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# taz.de -- Komponist Alvin Lucier über Avantgarde: „Ich liebe die Gipsy Kin…
> Alvin Lucier nutzt in seiner Musik den Klang von Räumen. Ein Gespräch
> über Echos, Pop und One-Hit-Wonder der Neuen Musik.
Bild: Hier sitzt er nicht in einem Raum: der Komponist Alvin Lucier
taz: Herr Lucier, wenn Sie in einem Raum wie diesem Restaurant sitzen,
nehmen Sie ihn dann unter musikalischen Gesichtspunkten wahr?
Alvin Lucier: Eigentlich nicht. Da muss ich Sie enttäuschen. Ich werde auch
oft gefragt, ob ich mich für Architektur interessiere. Dann sage ich stets:
Nein, eher nicht. Ich höre den Raum, wenn ich ihn betrete. Doch das ist
nicht mein Lebensinhalt.
Eines der Stücke, das ständig mit Ihrem Namen in Verbindung gebracht wird,
ist Ihr frühes Werk „I am sitting in a room“. Darin wird die
Tonbandaufnahme eines Texts im Konzertsaal abgespielt und gleichzeitig neu
aufgenommen. Dieser Vorgang wird so oft wiederholt, bis die Resonanzen im
Raum so dominant sind, dass man die Sprache nicht mehr erkennt. Fühlen Sie
sich manchmal wie ein One-Hit-Wonder der Neuen Musik?
Manchmal. Das Stück habe ich tatsächlich sehr oft gespielt, auch in Berlin,
unter anderem im Podewil. Vor ein paar Tagen war ich in Moskau, da
interessierten sie sich vor allem für mein erstes Stück, das
Alphawellenstück „Music for solo performer“ für Gehirnströme. Zusammen m…
„I am sitting in a room“ und „Vespers“, in dem ich Geräte zur Echoortu…
benutze, waren diese frühen Stücke ein Durchbruch für mich. Später haben
mich Musiker gebeten: Schreib uns ein Stück. Und ich dachte: Das ist eine
gute Idee. Daher habe ich ebenfalls Instrumentalstücke gemacht.
Als Sie anfingen zu komponieren, schrieb man Musik vornehmlich für
traditionelle Instrumente. Mit der Technik von heute benötigt man keine
musikalische Ausbildung mehr, um Musiker zu sein. Was halten Sie davon?
Ich bin froh, dass ich als Musiker und Komponist klassisch ausgebildet
wurde. Ich nehme das sehr ernst, wenn ich Noten schreibe. Für mich war
diese Ausbildung sehr hilfreich. Ich habe gern mehrstimmige Fugen im Stil
des 16. Jahrhunderts komponiert. Das ist wie ein Puzzle lösen. So etwas ist
sehr wichtig.
Steht Ihre Arbeit mit den Resonanzen von Räumen in der Vokaltradition des
16. Jahrhunderts, als man Chorsänger im Raum verteilt aufgestellt hat?
Ein bisschen. Viele meiner Entscheidungen beruhen aber auf Erfahrung. Als
Schüler spielte ich in einer Blaskapelle. Wir begannen in einem Tunnel zu
spielen und gingen dann hinaus aufs Football-Feld. Ich selbst war
Schlagzeuger. Das Echo war herrlich, wie es sich räumlich veränderte. Ich
war auch Chorleiter. Beim Proben eines Bachstücks etwa suchte ich dann
stets nach dem richtigen Tempo. Wenn man in einer Kirche auftritt, muss man
der Akustik wegen etwas langsamer werden. Das waren sehr konkrete
Erfahrungen, nichts Theoretisches.
Waren Sie damals von neuen Technologien inspiriert?
Nein. Ich hatte einfach Ideen und musste dann herausfinden, wie ich sie
verwirklichen konnte. Das Stück „Music on a long thin wire“ ist von einem
Monochord inspiriert, einem Instrument mit nur einer Saite. Ich dachte:
Wie, wenn die so richtig lang wäre? Also machte ich sie richtig lang,
manchmal 30 Meter. Dann setzte ich einen Magnet daran, damit der Draht zu
vibrieren anfing. In Zürich, wo ich letztes Jahr war, fragte man mich: „Wie
sieht Ihr Labor aus?“ Aber ich habe gar kein Labor!
Bei Ihrem Konzert heute Abend gibt es neuere Werke von Ihnen zu hören, für
traditionelle Instrumente geschrieben. Was hat Ihr früherer Ansatz mit
Ihrer mikrotonalen Stimmung von heute zu tun?
Nun, das ist ein anderes akustisches Phänomen. Die Musiker spielen einfach
lang gehaltene Töne. Ich habe früher mit dem Cellisten Charles Curtis
gearbeitet. Er meinte damals zu mir: „Wenn du zu viele Noten schreibst,
muss ich zu sehr aufpassen. Ich will hören, was ich mache! Halt die Sachen
daher einfach.“ Bei komplizierten Stücken wie denen von Brian Ferneyhough
haben die Musiker so viel damit zu tun, ihre Noten richtig zu spielen, dass
sie die kaum noch hören.
Zu den Musikern, die lange Töne spielen, gehören auch die Drone-Gitarristen
Stephen O ’Malley und Oren Ambarchi, zwei prominente Mitspieler des Ever
Present Orchestra, das heute Abend auftritt. Sehen Sie die als Anhänger?
Ich weiß es nicht, sie spielen einfach gern das Stück, das ich für sie
geschrieben habe. Ich freue mich, dass Musiker aus anderen Richtungen so
etwas gern spielen. Ich habe“I am sitting in a room“ mal am MIT gespielt.
Hinterher kam ein Junge zu mir und sagte: „Das war cool!“ Zwei Wochen
später schickte er mir seine Version des Stücks, die hatte er am Computer
gemacht. Ich dachte mir: Wenn ich 86 Jahre alt bin und ein Zehnjähriger
meine Musik mag, ist das doch mal ein Erfolg.
Hören Sie eigentlich die Neue Musik von heute?
Immer weniger. Schrecklich. Stücke mit zu vielen Noten. Warum machen die
das? Aber ich höre viel Pop.
Was denn?
Ich mache Übungen am Trainingsgerät, und dafür brauchst du einen Beat. Das
gibt dir Energie. Die Gipsy Kings zum Beispiel. Die höre ich. Ich bin auch
zu ihrem Konzert in New York gegangen. Ich liebe sie.
Gibt es bestimmte Musik, die Sie nicht mögen?
Ich höre bestimmte Musik zu bestimmten Zeiten. Ich mag Country, Willie
Nelson. Sehr guter Sänger. Waylon Jennings. Auch ein guter Sänger. Wenn ich
im Westen bin, höre ich das.
Der Komponist Helmut Lachenmann hat öffentlich sein Missfallen an Pop
bekundet. Sie sehen das wohl anders.
In Indien zum Beispiel gibt es verschiedene Musik je nach Tageszeit, einen
Morgen-Raga oder einen Abend-Raga. Oder zur Hochzeit. Dazu würde man ja
auch nicht Helmut Lachenmann spielen. Ich finde, er hätte das nicht sagen
sollen. Das ergibt doch keinen Sinn. Jemand wie O’Malley ist ein toller
Musiker, egal, was er sonst spielt.
10 Oct 2017
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Avantgarde
Komponist
Neue Musik
Musik
Krimi
Pop
Jazz
Yoga
New York
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