# taz.de -- Komponist Arnold van Wyk: Im Garten der Musik | |
> Wer waren die südafrikanischen Komponisten Arnold van Wyk und Hubert du | |
> Plessis? Eine Archivsuche zwischen Apartheid, Kaltem Krieg und | |
> Homophobie. | |
Bild: Sublimierte Kultur der Segregation: Luftbild von Kapstadt | |
Vor Kurzem an einem Archivtisch in Stellenbosch bei Kapstadt. Vor mir | |
liegen private Dokumente zweier südafrikanischer Komponisten, die während | |
der Apartheid (1948–1994) eine Nähe zum Regime hatten, Arnold van Wyk und | |
Hubert du Plessis. | |
An ihrem Leben und Werk interessiert mich der Aspekt der politischen | |
Repräsentation: Trotz staatlich organisierter Segretation versuchte sich | |
Südafrika im Kalten Krieg als Teil der westlichen Welt und des Bollwerks | |
gegen den Kommunismus zu inszenieren. Weil sich dieser Anspruch auch in den | |
Künsten spiegeln sollte, war der „Afrikanernasionalisme“ auf verzweifelter | |
Suche nach weißen, männlichen Komponisten, die in der Lage sein sollten, | |
„modern“ zu komponieren. | |
Schließlich kam man auf Arnold van Wyk (1916–1983) und Hubert du Plessis | |
(1922–2011), die beide homosexuell waren – worauf in Südafrika Gefängnis | |
stand –, ansonsten aber tauglich schienen. Der Deal war also: | |
nationalistische Kompositionen gegen freie Wahl der Lifestyles. | |
Drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid brandet an ihrer alten | |
Wirkungsstätte, der Universität Stellenbosch, noch immer eine | |
Deutungsschlacht um die beiden Komponisten. Wer waren Wyk und Plessis, wie | |
politisch war ihre Musik, und überhaupt: Wer hatte im System welche Rolle | |
inne, welche genau? | |
## Eigenes Forschungsinstitut gegründet | |
„Wir haben uns nie darüber geeinigt“, erklärt Stephanus Muller, Professor | |
für Musikwissenschaft. Das Treffen ist außerhalb des Konservatoriums, denn | |
der Fachbereich hat ihn rausgeworfen. Muller gründete dann ein eigenes | |
Forschungsinstitut innerhalb der Uni. Allzu beharrlich hatte er zuvor | |
untersuchen wollen, inwiefern sich die Tradition weißer Seilschaften bis | |
in die südafrikanische Gegenwart fortgeschrieben hat. | |
Sein Kontrahent Winfried Lüdemann, ehemaliger Leiter des Konservatoriums, | |
sitzt in einem abgedunkeltem Büro. Aber es ist gar nicht abgedunkelt, | |
sondern der Strom ist ausgefallen, wie fast jeden Tag. Daher ist mein | |
Gegenüber nur schemenhaft zu erkennen, so als würde es aus einem | |
Schattenreich herübersprechen. Dass sich Wyk und Plessis für nationale | |
Zwecke einspannen ließen, erzählt Lüdemann, sei eher taktischer Natur | |
gewesen. Sie hätten sich halt arrangiert, um in Ruhe komponieren zu können | |
– genau wie ihr russischer Kollege Schostakowitsch in der Sowjetunion. | |
Die „südafrikanische Kunstmusik in der europäischen Tradition“, wie | |
Lüdemann sie nennt, müsse heutzutage erhalten werden wie die Musik jeder | |
anderen ethnischen Minderheit. Dafür aber sollte man sie erst einmal | |
ausreichend analysieren, sagt er und pocht mit dem Zeigefinger auf die vor | |
ihm liegende Partitur. | |
## Parlamentswahlen stehen an | |
Eigentlich ist Südafrika nach der gewonnenen Rugby-WM noch im | |
Siegestaumel. „Nichts bringt unser Land näher zusammen als Rugby“, schrieb | |
mir eine Bekannte nach dem Finalsieg im Oktober 2023. Doch kommende | |
Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. [1][In wenigen Wochen steht eine | |
Parlamentswahl an.] Nelson Mandelas [2][African National Congress (ANC) ist | |
in Südafrika seit 1994 an der Macht] und gilt inzwischen als korrupt. | |
Größte Oppositionspartei ist die Democratic Alliance. Ihr haftet der | |
Verdacht an, in erster Linie die Interessenvertretung der weißen Minderheit | |
zu sein, die in Südafrika noch heute gut 70 Prozent des Farmlandes besitzt | |
und somit zehnfach überrepräsentiert ist. | |
Es geht auch um die Machtverhältnisse hier vor Ort. Das Western Cape – die | |
Gegend um Kapstadt herum – ist die einzige Provinz, in der die Democratic | |
Alliance seit dem Ende der Apartheid fast durchgehend eine Mehrheit hat. | |
Ihre Stimmen erhält sie jedoch nicht nur von Weißen, sondern auch von | |
vielen „Coloureds“. Diese aus der Apartheid stammende Klassifizierung, die | |
in Europa als unkorrekt gilt, fungiert als wichtige Selbstzuschreibung | |
einer ethnisch divers zusammengesetzten Gruppe, unter ihnen die Kapmalaien. | |
Die Regionalregierung des Western Cape versucht, sich vom staatlichen | |
Stromkonzern zu emanzipieren, wie auch von der staatlichen Polizei, wie von | |
eigentlich allem, was der ANC steuert. In letzter Zeit mehren sich sogar | |
Stimmen, die „Cape Independence“ fordern. Wenn die Democratic Alliance bei | |
den Wahlen gut abschneidet, könnte es ein Referendum zu der Frage geben, ob | |
sich die ehemalige Kapprovinz von Südafrika abspalten soll – womit abermals | |
die Diskussion um einen privilegierten Rückzugsort im Raum stehen würde. | |
## Beginnt ein Bürgerkrieg? | |
Wenn das passiert, befürchten viele einen Bürgerkrieg im Land. Eigentlich | |
hat er längst begonnen, jeden Tag gibt es Tote in den Townships. Und schon | |
im Vorfeld der Wahlen wird mit weiteren Ausschreitungen gerechnet. | |
Abseits der Townships gilt am Western Cape das Prinzip der Exklusivität: | |
Gäste aus aller Welt sitzen auf den Terrassen der Weingüter oder räkeln | |
sich an bewachten Traumstränden – und posten dies auf sozialen Medien. | |
In den bessergestellten Vierteln, zwischen Privatschulen und Edelboutiquen, | |
wo sich das private Leben hinter Elektrodrahtzäunen abspielt, ist eine | |
sublimierte Kultur der Segregation wahrzunehmen. Sei es die Reinheit einer | |
Zutatenliste, die biodynamische Speisenfolge oder die geschmackvolle | |
Innenarchitektur mit ihren liebevoll arrangierten Accessoires: Immer geht | |
es darum, eine ganz besondere Auswahl zu treffen und den Rest außen vor zu | |
lassen. | |
Das Prinzip der kuratierten Umgebung gipfelt in der Gartengestaltung. | |
Zwischen exakt assemblierten Blütenensembles finden sich immer wieder | |
altgriechische Elemente: Dorische Säulen stützen die Reben, ein kleiner | |
Hermes speit das Brunnenwasser. Die antiken Versatzstücke in den Gärten des | |
Western Capes sind Bezüge auf ein idealisiertes Europa. Darauf käme in | |
Europa selbst, geschweige denn in Griechenland, kaum noch jemand. | |
## Wie Verweise auf Debussy, Mahler und Schönberg | |
Und so ist es auch mit der Kunstmusik: Sie hat in Südafrika eine viel | |
höhere identifikatorische Brisanz. Die Werke von Arnold van Wyk und Hubert | |
du Plessis klingen wie nostalgische Verweise auf Debussy, Mahler und | |
[3][Schönberg]. So als wären die Stücke in einem dieser Gärten komponiert | |
worden. Die Weißen in ihren beschaulichen Städten und Vororten sind keine | |
in sich homogene Gruppe. Die im 19. Jahrhundert eskalierte Rivalität | |
zwischen Briten und Buren mit ihrer Muttersprache Afrikaans wirkt noch | |
immer. | |
Viele Afrikaaner sind der Meinung, die Briten hätten im Zweiten Burenkrieg | |
(1899–1902) einen Genozid an ihnen versucht. In den „concentration camps“ | |
kamen damals 26.000 Frauen und Kinder ums Leben. Sie waren eingerichtet | |
worden, um die Kampfkraft der burischen Soldaten zu schwächen. Die | |
offizielle Versöhnung nach dem Krieg ging dann recht schnell: 1910 wurde | |
die Südafrikanische Union als nahezu souveräner Staat gegründet und | |
Afrikaans als zweite Amtssprache eingeführt. | |
Die burischen Heeresführer Hertzog, Smuts und Botha wurden nacheinander | |
Premierminister. Fortan teilten sich die Sphären tendenziell auf: Die | |
Wirtschaft war britisch, die Politik afrikaans. Auch wenn die britische | |
Kolonialherrschaft bis dahin bereits rassistisch ausgelegt war, gilt die | |
Parlamentswahl von 1948 als Beginn der institutionalisierten Apartheid. | |
## „Afrikaaner-Boys“ | |
Wyk und Plessis wurden seinerzeit bewusst als „Afrikaaner-Boys“ vermarktet. | |
Es ging darum, einer empfundenen Unterlegenheit gegenüber der britischen | |
Kultur zu begegnen – obwohl beide in England studiert hatten, was bis heute | |
ein Merkmal südafrikanischer Upperclass-Biografien geblieben ist. In den | |
Kompositionen sollten sich also zugleich die europäische Tradition wie auch | |
das ureigene Burische offenbaren. Eine unmögliche Aufgabenstellung, die zu | |
eigentümlich melancholischen Werken führte. | |
Arnold van Wyks recht bekannte „Nagmusiek“ ist ein mäandrierendes | |
Klavierstück, zähflüssig wie Lava, düster wie ein schlechtes Gewissen. Zu | |
dessen Entstehungszeit schrieb Wyk in einem Brief: „Kapstadt ist voll toter | |
Gestalten, die Brandy trinken, um zu vergessen, und sich nach allem sehnen, | |
was aus Übersee kommt“. | |
## Unbrauchbar für Nationalismus | |
Für nationalistische Zwecke scheint diese Musik völlig unbrauchbar, und | |
doch kamen Wyks Kompositionen etwa bei der Eröffnung des | |
Voortrekkerdenkmals zum Einsatz, mit dem sich der burische Nationalismus | |
1949 selbst ein Monument setzte. Seltsame Vorstellung, Wyks | |
todessehnsüchtige Klänge zu diesem Anlass, aber vielleicht auch auf eine | |
Weise passend. | |
Bei der Quellenlektüre der Briefe und Fotos längst verstorbener Komponisten | |
versucht man zu verstehen, wie Politik und Künste sich ineinander spiegeln, | |
was es damals mit sich gebracht hat und was es heute mit sich bringt, wenn | |
die eigenen Werke als Mittel staatlicher Soft Power zum Einsatz kommen. | |
Die Archivarin fragt, ob sie mich fotografieren dürfe. Die Lesebrille solle | |
ich bitte aufbehalten. Später wird auf Social Media gepostet, dass da | |
jemand offiziell aus der Schweiz angereist sei, um Unterlagen zu | |
konsultieren. Ein Repräsentant des alten Europas. | |
26 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Andi Schoon | |
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