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# taz.de -- Auftakt für das Jazzfest Berlin: Lewis stiftet Kreativiät fürs K…
> Der Posaunist George Lewis verwendet Klangbausätze für kollektive
> Improvisationen. Er eröffnet mit dem Splitter Orchester das Jazzfest
> Berlin.
Bild: Vor ein paar Wochen in seiner Heimat Chicago und bald auf der Berliner B�…
Seemann werden, das möchte ein junger Afroamerikaner 1942 in der Kleinstadt
Tarboro im Bundesstaat North-Carolina, denn die US-Marine, so hat er
gelesen, würde auch Schwarze aufnehmen.
Für seine Grundausbildung reist er nach Chicago, wird aber abgewiesen: An
Bord sind keine schwarzen Matrosen erlaubt. Erst nach Kriegsende 1945
bereist George Thomas Lewis den Pazifik. Kaum 100 Jahre zuvor war einem
jungen Schwarzen dank Matrosenuniform und falscher Papiere die Flucht aus
der Sklaverei von Maryland nach New York geglückt. Die Autobiografie des
Entflohenen, Frederick Douglass, wird berühmt, sie bewegt G. T. Lewis
Anfang der 1990er Jahre dazu, seine eigene Geschichte aufzuschreiben.
Für seinen Sohn, den Jazzposaunisten George Emmanuel Lewis, ist sie der
entscheidende Anlass, sein Wirken als Musiker und Komponist in der
legendären Chicagoer Association for the Advancement of Creative Musicians
(AACM) mit seinem besonderen Gespür für das in individuellen und
kollektiven Narrativen enthaltene Wissen zu verbinden.
George Lewis spielt Posaune, seit den 80ern nutzt er Computer als
Musikinstrumente und den Camcorder für Videoaufnahmen an allen Orten, die
er als Musiker bereist. Nun wird er auch Chronist der AACM, sein Buch „A
Power Stronger Than Itself“ nennt er eine „Polyphonie“ der Stimmen von ü…
100 MusikerInnen und Weggefährten aus dem Umfeld der AACM. Der Titel „A
Power Stronger Than Itself“ verweist auf die Kraft, die sich im eigenen,
selbstbestimmten Tun ins Werk setzt.
## Nur eigene Musik spielen
Im Mai 1965 formulierte eine Gruppe innerhalb der vom öffentlichen und
akademischen Musikbetrieb systematisch ausgegrenzten Afroamerikaner
Leitgedanken für kollektive Strategien und die Maßgabe, ausschließlich
Eigenkompositionen zu spielen.
Ihre Ideen haben seither nicht an Dringlichkeit eingebüßt, im Gegenteil: Im
Zeichen einer Reihe neuer Formen der Selbstorganisation freischaffender
MusikerInnen, die ihre Integrität unter zunehmend prekären
Produktionsbedingungen und sporadischer medialer Aufmerksamkeit wahren
wollen, sind die Ideen der AACM auch diesseits des Atlantiks maßgeblich für
die Fortentwicklung künstlerischen Selbstverständnisses und gewinnen neue
Bedeutungsebenen hinzu. Dass die Bestrebungen der AACM auch für die 25
MusikerInnen des Berliner Splitter Orchesters ein Identifikationsangebot
darstellen, zeigt ihre Einladung an George Lewis zur Zusammenarbeit für die
Aufführung seiner Komposition „Creative Construction Set™“ heute beim
Jazzfest Berlin.
Lewis wurde 1971, im Alter von 19 Jahren, in die AACM aufgenommen und
besuchte die organisationseigene Schule. „In der AACM gab es ein
ungeschriebenes Gesetz“, erzählt er im Gespräch nach einer der ersten
Proben mit dem Splitter Orchester in Berlin. „Es war nicht erlaubt, in
einem Konzert etwas anderes als Eigenkompositionen zu spielen.
Die Idee von Original Music basierte auf der Überzeugung, das
afroamerikanische Erbe im Jetzt zu kreieren. An der Schule wurde
Komponieren geübt, eigene Ideen sollten ausgearbeitet werden. Ohne
Konkurrenzdruck, man hat gelernt ein Konzert zu gestalten, Stücke zu
schreiben, geeignete Musiker dafür zu finden, zu proben und herauszufinden,
wie die Musik funktioniert. Für all das hat man Verantwortung übernommen
und daraus gelernt, wie die anderen es machen.“
## Offene Struktur für gemeinsame Improvisation
Mit Blick auf seine Laufbahn hebt George E. Lewis hervor: „Heute leite ich
die Abteilung für Komposition im Fachbereich Musik an der Columbia
University in New York. Für einen afroamerikanischen Komponisten war das in
den 60er und 70er Jahren undenkbar.“
Mit seinem „Creative Construction Set™“ übergibt Lewis den MusikerInnen
einen Satz an Werkzeugen für die gemeinsame Konstruktion der Musik im Sinne
einer Bauweise. Die Hommage an das aus der AACM hervorgegangene Ensemble
Creative Construction Company um den Multi-Instrumentalisten Anthony
Braxton ist angelegt als offene Struktur zum Erzeugen einer Klangumgebung
durch Improvisation und Unbestimmtheit. Die Ausführung basiert auf 32
Karten mit Spielanweisungen, deren Reihenfolge jedeR PerformerIn selbst
bestimmt, Weisungen zur Entfaltung, Kontrastierung und Verquickung von
Sounds nehmen den größten Raum ein.
Lewis’ Trademark im Titel ist ironisch zu verstehen, es unterstreicht: Hier
wird Wissen im Augenblick geschaffen und freigiebig in Umlauf gebracht. Die
Performance kreiert einen berührenden Sog, in dem man Zeuge des
gegenseitigen Zuhörens der MusikerInnen wird. Mehr Sinnstiftung zum Auftakt
für das Jazzfest Berlin unter dessen neuem Leiter Richard Williams ist kaum
vorstellbar.
5 Nov 2015
## AUTOREN
Franziska Buhre
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Jazz
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