| # taz.de -- Kinotipps für Berlin: Paläste, Wunder und eine Kuh | |
| > Das Babylon Mitte zeigt Filme des Jahres 1921. In Potsdam widmet man sich | |
| > dem frühen Farbfilm. Und beim Festival „Fracto“ geht es um das | |
| > Experiment. | |
| Bild: In Woltersdorf nahe Berlin gedreht: „Das indische Grabmal“ von Joe May | |
| „100 Jahre Stummfilm“, eine aktuelle [1][Filmreihe im Babylon Mitte] bei | |
| überwiegend freiem Eintritt. Aber Moment mal, hat sich da nicht jemand um | |
| schlappe 26 Jahre verrechnet? Nein, man hat nur einen reichlich | |
| missverständlichen Reihentitel gewählt: Das Kino zeigt dort ausschließlich | |
| Filmproduktionen des Jahres 1921 – und ja, das ist hundert Jahre her, und | |
| damals gab es auch noch keinen Tonfilm. | |
| Aber es gab „der Welt größten Film“, jedenfalls laut zeitgenössischer | |
| Werbung für den Zweiteiler „Das indische Grabmal“, den der aus Wien | |
| stammende Produzent und Regisseur Joe May auf seinem Studiogelände in | |
| Woltersdorf nahe Berlin gedreht hatte. | |
| Der Filmarchitekt Martin Jacoby-Boy errichtete dort prunkvolle Paläste, | |
| Tempel und Pagoden für die Geschichte des finsteren Maharadschas von | |
| Eschnapur (Conrad Veidt), der von einem europäischen Architekten ein | |
| Grabmal für seine untreue Geliebte bauen lassen will. | |
| Der Gigantismus einer Filmproduktion wie dieser hatte übrigens durchaus | |
| etwas mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg zu tun: Damals versuchte man, mit | |
| ausländischem Kapital in Deutschland preiswerte aber konkurrenzfähige Filme | |
| für den internationalen Markt zu drehen. | |
| Denn Deutschland war ein Billiglohnland. Immerhin: Es entstand ein Prototyp | |
| des großen deutschen Abenteuerfilms, wovon nicht zuletzt auch die Remakes | |
| von Richard Eichberg (1938) und Fritz Lang (1958) Zeugnis ablegen (25. 10., | |
| 20 Uhr (Teil 1), 21.30 Uhr (Teil 2), Babylon Mitte). | |
| Historisch wird es auch am 27. 10., dem UNESCO-Welttag des audiovisuellen | |
| Erbes. Jedenfalls im Filmmuseum Potsdam, wo man sich [2][dem frühen | |
| Farbfilm widmet]. „Mystery of the Wax Museum“ von „Casablanca“-Regisseur | |
| Michael Curtiz entstand 1933 mit einer ausgeklügelten Farbdramaturgie und | |
| exquisiten Wachsmuseums- und Laboratiums-Dekorationen von Anton Grot in | |
| 2-Farb-Technicolor. | |
| Man hatte also noch nicht das ganze Spektrum der Farben zur Verfügung, | |
| sondern vor allem Rot, Grün und alle daraus resultierenden Mischfarben. Das | |
| funktioniert allerdings ganz wunderbar, wenn der wahnsinnige Bildhauer Ivan | |
| Igor (Lionel Atwill), der sein bei einem Feuer schrecklich verunstaltetes | |
| Gesicht hinter einer Maske verbirgt, die hübsche Charlotte Duncan (Fay | |
| Wray) in eine Wachsfigur der Königin Marie Antoinette verwandeln will. | |
| Kein Wunder, dass seine Figuren immer für ihre Lebensechtheit gerühmt | |
| werden! Wer sich für Informationen zu frühen Farbsystemen im Kino | |
| begeistert, | |
| mag vielleicht auch dem vorangehen [3][Vortrag von Prof. Dr. Ulrich Reidl] | |
| von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin lauschen: „Farbe im | |
| Film – Von den Anfängen bis Technicolor“ (27.10., 19.30 Uhr (Vortrag), 21 | |
| Uhr („Mystery of the Wax Museum“), Filmmuseum Potsdam) | |
| Vom 21. bis 24. 10. findet das FRACTO Experimental Film Encounter in seiner | |
| [4][fünften Ausgabe im Kunsthaus ACUD] statt. Thema des Festival ist der | |
| Begriff der Aneignung, etwa von Found-Footage-Material oder von | |
| historischen Orten. Das kann sehr zeitsparend sein: „Kinematograph“ von | |
| Distruktur (Melissa Dullius & Gustavo Jahn) zeigt etwa Werbeschilder und | |
| Plakate – 2420 Bilder in einer Minute und einundvierzig Sekunden. | |
| Die deutsche Experimentalfilmerin Ute Aurand hat mit „Glimpses from a Visit | |
| to Orkney in Summer 1955“ eine kleine Hommage an die schottische | |
| Filmemacherin und Autorin Margaret Tait (1918-1999) im Programm: Rosen, | |
| eine Kuh, ein 360-Grad-Schwenk durch die Landschaft und Margaret Tait beim | |
| Tee – verwendet hat Aurand auch Material, an dem die beiden Regisseurinnen | |
| damals gemeinsam arbeiteten. | |
| Im Zentrum von „Es gibt“ der dänisch-deutschen Regisseurin Lena Ditte | |
| Nissen steht ebenfalls eine Filmemacherin: Die heute 88jährige Margaret | |
| Raspé gehört zu den Pionierinnen des feministischen Experimentalfilms. | |
| Es geht um ihre Weltwahrnehmung und den ihr wichtigen Begriff des | |
| Automatismus – etwa in ihren in Trance entstandenen Zeichnungen (23. 10., | |
| 20 Uhr: Progamm „Transfiguration“ mit „Kinograph“ und „Es gibt“; AC… | |
| Studio, 24. 10., 20 Uhr: Programm „The Personal Is Radical“ mit „Glimpses | |
| from a Visit to Orkney in Summer 1955“, ACUD Kino) | |
| 22 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://babylonberlin.eu/programm/festivals/stummfilmlivefestival | |
| [2] https://www.filmmuseum-potsdam.de/index.php?id=68490830b13316131186001d907f… | |
| [3] https://www.filmmuseum-potsdam.de/index.php?shortCutUrl=Vortrag-Farbe-im-Fi… | |
| [4] https://fractofilm.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Lars Penning | |
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