# taz.de -- Musik von Xiu Xiu: Dämonen im Krematorium | |
> Xiu Xiu hat im Berliner Silent Green den ikonischen „Twin | |
> Peaks“-Soundtrack reinterpretiert: Noise, Postrock und zarte Momente. | |
Bild: Allerlei Keyboards für die ikonischen Motive – und um sie unter Elektr… | |
„Das ist der Treppenausgang zu Lauras Zimmer.“ So erklärt ein junger Mann | |
das hinter die Bühne projizierte Bild. Seine Begleitung ist nicht | |
überzeugt. Während das Publikum wartet, was das kalifornische | |
Experimental-Pop-Projekt Xiu Xiu mit Angelo Badalamentis ikonischem „Twin | |
Peaks“-Soundtrack anstellt, wird manche Erinnerung an die TV-Serie | |
ausgegraben und abgeglichen. | |
Man unterhält sich gespannt und leicht gedämpft; die Kuppelhalle des | |
unlängst zum Veranstaltungsort Silent Green umgebauten Krematoriums Wedding | |
stimmt die Anwesenden offenbar ehrfürchtig. Zumindest in den USA wirkt die | |
Faszination der Serie bis heute: Mindestens die Hälfte des Publikums | |
spricht englisch – und die meisten von ihnen waren höchstens im | |
Kindergarten, als „Twin Peaks“ Anfang der 1990er erstmals ausgestrahlt | |
wurde. | |
Mit schrägem Personal und einer nicht minder schrägen Mystery-Geschichte | |
hatten David Lynch und Mark Frost, die Erfinder der Serie, seinerzeit in | |
einem Kleinstadtuniversum eine Welt geschaffen, die heimelig und zugleich | |
unheimlich war und mit der sie das Format von Fernsehserien | |
revolutionierten. Ohne Badalamentis Musik (die sich wie wohl kein anderer | |
Soundtrack ins popkulturelle Gedächtnis eingegraben hat und Bands bis heute | |
beeinflusst) wäre „Twin Peaks“ jedoch nicht das Phänomen, das es ist. | |
Vergangenes Jahr also wurden Xiu Xiu eingeladen, diese Musik neu zu | |
interpretieren, für eine Museumsretrospektive im australischen Brisbane mit | |
dem Titel „David Lynch: Between Two Worlds“. Auch wenn sie für die | |
„Twin-Peaks“-Interpretation zu dritt auf der Bühne stehen: Xiu Xiu ist das | |
geistige Kind von Jamie Stewart, der sich durch seinen Output der letzten | |
15 Jahre für diese Auftragsarbeit empfohlen hat. | |
## Verzerrer, White Noise und Elektrospielereien | |
In seinem schwer kategorisierbaren Werk gehen Drama und Dekadenz Hand in | |
Hand. Gelegentlich klingt das zugänglich, oft aber fordert Stewart den | |
Hörer mit einer Mischung aus Noise, Postrock und zarten Momenten – und mit | |
seinen Themen, die da heißen: innere Dämonen, Missbrauch und Einsamkeit. | |
Was eben so schwelt in der Welt von Twin Peaks. | |
Stewart und seine Mitmusikerinnen Angela Seo und Shayba Dunkelman eröffnen | |
das Set mit „Laura Palmer’s Theme“. Durch den graden Bassbeat, den sie | |
unterlegen, bekommt das Stück etwas fast Technoides. Der | |
Wiedererkennungswert ist dennoch hoch – wenn auch nicht durchgehend über | |
die nächsten knapp anderthalb Stunden. Die berühmten Motive von Badalamenti | |
tauchen hin und wieder an der Klangoberfläche auf, um dann erneut unter | |
verzerrten Gitarren, White-Noise-Rauschen und Elektronikspielereien | |
begraben zu werden. Über weite Strecken entwickelt das einen Sog, von dem | |
man sich bereitwillig ansaugen lässt. | |
Stewart, der die ganze Zeit guckt, als sei ihm Peaks-Dämon Bob im Spiegel | |
begegnet, tauscht gelegentlich Instrumente mit seinen Mitmusikerinnen. Die | |
Gitarre kreischen zu lassen, bleibt jedoch sein Vorrecht. Ebenso wie | |
gelegentlich selbst zu kreischen. Seine Gesangeinlagen haben etwas | |
Opernhaftes, auf Dauer wirkt das etwas albern. Einmal guckt er so | |
angestrengt gequält, man möchte lachen. Doch alle anderen schauen ganz | |
ernst. | |
## Wo bleibt die Leichtigkeit? | |
Als das Publikum doch einmal kichert, weil auf dem an die Wand geworfenen | |
Treppenhaus der Hinweis aufpoppt, dass die Performance des Rechners von | |
einem neuen Betriebssystem profitieren würde, wird klar, was diesem Konzert | |
fehlt – zumindest wenn man mit einer durch „Twin Peaks“ gefütterten | |
Erwartungshaltung nicht als Xiu Xiu-Fan gekommen ist: Humor, Selbstironie | |
und eine Leichtigkeit, die die Serie bei aller Abgründigkeit hatte und die | |
Badalamenti mit seinem loungig-luftigem Jazz perfekt vertont hatte, in dem | |
dräuendes Unbehagen mitschwingt, aber oft nur Ahnung bleibt. Von dieser | |
Ambivalenz findet man an diesem Abend nichts wieder. | |
Angeblich sollte mit ihr vor allem das Chaos, das Drama von „Twin- Peaks“ | |
betont werden. Tatsächlich treibt bei Xiu Xiu das Schreckliche | |
offensichtlicher an die Oberfläche, als das beim düster-romantischen | |
Soundtrack der Fall ist. Badalamentis Score, so hat Stewart erklärt, sei so | |
perfekt, daran könne man sowieso nicht anknüpfen. Natürlich ist der Sinn | |
einer Interpretation nicht, das Original zu kopieren. Doch in diesem Fall | |
ist die Ambivalenz, die schön und wichtig war, weil sie Spannung erzeugte, | |
abhanden gekommen. Das Ergebnis dieser Bearbeitung ist beeindruckend | |
freudlos. Wo nur Schatten, da ist eben auch kein Licht. | |
17 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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