# taz.de -- Musikfest Berlin 2015: Warum Schönberg super ist | |
> Das Musikfest Berlin feiert den Komponisten Arnold Schönberg. Der | |
> Begründer der Zwölftonmusik gilt zu Unrecht als Zahlenmensch. | |
Bild: Arnold Schönberg dirigiert das RSO Berlin. | |
Die Musik des 20. Jahrhunderts hat ein Problem. Bis heute. Als einige | |
Komponisten vor gut 100 Jahren zu der Einsicht gelangten, dass die | |
Harmonien verbraucht und an die Grenzen ihrer Ausdrucksmöglichkeiten | |
gelangt waren und sie daher beschlossen, dass Atonalität und die | |
geschmähten Dissonanzen fortan erlaubt sein sollten, erschien ihnen das wie | |
eine zwingende Konsequenz aus dem Lauf der Musikgeschichte. | |
Allerdings gab es große Teile des Konzertpublikums, die mit diesen | |
ästhetischen Innovationen nur sehr wenig anfangen konnten und den atonalen | |
Darbietungen lieber fernblieben. Ganz abgesehen davon, dass eine Reihe von | |
Komponisten der Aufforderung nicht Folge leisten wollten und weiter | |
tonal-harmonische Werke schrieben. | |
Auch 100 Jahre später hat sich an den Gewohnheiten des klassischen | |
Konzertbetriebs wenig geändert, es dominiert das Repertoire aus Klassik und | |
Romantik, sperrige Stücke werden gern in den ersten Programmteil gelegt, um | |
zu verhindern, dass sich der Saal in der zweiten Hälfte des Abends allzu | |
deutlich leert. Die Toleranz für Atonales mag insgesamt größer geworden | |
sein, doch werden derartige Bedürfnisse eher auf Festivals für Neue Musik | |
bedient als im regulären Abonnementkonzert. | |
Wenn das Orchesterfestival Musikfest Berlin in diesem Jahr einen großen | |
Schwerpunkt seines Programms dem österreichischen Komponisten Arnold | |
Schönberg widmet, ist keinesfalls gewiss, dass die Sitzreihen ebenso dicht | |
belegt sein werden wie bei Beethoven oder Schubert. Und das, obwohl sich | |
Schönberg stets auf die „klassischen“ Vorbilder berufen hat und durchaus in | |
ihrer Tradition steht. | |
## Den Fortschritt erhalten | |
Für ihn ging es nie darum, radikal mit der Vergangenheit zu brechen, | |
sondern ihre Errungenschaften zu bewahren und in eine zeitgemäße Form zu | |
bringen. „Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt“, lautete | |
eine von Schönbergs Selbstbeschreibungen. | |
Schönbergs Entwicklung der Zwölftontechnik war eine solche „konservative“ | |
Strategie. Mit ihr wollte Schönberg „die Überlegenheit der deutschen Musik | |
für die nächsten hundert Jahre“ sichern. Die Zwölftontechnik beruht auf dem | |
Prinzip, die zwölf Töne der chromatischen Tonleiter als Reihe zu | |
organisieren. In einer Zwölftonkomposition müssen, grob gesagt, alle Töne | |
der Reihe erklungen sein, bevor sie wiederholt werden dürfen. | |
Dabei hatte Schönbergs Vorgehensweise weniger mit bürokratischem | |
Ordnungsdenken als mit dem Versuch zu tun, die frühere musikalische Logik, | |
in der die Harmonien eine entscheidende Stütze bildeten, durch ein neues | |
Prinzip zu ersetzen. Und das sollte dann Schule machen – vornehmlich im zur | |
Überregulierung neigenden „Serialismus“ der Nachkriegszeit, in dem neben | |
der Tonhöhe auch andere Parameter wie Lautstärke und Tondauer bestimmten | |
Gesetzen unterworfen wurden. | |
## Entwicklung zur Zwölftonmusik | |
Schönbergs Entwicklung hin zur Zwölftonmusik vollzog sich in mehreren | |
Schritten. Beim Musikfest kann man die Etappen, die er auf diesem Weg | |
zurücklegte, detailliert nachvollziehen. Schönberg, der aus einer | |
kleinbürgerlichen jüdischen Familie stammte und Autodidakt war, hatte sich | |
zunächst im Gestus der Spätromantik ausgedrückt. | |
Zu seinen berühmtesten Werken aus dieser frühen Phase gehören sein | |
hochexpressives Streichsextett „Verklärte Nacht“ von 1899 – im | |
Eröffnungskonzert mit der Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim in | |
der Orchesterfassung zu hören – und die durchgeknallt kolossale, zwischen | |
1900 und 1911 komponierte Kantate „Gurrelieder“. Aus diesem | |
Zweistunden-Werk wird das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Marek | |
Janowski das „Lied der Waldtaube“ aufführen. | |
Die „Gurrelieder“ ziehen alle Register im Versuch, Wagner mit dessen | |
eigenen Mitteln noch einmal zu überbieten, was sich auch in der Besetzung | |
niederschlägt, die vier Chöre und ein jeden Orchestergraben sprengendes | |
Orchester vorschreibt. Dabei hatte Schönberg zum Zeitpunkt der | |
Fertigstellung die tonale Musik schon aufgegeben und begonnen mit der | |
„freien“ Tonalität zu experimentieren. | |
## Fragmentierte Orchesterklänge | |
Sein Monodram „Erwartung“ von 1909 mit einem Libretto der Schriftstellerin | |
Marie Pappenheim etwa zeigt eine hoch subjektivierte Tonsprache, die | |
Orchesterklänge sind stark fragmentiert, brechen immer wieder in | |
unterschiedlichste Richtungen aus, wie zur Illustration der wahnhaft | |
anmutenden inneren Regungen der Protagonistin. Das Royal Danish Orchestra | |
wird das Werk mit der Sängerin Petra Lang als Solistin aufführen. | |
In seinen „Fünf Orchesterstücken“ – ein weiteres Stück in Barenboims | |
Programm – aus demselben Jahr experimentiert Schönberg unter anderem mit | |
den Klangverschiebungen durch wechselnde Instrumentenkombinationen. | |
„Klangfarbenmelodie“ nannte er dieses Verfahren später. Damit nahm | |
Schönberg eine weitere Entwicklung der Moderne der Nachkriegszeit vorweg, | |
aus der in den siebziger Jahren die Spektralmusik mit ihren | |
Obertonforschungen hervorgehen sollte. | |
Dabei ging es Schönberg in seiner Zwölftonmusik nie um Technik als | |
Selbstzweck. Er wollte vielmehr „musikalische Gedanken“ ausdrücken, für d… | |
er ein Vokabular entwickelte, das genauso „mathematisch“ war wie der | |
Kontrapunkt der Barockmusik. Und mindestens genauso expressiv. Ein | |
wuchtiges Beispiel für die Emotionalität seiner „Dodekaphonie“ sind | |
Schönbergs „Variationen für Orchester“ von 1928, die ebenfalls unter | |
Barenboim geboten werden. Nüchtern-rationale Musik geht anders. | |
## Bekenntnis zum Zionismus | |
Wie ernsthaft hingegen Schönbergs Wunsch war, dass man seine Melodien | |
„kennt und nachpfeift“, darf bezweifelt werden. Schönberg war wohl einfach | |
ein extremer Charakter: So wurde er, der selbst keine Musikhochschule | |
besuchte, zum einflussreichen Kompositionslehrer und Begründer der „Zweiten | |
Wiener Schule“ mit Alban Berg und Anton Webern als wichtigsten Schülern. | |
Auch der US-Amerikaner John Cage sollte später bei ihm in Los Angeles | |
studieren. | |
Als Jude geboren, konvertierte Schönberg zudem 1899 zum Protestantismus, | |
kehrte jedoch 1933 im Pariser Exil wieder zum Judentum zurück – kurz bevor | |
er mit seiner Familie in die USA emigrierte, wo er bis zu seinem Lebensende | |
blieb. In jungen Jahren verstand er sich als deutscher Nationalist, | |
bekannte sich mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus dann aber | |
entschieden zum Zionismus. | |
Jüdische Themen wurden auch in seiner Musik immer prominenter, angefangen | |
mit seinem 1922 entstandenen Oratorium-Fragment „Die Jakobsleiter“, das | |
beim Musikfest vom Deutschen Symphonie-Orchester unter Ingo Metzmacher | |
gegeben wird. | |
## C-Dur und Verwandtes | |
Die Entwicklung hin zu Zwölftonmusik und Atonalität war übrigens keine | |
ästhetische Einbahnstraße. Besonders in den USA kamen in der zweiten Hälfte | |
des 20. Jahrhunderts diverse Strömungen auf, die sich bewusst wieder an | |
C-Dur und Verwandtes wagten. Neben der Neoromantik und Postmoderne ist es | |
vor allem die Minimal Music, die eine Renaissance der Harmonie befördert | |
hat. | |
Einen Eindruck davon bekommt man an diesem Mittwoch mit Kompositionen der | |
beiden Minimalisten John Adams und Steve Reich, die einen gewissen Kontrast | |
zu Schönberg bilden. Gestört hätte ihn das wohl kaum. Sein Tennispartner in | |
den USA hieß George Gershwin, und der schrieb immerhin die „Rhapsody in | |
Blue“. | |
2 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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