis
heute, wie sie über das Komponieren und improvisatorische Räume nachdenke.
Dazu John Zorns Überlegungen, Improvisation zu lenken und den Beteiligten
trotzdem künstlerische Freiheit zu lassen, ihr je eigenes Vokabular zu
benutzen. Doch sie sei keine Kopistin: „Ich synthetisiere all diese Ideen
auf meine eigene Weise.“ Und das hört man auch bei der Musik ihres neuen
Albums „Hear the Light Singing“, dessen illuminierter Klang und gezeichnete
Musik wirklich das Licht zum Singen bringt.
29 Jan 2024
## LINKS
[1] /Twombly-Ausstellung-im-Schloss-Gottorf/!5115601
[2] /Juedischer-US-Jazz/!5984017
[3] /50-Jahre-Art-Ensemble-of-Chicago/!5645394
[4] /Jazzmusikerin-ueber-den-Geruch-von-Musik/!5968870
## AUTOREN
Maxi Broecking
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