| # taz.de -- Koalitionsverhandlungen in Berlin: Fünf Jahre große Pause | |
| > Rot-Grün-Rot einigen sich auf Lehrerverbeamtung, außerdem will man „Ruhe�… | |
| > in die Schulen bringen. Übernehmen will das schwierige Ressort niemand. | |
| Bild: Großer Gewinn? Die Verbeamtung kommt ab 2023/24, ihr Nutzen bleibt umstr… | |
| Berlin taz | Mit einem akademischen Viertelstündchen Verspätung schritten | |
| die Chefverhandlerinnen am Mittwochmorgen vor die Mikrofone, um Auskunft zu | |
| geben über den [1][Fortgang der rot-grün-roten Koalitionsgespräche]. | |
| Unpassend war das nicht, denn im erstaunlich pinkfarbenen Konferenzraum | |
| einer großen Hotelkette unweit der Oberbaumbrücke ging es um den | |
| Themenkomplex Bildung und Wissenschaft. Dass auch hier lange gebrütet | |
| worden war, sah man Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und | |
| Katina Schubert (Linke) kaum an. Aber, wie Giffey bemerkte: „Vier Stunden | |
| Schlaf müssen auch reichen.“ | |
| Über „grundsätzliche Punkte“ habe man sich verständigen können, sagte e… | |
| aufgeräumte Giffey. Letzte strittige Dinge werde man am Freitag in der | |
| Schlussrunde klären. Konkret habe man die Entscheidung über einen | |
| gebührenfreien Hort für die Klassen 3 bis 6 vertagt, sagte Giffey. Die | |
| Klassen 1 und 2 sind bereits kostenbefreit in Berlin. | |
| Die designierte Regierende machte bei der Gelegenheit auch gleich klar: | |
| „Wir werden Dinge haben, die nicht gehen. Wir haben die Verantwortung, | |
| einen tragfähigen Finanzrahmen für die nächsten fünf Jahre vorzulegen.“ | |
| Zumal der Spielraum durch Corona enger geworden sei. | |
| Endgültig verständigt hat man sich indes auf die [2][Rückkehr zur | |
| Verbeamtung der Lehrkräfte]. Ab dem Schuljahr 2023/24 soll das gelten. | |
| Geld, Finanzlage hin oder her, wird die künftige Koalition dafür in jedem | |
| Fall lockermachen: „Das haben wir vor die Klammer gezogen“, sagte Jarasch. | |
| Will heißen: Im Zweifel wird woanders gespart. | |
| Tom Erdmann, Landesvorsitzender der Gewerkschaft GEW, nennt das „die größte | |
| personalpolitische Maßnahme der letzten Jahrzehnte“. Er befürchtet, dass | |
| die Unruhe in den Lehrerzimmern gewaltig sein dürfte – weil einige Tausend | |
| wegen Alter oder Vorerkrankungen nicht verbeamtet werden. Giffey sprach von | |
| „Entlastungsstunden“ für diese Gruppe, aber der GEW reicht das nicht: Da | |
| müsse mehr kommen, etwa über tarifliche Zulagen gesprochen werden. | |
| ## Rieseninvestition Verbeamtung | |
| Zugleich ist die Verbeamtung eine Rieseninvestition, deren Nutzen | |
| überschaubar bleiben könnte – Linken-Landeschefin Katina Schubert schaute | |
| am Mittwoch daher nicht glücklich. Erdmann drückte es so aus: „Die | |
| Verbeamtung ist eine Salbe, die gut aussieht, aber nichts heilt.“ | |
| Ganz anders sieht das Arnd Niedermöller, Vorsitzender der Vereinigung der | |
| Oberstudiendirektoren Berlin. „Das ist ein dringend notwendiger Schritt.“ | |
| Die Unruhe in den Kollegien werde noch viel größer sein, wenn der | |
| Fachkräftemangel weiter durch Quereinsteiger kompensiert werde. Giffey | |
| sprach von 700 ausgebildeten Lehrkräften, die jedes Jahr „abwandern“. Doch | |
| warum sie abwandern, weiß man schlicht nicht, weil es statistisch nicht | |
| erfasst wird. | |
| De facto ist die Verbeamtung eine politische Entscheidung: Die Koalition | |
| will das Thema schlicht abräumen, um sich nicht permanent anhören zu | |
| müssen, sie hätte nicht alles in ihrer Macht Stehende unternommen, um dem | |
| Fachkräftemangel beizukommen. Alle Bundesländer außer Berlin verbeamten | |
| ihre Lehrkräfte. | |
| Wie teuer das wird, werde man sehen, sagte Giffey. Das gebe man „als | |
| Prüfauftrag an den nächsten Senat“. Entscheidend wird sein, wie viele | |
| LehrerInnen überhaupt verbeamtet werden können – derzeit liegt die | |
| Altersgrenze bei 45 Jahren in Berlin, man könne sich aber auch vorstellen, | |
| sie „temporär anzuheben“. | |
| Die „größte personalpolitische Maßnahme der letzten Jahrzehnte“ steht im | |
| Gegensatz zum Credo, dass Giffey für die Bildungspolitik ausgab: „Umsetzen, | |
| anpassen, managen“ sei die Strategie. Die Schulen brauchten Ruhe: „Keine | |
| großen Reformen in den nächsten Jahren.“ Es sei viel angeschoben worden – | |
| Stichwort Schulbauoffensive. Das müsse jetzt „ausgeführt“ werden. | |
| ## Probejahr wird abgeschafft | |
| Hat sich die SPD bei der Verbeamtung durchgesetzt, konnten Linke und Grüne | |
| einen Punktsieg bei den Gymnasien verbuchen. Deren Privileg des Probejahrs | |
| wird geschliffen: Ab dem Schuljahr 2023/24 dürfen Gymnasien Kinder mit | |
| schlechten Noten nach der 7. Klasse nicht mehr „abschulen“. Allerdings | |
| müssen Kinder ohne Gymnasialempfehlung fortan eine Eingangsprüfung am | |
| Gymnasium bestehen. | |
| Die Gewerkschaft freut’s auch: „Das ist ein bildungspolitischer | |
| Meilenstein“, sagt Erdmann, die Gymnasien würden dadurch „ein Stück | |
| inklusiver“. Ob dem so ist, wird man dann wohl mal die Kinder fragen | |
| müssen. | |
| Niedermöller vom Gymnasiallehrerverband sagt, der „leistungsorientierte | |
| Zugang“ sei entscheidend – nach wie vor dürfe nicht der Elternwille allein | |
| entscheiden. | |
| Ganz einig waren sich die künftigen Koalitionärinnen in ihrem Hohelied auf | |
| die bisherige Berliner Schul- und Hochschulpolitik: Giffey erinnert daran, | |
| wo man überall „Spitzenreiter“ sei: beim [3][Rechtsanspruch auf eine | |
| Ganztagsbetreuung], bei den [4][gebührenfreien Kitas]. | |
| Viel investiert, viel schon gelungen, noch viel zu gewinnen in diesem | |
| Ressort? Im krassen Gegensatz dazu steht bei dieser Lesart allerdings die | |
| aktuelle BewerberInnenlage um die Nachfolge von Noch-Bildungssenatorin | |
| Sandra Scheeres (SPD). | |
| In der SPD heißt es, die Grünen wären jetzt mal an der Reihe, nachdem die | |
| SPD das Ressort seit 25 Jahren verantwortet hat. Bei den Grünen weiß man | |
| das, aber so richtig Lust hat man nicht auf den Job, der als | |
| „Verliererressort“ gilt: viele Großbaustellen wie die Schulbauoffensive und | |
| der Fachkräftemangel, der auch weiterhin chronisch bleiben dürfte. | |
| Fatal sei diese Einstellung, findet der Berliner Landeselternausschuss. | |
| „Bildung war in den letzten Jahren kein Thema, mit dem man einen Blumentopf | |
| gewinnen konnte“, sagt deren Vorsitzender Norman Heise. „Aber genau hier | |
| liegt die Chance, sich zu bewähren.“ | |
| Vielleicht war es ein Fingerzeig, dass Giffey, die im Wahlkampf gedroht | |
| hatte, für das Bildungsressort werde sich „schon noch jemand finden“, den | |
| Bereich Schulpolitik vortrug: Möglich, dass die SPD weitermacht, gerade | |
| weil es ein Weitermachen sein soll in den nächsten fünf Jahren. Dass | |
| Jarasch den Bereich Wissenschaft referierte und diesen eng mit dem | |
| Wirtschaftsstandort Berlin verknüpfte, könnte wiederum darauf hindeuten, | |
| dass die Grünen Wirtschaft und Wissenschaft wollen – was zudem ein neuer | |
| Ressortzuschnitt wäre. | |
| Elternvertreter Heise sagte, man wünsche sich keine parteipolitischen | |
| Kompromisse, sondern schlicht „die fachlich beste und geeignetste Person“. | |
| Am Donnerstag wollen die VerhandlerInnen Ergebnisse zu Innerer Sicherheit | |
| vorstellen. Am Freitag werden Finanzen und „Dissense“ geklärt. Am Samstag | |
| sollen der Koalitionsvertrag und die Ressortverteilung stehen, eventuell | |
| auch das Personal. Dann wird man sehen. | |
| 24 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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| Silke Gebel | |
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