# taz.de -- Ausstellung feministischer Pop-Art: Staubsauger und Science-Fiction | |
> Die Kieler Kunsthalle zeigt 40 Künstlerinnen der Pop-Art in den Jahren | |
> 1961 bis 1973. Viele von ihnen wurden lange zu unrecht links liegen | |
> gelassen. | |
Bild: Viel Pop in Pop-Art: Lucia Marcuccis Collage „Whop!“ von 1970 | |
Die Kunsthalle Kiel widmet sich auf eine verblüffend nüchterne wie | |
selbstverständliche Weise immer wieder der Kunst von Frauen, seitdem 2010 | |
[1][Anette Hüsch] die Leitung des Hauses übernahm, als erste Frau in der | |
damals 101-jährigen Geschichte des Hauses. Mit Werkschauen zu Corinne | |
Wasmuth, Anita Albus, Lotte Laserstein oder der Schottin Rachel Maclean | |
wurde so der Blick auf die Kunstwelt erweitert, ohne dass die Welt-Entwürfe | |
von Männern unter den Tisch fielen. | |
Zugleich haben Hüsch und ihr Team immer wieder Zwischenbereiche der neueren | |
Kunstgeschichte ausgeleuchtet, wenn sie etwa unlängst mit Albert Aereboe | |
einen zeitübergreifenden wie verlorenen Maler vorstellten, der weder zum | |
Expressionismus noch zur Abstraktion gehören wollte oder konnte. | |
Nun werden auf interessante Weise diese beiden Fäden verknüpft: „Amazons of | |
Pop – Künstlerinnen, Superheldinnen und Ikonen“, titelt eine | |
Sammelausstellung, die sich der sich auf den Weg machenden feministischen | |
Kunst der Jahre 1961 bis 1973 widmet, eine Gemeinschaftsproduktion mit dem | |
MAMAC in Nizza und dem Kunsthaus Graz. So geht es in eine Zeit, die – bis | |
auf das bis heute magisch aufgeladene Doppeljahr 1967/68 – derzeit ein | |
wenig aus der Zeit gefallen scheint. | |
Und man muss nicht verlegen sein, wenn einem Namen wie Evelyne Axell, | |
Isabel Oliver oder Marjorie Strider nichts sagen. Denn dazu ist eine solche | |
Ausstellung ja da, dass Vergessenes ans Licht geholt wird und dass es | |
Unbekanntes zu entdecken gibt. | |
Martha Rosler, Niki de Saint Phalle oder auch Elaine Sturtevant sind da | |
noch zu sehen. Letztere kopierte künstlerisch die Werke der Pop-Art-Männer, | |
wurde dafür lange links liegen gelassen, bis sie nach langem Schweigen und | |
einem zweiten Anlauf endlich als Künstlerin anerkannt wurde. 2013 bekam sie | |
in Hannover den Kurt-Schwitters-Preis, ein Jahr vor ihrem Tod. | |
Dabei ist diese Ausstellung zunächst angenehm unspektakulär und | |
unaufdringlich, selbst suchend und mäandernd: Bild für Bild, Objekt für | |
Objekt, Video für Video werden die keineswegs gradlinigen Suchbewegungen | |
der überwiegend jungen Künstlerinnen deutlich und erfahrbar. | |
Und es wird sichtbar, wie sie ihr Material aus der seinerzeitigen | |
Alltagswelt schöpften, die damals in die Konsumsphäre katapultiert wurde: | |
mit schnellen Autos und Frauenkörpern nachempfundenen Sitzmöbeln, mit | |
Werbeplakaten für jede Gelegenheit und erotisch aufgeladenen | |
Haushaltsutensilien. | |
„Do I Love You“, fragt ein Bild von Evelyne Axell mit Lippen, | |
aufgeschnittener Erdbeere und Papiermaske 1964. 1973 malt Isabel Oliver | |
„Ich möchte nicht Marilyn sein“: ein Blick auf zerschnittene Spielkarten, | |
Männerbeine in Anzughosen, die in schwarzen Schuhen enden – und auf die | |
Beine und den wehenden Rock von Marilyn Monroe in „Das verflixte 7. Jahr“. | |
Hilfreich ist dazu eine Art Datenleiste oben auf der Galerie, die das | |
Ausstellungserdgeschoss mit den Kabinetten im oberen Teil verbindet. Denn | |
wer hat noch parat, was sich in jenen Jahren ereignete, außer der | |
Mondlandung oder den tödlichen Schüssen auf John F. Kennedy? | |
Nun aber wird reaktiviert, dass im Januar 1965 der Couturier André | |
Courrrèges den Minirock in seine Collection aufnimmt, zwei Monate später | |
die US-Luftwaffe mit der Bombardierung Nordvietnams beginnt, dass am 12. | |
März 1967 das Debütalbum von The Velvet Underground & Nico erscheint, dass | |
am 21. Oktober 1969 Willy Brandt zum Kanzler gewählt wird oder dass sich am | |
6. Juni 1973 die Stilikone Brigitte Bardot aus dem Filmgeschäft | |
zurückzieht. | |
So geerdet, wird einem langsam klar, in welchem Spannungsfeld von | |
weltumspannenden Umbrüchen und einer sich bunt und aufgekratzt gebenden | |
Alltagswelt sich die Künstlerinnen seinerzeit zu bewegen hatten. | |
## Pseudo-Erotik im Trash-Gewand | |
Von Martha Rosler, der mittlerweile Grand Dame der feministischen Kunst, | |
sind dazu einige ihrer damaligen Collagen ausgestellt, die nichts von ihrer | |
Kraft verloren haben. Hervorgehoben werden soll ihre ausgestellte Collage | |
„Woman With Wacuum, or Vacuuming Pop Art“: Eine schlanke Frau im | |
figurbetonenden Rock führt galant ihren Staubsauger vor, umgeben von | |
Ausstellungspostern mit bunten Farben und poppigen Motiven, | |
selbstverständlich gerahmt, als seien es heutige Alte Meister. | |
Wie Pop-Art sich mit Pop im Sinne von Populärkultur verknüpfte und wieder | |
trennte, das wird exemplarisch anhand einer Filmikone erzählt: Jane Fonda. | |
Sie ist das Gesicht und die Figur und auch das Label des Films | |
„Barbaralla“, ein pseudo-erotisches Sciene-Fiction-Märchen im grellen | |
Trash-Gewand, damals ein finanzieller Misserfolg, aber wie man so sagt: oft | |
zitiert und stilbildend (der eindrückliche [2][Trailer ist auf Youtube] zu | |
sehen). | |
Man begegnet Fonda bald wieder: Da ist sie in einem schlichten | |
Schwarz-Weiß-Mitschnitt einer Pressekonferenz zu betrachten, in der sie | |
ihre Regierung anklagt. Sie war zuvor ins umkämpfte Nordvietnam gereist und | |
hatte sich kundig gemacht. Von ihrer Rolle als Barbarella hat sie sich da | |
längst distanziert. | |
Einen breiten Raum nimmt das beginnende Werk von Niki de Saint Phalle ein, | |
ihre „Schießbilder“ inklusive. Spannend ist auch ein Blick auf das Frühwe… | |
einer Künstlerin, die wir heute selbstverständlich als Dokumentarfilmerin | |
kennen: Ulrike Ottinger. Sie war seinerzeit nach dem Kunststudium nach | |
Paris gezogen, hatte sich in die dortige Künstlerszene gestürzt – und sie | |
hat damals gemalt. | |
Es ist verblüffend, wie gut, wie sicher und wie pointiert ihre Malerei ist; | |
wie sie in quadratischen Bildern aus Werbe- wie aus Zeitungs- und | |
Fernsehbildern Grundmotive destilliert, die für sich stehen können, die | |
aber auch eine szenische Anordnung ergeben. Bis sie 1969 wieder zurück nach | |
Deutschland geht, einen Filmklub gründet und ein anderes Künstlerinnenleben | |
beginnt. Eines, das sich auf seine Fundamente verlassen kann. | |
30 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Anette-Huesch-ueber-Museumskooperationen/!5074613 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=0Xo6FaypcpY | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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