| # taz.de -- Pianist Keith Tippett beim Jazzfest Berlin: Perfektionist ohne Ber�… | |
| > Zwischen freier Form, Prog-Rock und Soundtracks: Der Pianist Keith | |
| > Tippett ist eine prägende Figur des britischen Jazz. | |
| Bild: Prächtiger Backenbart als Markenzeichen: der britische Keith Tippett. | |
| Polizisten haben einen schlechten Ruf. Sie sollen helfen, die öffentliche | |
| Ordnung aufrechtzuerhalten und die Zivilbevölkerung zu schützen, doch | |
| mitunter tun sie das Gegenteil. Das liegt auch daran, dass sie Waffen | |
| tragen. | |
| Auch wenn sie damit meist keine unbewaffneten Bürger erschießen, haftet | |
| ihnen stets ein Ruch von Unberechenbarkeit und der „dunklen Seite des | |
| Gesetzes“ an, wo andere Regeln als Recht und Ordnung gelten. Ob diese | |
| Ambivalenz einen direkten Einfluss auf Keith Tippetts musikalischen | |
| Werdegang hatte, ist ungewiss. Und dennoch erscheint bemerkenswert, dass | |
| der Pianist, der 1947 in Bristol geboren wurde, ausgerechnet einen | |
| Polizisten zum Vater hatte. | |
| Der Sohn sollte in seiner Musik alles andere tun, als bestehende Ordnungen | |
| einzuhalten. Tippett, der heute Abend beim Jazzfest Berlin mit seinem | |
| Oktett spielt, hat fast schon systematisch Grenzen eingerissen und freie | |
| Formen erkundet, die noch weniger Vorgaben folgten als im Free Jazz, der | |
| die Freiheit immerhin im Namen trägt. | |
| Zunächst einmal machte Keith Tippett aber als einer der maßgeblichen | |
| Vertreter des britischen Jazzrock von sich reden. Und nicht einfach bloß | |
| mit Ensembles, die in mehr oder minder traditioneller Jazzbesetzung ein | |
| paar elektrische Instrumente hinzunahmen. Tippett dachte auch bei der Zahl | |
| der Mitwirkenden gern in Größenordnungen, die das herkömmliche Maß hinter | |
| sich ließen. | |
| So versammelte seine programmatisch benannte Formation Centipede 50 | |
| Musiker, die aus den unterschiedlichsten Richtungen kamen. Ihr 1971 | |
| erschienenes Album „Septober Energy“ gilt als Meilenstein des | |
| grenzüberschreitenden Jazz: Herkömmliche Jazzmusiker spielten zusammen mit | |
| Vertretern des Progressive Rock – am Schlagzeug saß etwa Robert Wyatt von | |
| der Artrock-Band Soft Machine –, hinzu kamen Soul-Sängerinnen wie Tippetts | |
| Ehefrau Julie Tippetts – oder klassisch ausgebildete Instrumentalisten. | |
| ## Quecksilbrig durch allerlei Genres | |
| Der heterogenen Herkunft der Beteiligten entsprach die quecksilbrig durch | |
| allerlei Genres mäandernde Musik. Stilistisch bewegte sich dieser Koloss | |
| zwischen atmosphärisch-ruhigen Stellen, Free Jazz-Ausbrüchen und Jazz Rock | |
| im Big-Band-Format. | |
| Tippett kennt kaum Berührungsängste. Ende der Sechziger schon arbeitete er | |
| mit Soft Machine zusammen, und Anfang der siebziger Jahre spielte er auf | |
| drei Alben der Prog-Rock-Institution King Crimson, steuerte wahlweise | |
| lyrische Passagen bei oder lieferte wilde Cluster-Ausbrüche, mit denen er | |
| zum Beispiel dem Song „Cat Food“ von 1970 explosive Energie verlieh. King | |
| Crimson-Chef Robert Fripp zeichnete seinerseits als Produzent von Tippetts | |
| Album „Septober Energy“ verantwortlich. | |
| Keith Tippett, der als Perfektionist lieber noch ein paar Mal öfter übt als | |
| zu wenig, tat sich ebenso mit stilistisch homogener, völlig freier | |
| Improvisation hervor. Sein Projekt Ovary Lodge, in dem unter anderem seine | |
| Frau Julie Tippetts mitwirkte, erkundete offene Formen mit „spontaner | |
| Komposition“. Musik, deren Ausgang unvorhersehbar bleibt, ohne beliebig zu | |
| werden, und bei deren spezifischer Dringlichkeit auch vor Schreien nicht | |
| haltgemacht wird. | |
| ## Tippett und Tippetts | |
| Mit Julie Tippetts spielt Tippett oft im Duo, wobei Tippetts neben ihrer | |
| Stimme diverse Perkussionsinstrumente bedient. Die Namensverwirrung bei dem | |
| Ehepaar erklärt sich übrigens wie folgt: Julie Tippetts begann ihre | |
| Karriere unter ihrem Geburtsnamen Driscoll und nahm bei der Heirat | |
| ihrerseits den Geburtsnamen ihres Mannes an. Der schrieb sich früher | |
| ebenfalls mit einem „s“ am Ende. Doch seit seiner Gründung des Keith | |
| Tippett Sextet 1967 ließ er den Endlaut der leichteren Aussprache halber | |
| einfach weg. | |
| Nach einer „esoterischeren“ Phase in den Achtzigern, in denen Tippett öfter | |
| solo musizierte – als Bipede, wenn man so möchte –, gründete er mit | |
| Mujician eine konventionellere Free Jazz-Formation, die zu seinen | |
| langlebigeren Projekten zählt. | |
| Andere Gründungen blieben kurze Episoden: Mit seinem 22-köpfigen Projekt | |
| Ark spielte er 1978 das Doppelalbum „Frames“ ein, das im Untertitel „Music | |
| for an Imaginary Film“ versprach und als eine konzentriertere Neuauflage | |
| von Centipede betrachtet werden kann. Gelegentlich schrieb er sogar | |
| Soundtracks für Filme, darunter die Komödie „Supergrass – Unser Mann bei | |
| Scotland Yard“ aus dem Jahr 1985. | |
| Neben Kompositionsaufträgen für Orchester oder Streichquartett ist Tippett | |
| auch in der Lehre tätig. So unterrichtete er Musik an der Universität | |
| Bristol. Wobei er sich nicht als Lehrer betrachtet. Er sieht sich vielmehr | |
| als guten „Ausbilder“, der in jungen Leuten die Liebe zur Musik wecken | |
| kann. Was sich auch in der Besetzung seines Oktetts niederschlägt. | |
| 6 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
| ## TAGS | |
| Free Jazz | |
| Jazzfest Berlin | |
| Nachruf | |
| Krautrock | |
| Jazzfest Berlin | |
| Jazz | |
| Musikfest Berlin | |
| Festival Berlin Atonal | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zum Tod von Pianist Keith Tippett: Katzenfutter auf den Tasten | |
| Er war kein Star, aber einer der größten britischen Jazz-Musiker. Jetzt ist | |
| der Pianist Keith Tippett, der Stilgrenzen stets ignorierte, gestorben. | |
| Vinyl-Box der Krautrock-Band Harmonia: Eine späte Ehrung | |
| Verschroben und gelassen – so klang die Musik des Krautrock-Trios Harmonia. | |
| Jetzt wird sie mit einer Werkschau-Box gewürdigt. | |
| Jazzfest Berlin 2015: Jazz als Politikum | |
| Auch am letzten Abend ist noch immer fast jeder Platz der großen Bühne im | |
| Haus der Berliner Festspiele besetzt. Es gibt Standing Ovations. | |
| Auftakt für das Jazzfest Berlin: Lewis stiftet Kreativiät fürs Kollektiv | |
| Der Posaunist George Lewis verwendet Klangbausätze für kollektive | |
| Improvisationen. Er eröffnet mit dem Splitter Orchester das Jazzfest | |
| Berlin. | |
| Musikfest Berlin 2015: Warum Schönberg super ist | |
| Das Musikfest Berlin feiert den Komponisten Arnold Schönberg. Der Begründer | |
| der Zwölftonmusik gilt zu Unrecht als Zahlenmensch. | |
| Shackletons Musikprojekt Powerplant: Luft schnappen oder Atem anhalten | |
| Der britische Produzent Sam Shackleton spielt am Samstag mit seinem neuen | |
| Projekt Powerplant beim Festival Berlin Atonal. |