# taz.de -- Debutroman von Caroline Rosales: Habt mich gern | |
> „Das Leben keiner Frau“ zeigt auf, wie Frauen den patriarchalen | |
> Leidensdruck einander über Generationen vererben. | |
Bild: Caroline Rosales | |
Die Autorin [1][Laurie Penny] hat mal geschrieben, wenn alle Frauen dieser | |
Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und | |
kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen. | |
Melanie Moosburger, die Hauptfigur in Caroline Rosales’ Debütroman „Das | |
Leben keiner Frau“, ist weit davon entfernt, die Wirtschaftsordnung ins | |
Wanken zu bringen. In ihrer Welt der Chanel-Taschen, Massagebürsten und | |
Seidenkleider von Oscar de La Renta riecht alles nach weißen Blüten und | |
Qual: Eine geschmackvoll ausgeleuchtete Konsumhölle, in der Frauen hart an | |
sich arbeiten – und daran, dass man ihnen diese Arbeit bloß nicht anmerkt. | |
Laurie Penny ist 36 Jahre alt, die fiktive Melanie Moosburger gerade 50 | |
geworden. Caroline Rosales, Jahrgang 1980, geboren in Bonn und | |
[2][Journalistin] für Medien wie die Zeit, liegt altersmäßig zwischen | |
beiden, womit man schon beim Thema des Romans (und einem ihrer großen | |
Autorinnen-Themen überhaupt) wäre: dem nicht auszurottenden Konformitäts- | |
und Attraktivitätsdruck, den die Gesellschaft auf Frauen allen Alters | |
ausübt. | |
[3][In ihrem Werk „Sexuell verfügbar“ von 2019] beschrieb Rosales | |
autobiografisch grundiert den lebenslangen Drahtseilakt, als den sie das | |
Frausein empfindet: Sei fickbar, aber nicht nuttig. Unterhaltsam, aber nur | |
nicht frivol. Clever, aber nicht zu intelligent – das macht Männern nur | |
Angst. | |
„Das Leben keiner Frau“ ist gewissermaßen die literarisierte Version dieses | |
Buchs, mit einer Hauptfigur, die am Älterwerden zerbricht. Gleich zu Beginn | |
des Romans stellt Melanie Moosburger fest, dass ihre Periode ausbleibt: Die | |
Wechseljahre beginnen, das Leben ist – aus ihrer Sicht – vorbei. „Alte | |
Frauen sind tragische Figuren“, hört man sie denken. „Sie fallen einem | |
aggressiven Ageismus zum Opfer, der sie schon mit fünfzig für alt erklärt. | |
Im urbanen gebildeten Milieu bespielen sie B-Seiten, planen Ausstellungen | |
in winzigen Privatgalerien, esoterische Klangschalen-Seminare oder buchen | |
eine ganz tolle Band aus Senegal für eine Geburtstagsparty, was immer ein | |
bisschen nach Sextourismus riecht.“ | |
## Der 50. Geburtstag und das Leben danach | |
Man lernt Melanie am Abend ihres 50. Geburtstags kennen. Sie ist die | |
Strahlendste und Betrunkenste im Raum, glücklich und zugleich voller Häme | |
für einige ihrer Gäste aus dem Münchner Medienbetrieb. Im Laufe der | |
kommenden vier Romanwochen wird man ihr, einer verdienten | |
Feuilletonredakteurin, beim Entgleisen ihres Lebens zuschauen. Ihre Mutter, | |
zu der sie ein kompliziertes Verhältnis pflegt, kommt ins Heim. Zwei | |
Affären – eine egale, eine bedeutsame – enden fatal. Dazu fällt ihr | |
zunehmend auf die Füße, was sie bisher für ihre feministische Superkraft, | |
für ihr Antidot gegen das Verspießen und Verbittern gehalten hatte: ihre | |
Lust auf Sex, Rausch, Maßlosigkeit. | |
Seit ihre große Liebe Laurent sie verlassen hat, sucht sie Liebe und findet | |
nur Paranoia, ausgelöst durch Männer ihres Alters, die auf Frauen Mitte 20 | |
schielen. „Mich kann es gar nicht geben“, denkt Melanie. „Denn so viel | |
arbeiten kann doch niemand. So viel Sex haben, und das in meinem Alter. So | |
viel nachdenken. So viel ausgehen. So viel erleben.“ | |
Frauen über 40 werden entweder für asexuell erklärt oder fetischisiert, | |
„Mrs. Robinson“ oder „Cougar“ (Silberlöwin) genannt. Und genau wegen d… | |
Klischeedarstellungen der „reifen Männerfresserin“ ärgert man sich zu | |
Romanbeginn über die Frauenfigur, die da in französischer Lingerie auf | |
ihren Partyflirt lauert. Ärgert sich über die gefühlt schon dutzendfach | |
gesehene, gelesene Badewannenszene zum Einstieg, die einen möglichen Suizid | |
Melanies andeutet, bevor die Vorgeschichte dieser Tragödie erzählt wird. | |
Darüber, dass es sexlustige Ü-50-Frauen offenbar nur gut gecremt und top in | |
Schuss gibt. Ein klitzekleines Bisschen ärgern einen sogar Melanies Klagen. | |
Denn immerhin ist sie eine Frau, bei der die ganze Selbstkasteiung Früchte | |
trägt. Sie ist attraktiv, weiß, dünn, gebildet und wohlhabend, kreist aber | |
so manisch um Fragen von Alter und fuckability, dass sie ihre Trümpfe | |
bisweilen völlig aus dem Blick verliert. Die Menopause, da ist sie sicher, | |
ist nämlich das Ass im Loser-Game. | |
## Der Kampf ums Frauensiegertreppchen | |
Obwohl es natürlich wohlfeil wäre, eine Milieustudie (die der Roman auch | |
irgendwie ist) dafür zu kritisieren, dass sie in einem bestimmtem Milieu | |
(Bussi-Bussi-München) spielt, ist Melanies Privilegienvergessenheit | |
manchmal kaum auszuhalten. Aber genau darin liegt auch viel Tragik: im | |
Wissen, dass der Kampf ums große Frauensiegertreppchen nicht zu gewinnen | |
ist, wenn sich schon die Beauty Queens mit Einfluss und Eigentumswohnung | |
zum Sterben in die Wanne legen. | |
Melanies Charakter mag in seiner Anlage stereotyp sein, darf sich aber | |
entwickeln, komplexer, reicher, zugleich sympathischer und unsympathischer | |
werden: ein Mensch eben. Vor allem aber zeigt ihre Geschichte, wie Frauen | |
den patriarchalen Leidensdruck einander über Generationen vererben wie ein | |
schlimmes Trauma. Klar geht es im Roman auch um Männer, die allesamt | |
rumlügende, rumvögelnde Enttäuschungen auf zwei Beinen sind. | |
Viel interessanter aber ist Melanies Verhältnis zu den Frauen ihres Lebens. | |
Sie keilt gegen ihre Mutter, eine Siebziger-Feministin, die ihr wenig Liebe | |
und viele Komplexe mit auf den Weg gab. Sie keilt gegen ihre Tochter Mona, | |
die Strickjacken tragen und Hausfrau sein will, gegen die dicke, joviale | |
Bekannte ihrer besten Freundin, gegen die pastellfarben gekleideten | |
„Schnepfen“ auf einer Familienfeier. | |
Vor allem keilt sie gegen Eilika, eine junge Kollegin im Feuilleton, die | |
sie in ihrer mühelosen Schönheit und Selbstsicherheit rasend macht. Als der | |
Chefredakteur Eilika Melanies feministische Kolumne überträgt, sieht | |
Melanie nicht nur sich selbst, sondern ihre gesamte Welt untergehen. | |
Denn Eilika ist der Prototyp einer neuen Autorinnengeneration, gleichzeitig | |
ostentativ sexpositiv, im rechten Moment aber großäugig und niedlich; eine, | |
die alles, was sich gut anfühlt, für „empowernd“ hält; „eine, die übe… | |
weiße Wohlstandshipsterblase in großen deutschen Städten lästert, auf | |
Kunst-Prekariat macht, obwohl sie mit ihren nonbinären Buddys in den | |
hundertzwanzig Quadratmetern wohnt, die ihre Eltern als Geldanlage gekauft | |
haben“. | |
## Ein leicht durchschaubares Girl als Kolumnistin | |
Auch Eilika zeichnet Rosales zuerst als Abziehbild, das sicher auch Leif | |
Randt absegnen würde. Aber auch das hat seinen Zweck – weil Eilika die | |
ziellose Wut ihrer älteren Vorgesetzten entlarvt. Melanie ist wütend | |
darüber, dass Jugend und zeitgeistiges Charisma ein vermeintlich leicht | |
durchschaubares Girl als Kolumnistin relevant machen. Gleichzeitig erinnert | |
sie sich daran, wie sie selbst früher Charme einsetzte, um sich in die Welt | |
der mächtigen Männer zu schmuggeln. | |
Melanie hasst nicht nur Eilika, sondern den Lifestyle-Feminismus des frühen | |
21. Jahrhunderts. Zum einen, weil sie dessen Bigotterie aufrichtig eklig | |
findet. Aber zum anderen, weil sie zu alt ist, um seine Codes zu | |
beherrschen, von seinen Annehmlichkeiten zu profitieren: Niemals hätte man | |
ihr früher eine Kolumne über feministische Pornografie aus den Händen | |
gerissen. Beide Frauen wollen Anerkennung in ihrem Traumjob – und spielen | |
dasselbe Habt-mich-gern-Spiel, nur in unterschiedlicher Kleidung. Der Wille | |
zur Komplizinnenschaft blitzt bei Melanie immer wieder auf, aber sie kriegt | |
es nicht hin. Von klein auf hat sie gelernt, andere Frauen als Gefahr zu | |
sehen. | |
Am Ende steht für Melanie die schlimme Erkenntnis: Sie, die geglaubt hat, | |
die Selbstbestimmteste von allen zu sein, ist in ihrer Gefallsucht zur | |
Karikatur geworden. Man könnte aber ebenso sagen: Dieselben Männer, die sie | |
mit ihren Ansprüchen in den Wahnsinn getrieben haben, wollen sich der | |
vermeintlich wahnsinnigen Alten entledigen. | |
Statt drauf zu kommen, dass sich Frauen lieber verbünden, als vom | |
männlichen Goodwill abhängig zu sein, richten sich in „Das Leben keiner | |
Frau“ Feministinnen aus drei Generationen gegenseitig zugrunde. Während die | |
Typen einander zuprosten. Es ist das Leben keiner Frau – und jeder. Und, in | |
gewisser Weise: ein richtig gutes Plädoyer für Frauensolidarität. | |
20 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julia Lorenz | |
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