# taz.de -- Pianist Nduduzo Makhathini: Drei Sätze, eine Göttin und das All | |
> „uNomkhubulwane“, ist das neue Album des südafrikanischen Pianisten | |
> Nduduzo Makhathini. Er setzt sich mit dem Erbe der Apartheid spirituell | |
> auseinander. | |
Bild: Nduduzo Makhathini ist ein kritischer Kopf des Jazz | |
Es ist ein sonniger, etwas kühler Vormittag, als Nduduzo Makhathini in die | |
Lobby seines Hotels am Berliner Ostkreuz kommt. Am Abend zuvor hatte er | |
einen Soloauftritt beim X-Jazz-Festival in der Hauptstadt. Für Makhathi | |
sind Konzerte wie Gottesdienste: Gebet und spirituelle Zeremonie. | |
So ist auch die Musik seines neuen Albums „uNomkhubulwane“ gedacht, das der | |
Zulugöttin Nomkhubulwane gewidmet ist, der Göttin der Erde und des Kosmos. | |
Es ist sein drittes Album beim US-Jazzlabel Blue Note und sein insgesamt | |
elftes. Vorangegangene Werke hatte er auf seinem eigenen Label | |
veröffentlicht, das er 2014 mit seiner Frau, der Sängerin Omagugu | |
Makhathini, gegründet hat. | |
2020 war Makhathini der erste südafrikanische Künstler, der vom | |
US-Jazz-Traditionslabel unter Vertrag genommen wurde. Bereits zwei Jahre | |
später wurde der Musiker auch künstlerischer Berater von Blue Note und | |
erster Vertreter des neu gegründeten Sublabels „Blue Note Africa“. | |
## Eine Suite in der Yoruba-Tradition | |
Sein neues Album entstand als Suite in drei Sätzen. Die Zahl Drei steht in | |
der Yoruba-Tradition für Ganzheit. Das Auftaktstück beginnt mit dem Gesang | |
Makhathinis in isiZulu mit den Klicklauten „qa“, [1][die für ihn die | |
akustische Empfindung von Wasser verkörpern,] das im Mittelpunkt der | |
afrikanischen Schöpfungsgeschichte steht, jedoch auch für den Atlantischen | |
Ozean, der als Transportroute für Sklavenschiffe genutzt wurde. | |
Das Apartheid-Regime habe die traditionellen südafrikanischen Sprachen | |
lange verboten und die Klicks als exotische Spielerei gesehen. In seiner | |
Sprache zu singen sei für ihn Teil des Heilungsprozesses durch das Trauma | |
von Kolonialgeschichte und Apartheid, erklärt Makhathini, der auch Sangoma | |
ist, ein traditioneller Heiler. | |
Musikalisch sieht sich Makhathini in der Tradition des Schwarzen | |
südafrikanischen Jazz: Von Abdullah Ibrahim über Kippie Moeketsi und Hugh | |
Masekela bis zu Bheki Mseleku, seinem Mentor, über den er auch seine | |
Abschlussarbeit an der Musikhochschule schrieb. Ästhetisch verortet er sich | |
auf einer transatlantischen Ebene auch im afrodiasporischen US-Jazz der | |
1960er Jahre, besonders den spirituellen Aufnahmen von John Coltrane, wie | |
„A Love Supreme“ (1964), als stilistische Mischung aus traditionellem Cape | |
Jazz und hymnischem Gospel. | |
## Kulturelle Selbstvergewisserung | |
Der 41-jährige südafrikanische Künstler zitiert damit die musikalische | |
Haltung von Jazzmusiker*innen während der US-Bürgerrechtsbewegung, die | |
für politische Emanzipation und kulturelle Selbstvergewisserung stand. In | |
seinem sehr melodischen, sich teilweise behutsam in weiten Flächen | |
ausbreitenden Pianospiel verweist er auf seine Helden, wie Mseleku und | |
McCoy Tyner. | |
Der eklektische Zugang Makhathinis auf seinem neuen Album „uNomkhubulwane“ | |
schöpft aus diesem musikalischen Material. Doch anders als der Jazz der | |
Anti-Apartheid-Bewegung, der vor allem von Musikern im Exil, wie Abdullah | |
Ibrahim, Hugh Masekela, Louis Moholo und Bheki Mseleku, aus der Perspektive | |
von Flucht und Vertreibung verkörpert wurde, ist es das Thema der jüngeren | |
südafrikanischen Jazzszene um Makhathini, im eigenen Land das Schwarze | |
musikalische Erbe zu bewahren und den Jazz zu dekolonisieren. | |
So bezieht sich bei Makhathini jeder der drei musikalischen Sätze des neuen | |
Albums auf rituelle Handlungen, die der Zulugöttin gewidmet sind. Er habe | |
mit der Musik einen Raum schaffen wollen, um Identität neu zu verhandeln, | |
kollektive Schwarze Erinnerung als Protest gegen Unterdrückung. | |
## Repetitive Cluster von Klavier und Bass | |
Das funktioniert im Auftakt „Omnyama“ (Schwarz), wenn die Trommel durch | |
repetitive Cluster von Klavier und Bass umspielt wird, über die sich die | |
Stimme Makhathinis wie eine Beschwörungsformel legt. Die nächsten beiden | |
Stücke sind klassischer Klaviertrio-Jazz mit wechselnden Soli von Piano und | |
Bass und einem besengestrichenen Schlagzeug. Das wirkt, als suche | |
Makhathini vor allem in der Vergangenheit nach Antworten für die Gegenwart. | |
In seiner Doktorarbeit untersuchte er einen Begriff, den er als „Jazziness“ | |
bezeichnet: seine These, dass die charakteristischen Elemente des Jazz, wie | |
Synkopen, Blue Notes und Improvisation bereits vor deren Entstehung in den | |
USA Teil der Musik des afrikanischen Kontinents waren „Jazziness ist älter | |
als der Jazz selbst“, glaubt Makhathini. | |
Dekolonisierung bedeute, jenes kulturelle Gedächtnis wieder freizulegen, | |
das durch die Kolonialgeschichte verschüttet wurde. In dieser Arbeit führte | |
er auch den Begriff „Auto-Ethnografie“ ein: seine eigene Biografie | |
innerhalb der Apartheid- und Post-Apartheid-Gesellschaft Südafrikas, die | |
sinnbildlich für Erfahrungen stehe, welche sich als Gewalt- und | |
Diskriminierungstraumata in die Schwarzen Körper eingeschrieben haben. | |
## Und täglich eine Prise Schießpulver | |
Geboren 1982 im Township Umgungundlovu von Pietermaritzburg am Ostkap, | |
erlebte Makhathini die Apartheid noch, bis er zwölf Jahre alt war. Im | |
Interview erinnert er sich: „Der Alltag war begleitet von Gewalt, von | |
Schüssen, Schreien und dem Geruch von Schießpulver, der permanent in der | |
Luft hing. Und jeden Tag sah man auf dem Schulweg ein paar Leichen. | |
Apartheid sorgte dafür, dass man sie spürt, dass man sich daran erinnert | |
und sich davon nicht mehr erholt. Sie diente dazu, den Geist zu | |
konditionieren. Es war nicht nur ein historischer Moment, es war eine | |
Pandemie, die einem keine Chance ließ, sie nicht zu erleben.“ | |
Seine Mutter gab ihm erste Klavierstunden und er spielte in der örtlichen | |
Kirchengemeinde, bevor er sich an der Universität von KwaZulu Natal | |
einschrieb, wo er im vergangenen Jahr promovierte. Heute lehrt er an der | |
Fort Hare Universität. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Binarität von | |
Musik und Spiritualität und eine Historiografie des Jazz in Südafrika mit | |
dem Schwerpunkt auf postkolonialer Musikwissenschaft und Kosmologie. | |
Gegenwärtig, 30 Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid, habe sich | |
aus seiner Sicht nur wenig geändert. Viele Menschen seien gar nicht erst | |
zur südafrikanischen Wahl im Mai gegangen, denn Korruption gebe es nicht | |
nur beim ANC, sondern auch bei den Oppositionsparteien. „Die | |
Bürger:Innen glauben nicht mehr an Demokratie“, so Makhathini. | |
## Verdrängung der Schwarzen | |
Die Strukturen der Apartheid seien noch aktiv. Wie in den Townships, die | |
durch Verdrängung Schwarzer Körper aus der Stadt entstanden. Jetzt gebe es | |
zwar keine Passierscheine mehr, aber durch die Armut seien die Grenzen | |
immer noch da. Manches habe sich sogar verschlechtert. So gebe es jetzt | |
eine größere Arbeits- und Obdachlosigkeit. „Die Illusionen von 1994 und die | |
Möglichkeit einer Demokratie wurden von der Vergangenheit wieder | |
eingeholt, von den Rissen in der Gesellschaft“, so Makhathini. | |
[2][Die weiße Bevölkerung Südafrikas sei in gewisser Weise sehr | |
nostalgisch, was ihre Privilegien angeht.] „Sie sehen Freiheit als etwas | |
an, das sie den Schwarzen geben. Als wäre Freiheit eine Art von Inklusion. | |
Das ist die Matrix und das Dilemma, es sind die Widersprüche des | |
Rassismus.“ | |
Seine Musik kann diese Widersprüche nicht auflösen. Sie wirkt in ihrem | |
getragenen Hymnus wie ein Requiem, es lässt eine große, kollektive Trauer | |
zu. Jedoch mit dem Blick nach vorn. | |
20 Jun 2024 | |
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