| # taz.de -- Die Musikerin Maja Osojnik: Rehabilitation der Blockflöte | |
| > Maja Osojnik verbindet auf ihrem Debütalbum „Let them Grow“ elektronische | |
| > Sounds mit Flötenspiel und vielstimmigem Gesang. | |
| Bild: Tiefe Konzentration, ihre Hände führen ihre musikalischen Ideen aus: Ma… | |
| Es waren gerade zehn Tage Krieg, da berieten sich die Eltern von Maja | |
| Osojnik, wie sie ihre Kinder aus der slowenischen Stadt Kranj | |
| schnellstmöglich über die Grenze nach Österreich in Sicherheit bringen | |
| konnten, sollten die Kampfhandlungen Leib und Leben bedrohen. Damals, im | |
| Sommer 1991, lieferten sich die slowenischen Streitkräfte heftige Gefechte | |
| mit der jugoslawischen Volksarmee an den Grenzen zu Österreich, Kroatien | |
| und Italien. Slowenien hatte zuvor seine Unabhängigkeit erklärt, die im | |
| Oktober 1991 schließlich in Kraft trat. | |
| Maja Osojnik war zu jener Zeit 15 Jahre alt. „Als ich nach Österreich kam, | |
| habe ich gemerkt, dass Geschichte immer von Siegern diktiert wird“, sagt | |
| sie am Telefon in Wien, wo sie seit 1995 lebt. „Europa ist wieder voller | |
| Zäune, in wenigen Generationen sind wir wieder zu einer Klassengesellschaft | |
| geworden. Das tut mir momentan sehr weh.“ | |
| Von einem anderen Schmerz handelt der Titelsong ihres Debütsoloalbums, „Let | |
| Them Grow“. Darin kommt das Wort Krieg auch vor. Inmitten von Salven aus | |
| verzerrten Klängen, wuchtigen Bässen und massigen Schlagzeug-Schüben erhebt | |
| sich Osojniks dunkle Stimme mit barocker Fülle zu einer Anrufung der | |
| eigenen Hände. Sie wachsen, um den eigenen Körper ganz zu umfangen, der | |
| nach einem Abschied von einem Menschen einen Krieg gegen das eigene Selbst | |
| austrägt. | |
| ## Unaufhaltsame Hände | |
| Die Hände sind unaufhaltsam, mit ihrem Wachstum entfaltet der Song | |
| unbändige Kraft. Osojniks Texte über Aggregatzustände des Empfindens | |
| klingen hinreißend poetisch: Ein wechselhaftes, aber stets unverkennbares | |
| Ich gefriert darin, zersplittert, unsichtbar. Es verflüssigt sich oder | |
| entgleitet bei klarem Bewusstsein in den letzten Schlaf. Hände kommen auch | |
| in zwei weiteren Songs ihres Albums vor. | |
| Osojniks Schimpftirade auf Klischeebilder von Frauen und Männern in | |
| Popsongs in „Condition I“ orchestriert die Wiener Elektronikmusikerin | |
| Tamara Wilhelm mit Noise an der Schmerzgrenze. Der verweigerte Handschlag | |
| ist eine erste Geste im Kampf gegen Inbesitznahme von geistigen Eigentum. | |
| Umwogt von Geräuschen, Tönen und Drones, die Osojnik auf kaputten Klavieren | |
| erzeugt, singt sie in „Nothing is finished until you see it“ vom Versagen | |
| der Hände bei dem Versuch, sich zu lösen. | |
| „Hände sind für mich sehr besondere Körperteile, intim und fragil“, erz�… | |
| Osojnik. „Die Hände führen meine Gedanken aus, im Endeffekt bin ich | |
| Handwerkerin.“ Ihre Selbstbeschreibung reicht vom Hantieren mit einem | |
| Set-up aus diversen Kassettenrekordern, Loopmaschinen und Effektpedalen in | |
| Live-Performances über die Anfertigung traditioneller Notationen, | |
| grafischer Scores für Sound-Installationen, bis hin zum Katalogisieren von | |
| Feldaufnahmen, gespielten Resonanzobjekten, Audio-Files verzerrter Sounds | |
| oder Feedbacks zu weit verzweigten Klang-Bibliotheken. | |
| Zentrale Inspiration für „Let Them Grow“ ist das Stück „I am sitting in… | |
| room“ von Alvin Lucier (1969), in welchem der Komponist seine Narration | |
| aufnimmt, in einem Raum abspielt und erneut aufnimmt, wodurch die | |
| Raumfrequenzen im Prozess der Wiederholungen auf der Tonspur hörbar werden. | |
| „Ich lasse gerne Maschinen für mich arbeiten und reagiere spontan auf sie. | |
| Einerseits bin ich ein totaler Kontrollfreak, überlasse aber auch dem | |
| Zufall eine Rolle, wenn ich meine Stimme verfremde, damit live spiele und | |
| mich wieder aufnehme“, sagt Osojnik. | |
| ## Dynamik durch Tricks | |
| Ihre Lust an handgemachter Musik hat jedoch zuerst ein Instrument | |
| ausgelöst, das Fingerspitzengefühl verlangt – die Blockflöte. Osojnik lernt | |
| sie als Kind, in Slowenien hängt der Blockflöte kein solch katastrophaler | |
| Ruf an wie in anderen Ländern. „Sie verlangt vom Menschen, sich eher | |
| zurückzunehmen. Die Blockflöte ist kein lautes Instrument, man muss Dynamik | |
| durch Tricks hervorbringen und lernen, die Intonation mit den Fingern ganz | |
| fein zu schattieren. Das hat von mir verlangt, mich zu zügeln und | |
| gewissermaßen zu implodieren.“ | |
| Bald spielt sie in einem Ensemble der Musikschule in Kranj und schließt | |
| dort Bekanntschaft mit der Alten Musik, die bis heute Teil ihrer Identität | |
| ist. „Ich liebe spezialisierte Abläufe und architektonische Strukturen. | |
| Darin ist die Alte Musik elektroakustischer oder akusmatischer Musik | |
| ähnlich.“ Mit Begeisterung spricht sie von gegeneinander verschobenen | |
| Metren und dem polyfonen Gesang verschiedener Texte in der Ars subtilior | |
| des 13. und 14. Jahrhunderts oder von den ersten Opern Claudio Monteverdis. | |
| Auf „Let Them Grow“ erklingt sie vielstimmig, im Kanon mit sich selbst, | |
| manchmal gewinnt die Polyfonie die Oberhand über die Entschlüsselung | |
| einzelner Textpassagen. | |
| ## Eigenleben der Stimmbänder | |
| Als Jugendliche will Maja Osojnik unbedingt singen, ihre Stimmbänder jedoch | |
| führen ein Eigenleben und nach negativen ärztlichen Inspektionen ist ihr | |
| Traum scheinbar besiegelt. Sie macht Straßenmusik in einem Blockflötentrio | |
| und singt im Duo mit einem Gitarristen. Nach Abschluss der Schule wagt sie | |
| ohne feste Bleibe, Deutschkenntnisse und Geld 1995 das Vorspiel bei dem | |
| Flötisten Hans Maria Kneihs an der Hochschule für Musik in Wien und wird | |
| angenommen. Sie stürzt sich in die Szenen von Neuer Musik, Improvisation | |
| und Jazz, nimmt klassischen Gesangsunterricht und studiert Jazzgesang am | |
| Wiener Konservatorium. | |
| Als erstes interpretiert sie Gedichte slowenischer Poeten. Ein Gedicht von | |
| Srečko Kosovel aus den 1920er Jahren, „Rdeča raketa“ (Rote Rakete), gibt | |
| ihrem Duo mit dem Bassisten Matija Schellander den Namen. In ausgeklügelten | |
| Experimenten kreieren sie mit Electronics, Bass und Feldaufnahmen kuriosen | |
| Kammer-Krach, Osojnik spielt außerdem Bassblockflöte, kurz: Paetzold. Auch | |
| auf „Let Them Grow“ kommt sie zum Einsatz. Das Instrument verlangt mehr | |
| Atemluft und spezielle Grifftechniken, dafür bietet es Material und | |
| Klangtexturen für Live-Sampling. | |
| Die Paetzold hat sie meistens dabei, wenn sie eine Bühne betritt, auf | |
| Laptop oder das Computerprogramm Ableton verzichtet sie dabei, wohlgemerkt. | |
| Vielmehr tauscht sie sich mit dem Schlagzeuger Patrick Wurzwallner über die | |
| Klangquellen aus. „Ich spiegele die Songs, nähere mich ihnen oder verlasse | |
| sie, so bleibt das Material lebendig“, sagt Maja Osojnik. Ihre Devise bei | |
| jedem Konzert: „Ich muss schrauben.“ | |
| 16 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Franziska Buhre | |
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