# taz.de -- Porträt-Film „Niki de Saint Phalle“: Die Kunstschützin | |
> Regisseurin Céline Sallette hat aus dem Leben von Niki De Saint Phalle | |
> eine Heldenreise gemacht. Deutschland-Premiere ist in Hannover. Wo auch | |
> sonst? | |
Bild: Gewehre sind die besseren Pinsel: Charlotte Le Bon ähnelt der jungen Nik… | |
Lokalpatriot*innen müssen tapfer sein. Obwohl Niki De Saint Phalle in | |
Hannover mit ihren Nanas großen Erfolg hatte; obwohl die Künstlerin dort | |
mit der Gestaltung der Grotte in den Herrenhäuser Gärten ihr letztes großes | |
Projekt realisierte; obwohl sie dem Sprengel Museum 400 ihrer Werke | |
schenkte und die Stadt sie im Jahr 2000 zu ihrer ersten Ehrenbürgerin | |
machte: Trotz all dem erwähnt der Porträt-Film „Niki de Saint Phalle“ | |
Hannover nicht mit einem Wort. Dennoch gibt es dort am 25. Februar im Kino | |
am Raschplatz eine feierliche Premiere mit Bürgermeistergrußwort und | |
persönlicher Präsentation von Regisseurin Céline Sallette. | |
Aber warum wird [1][Hannover] in diesem Film so schmerzlich ignoriert? Nun, | |
Céline Sallette wollte mit ihrem Film davon erzählen, wie Niki De Saint | |
Phalle zu einer „Terroristin der Kunst“ avancierte, die zuerst durch ihre | |
„Schießbilder“ bekannt wurde. Für die hat sie bei Vernissagen mit | |
Gewehrkugeln Farbbeutel auf weißen Gipsreliefs abgeknallt. In dem Moment, | |
in dem sie ihren Weg als Künstlerin gefunden hat, endet der Film. | |
Sallette ließ sich durch das Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ von | |
Joseph Campbell inspirieren, der Bibel von Regisseuren wie Steven Spielberg | |
und George Lukas. Schon, dass sie die dort analysierten, durchweg männlich | |
codierten Heldenreisen aus feministischer Perspektive neu deutet macht | |
klar, dass es ihr um weibliches Empowerment geht. | |
Die Titelheldin sehen wir zuerst bei einem Fotoshooting als Modell. Hier | |
kann sie nur ihr schönes Gesicht zeigen und die lange Nahaufnahme aus der | |
Perspektive der Kamera, mit der Sallette sie uns zum ersten Mal zeigt, | |
vermittelt eindrucksvoll, dass sie keinerlei Gestaltungsfreiheit bei dieser | |
Arbeit hat. Auch sonst bleibt die Kamera dieser Heldin so nahe wie möglich. | |
Sallette verzichtet auf die üblichen sogenannten Mastershots, bei denen man | |
eine Übersicht auf den Ort bekommt, an dem eine Filmszene spielt. | |
Stattdessen ist die Schauspielerin Charlotte De Bon, die der jungen Niki De | |
Saint Phalle verblüffend ähnelt, in so gut wie jeder Einstellung zu sehen. | |
Noch radikaler ist es, dass Sallette jeden Blick auf die Kunstwerke | |
verweigert, die Niki malt oder entwirft. Oft schauen wir sogar aus der | |
Perspektive eines ihrer Werke, also aus einem ihrer Gemälde heraus, auf | |
sie: Die Kunst wird so zu einer irritierenden Leerstelle. Stattdessen zeigt | |
Sallette uns die Prozesse und [2][seelischen Kämpfe], die aus Niki eine | |
Heldin, sprich Künstlerin, machen. | |
Schon als Kind bemalte sie die Genitalien klassischer Marmorstatuen mit | |
roter Farbe. Für die Eltern ist dies jedoch nicht kreativ, sondern | |
krankhaft. Und wenn Niki als junge Mutter beginnt, Messer und andere Waffen | |
im Schlafzimmer zu horten, wird sie von ihrem Ehemann Harry Mathews in eine | |
psychiatrische Klinik eingeliefert, wo man versucht, sie durch | |
Elektroschocks zu therapieren. | |
Dort beginnt sie aus Objekten im Abfall der Klinik kleine Kunstwerke zu | |
gestalten. Als ihr Psychiater erkennt, dass sie so die schweren Traumata | |
aus ihrer Kindheit – wie den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater – am | |
besten bewältigen kann, wird die Kunst zugleich zum Mittel ihrer Heilung | |
und zu ihrer Obsession. | |
Der Film zeigt, wie schwer es für sie ist, ihren Weg zu finden. Die junge | |
Frau wird immer wieder zurückgewiesen und entmutigt: von Kunstexperten, | |
anderen Künstler*innen und im Grunde auch vom eigenen Mann, der als | |
Schriftsteller das Geld für die kleine Familie verdient und seine Frau zwar | |
liebt, aber nicht versteht. | |
Nur in dem Künstler Jean Tinguely, der an „sinnlosen Maschinen“ bastelt, | |
erkennt sie eine verwandte Seele. Dass die beiden später eines der | |
bekanntesten Paare der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts werden, deutet | |
Sallette aber noch nicht einmal an. Sie setzt es als bekannt voraus. | |
Wichtiger ist ihr, möglichst intensiv und wahrhaftig zu zeigen, mit welcher | |
Widerstandskraft und Kreativität ihre Heldin sich durchsetzt: „Niki zieht | |
in den Kampf“ nennt sie ein Kapitel ihres Films, und dies ist nur halb | |
ironisch gemeint. | |
Wenn schließlich im letzten Akt Kunst „die neue Waffe der Welt“ genannt | |
wird und Niki beginnt, auf ihre Bilder zu schießen, können wohl auch die | |
Hannoveranerinnen darin die Kunstterroristin erkennen, die in den 1970ern | |
in ihrer Stadt mit ihren drei runden und bunten Plastiken konservative | |
Bürger*innen zur Weißglut trieb. Ihre Nanas wurden damals als „ekelhafte | |
Scheußlichkeiten“ und „Kulturschande“ beschimpft. | |
Davon allerdings erzählt der Film nicht. Übernommen hat das bereits 1995 | |
ein anderer Filmemacher: Peter Schamoni hat mit „Niki de Saint Phalle – Wer | |
ist das Monster, du oder ich?“ ein originelles und liebevolles Porträt | |
seiner langjährigen Freundin gedreht: Wenigstens am 16. März zeigt das Kino | |
am Raschplatz auch die gut gealterte Dokumentation. | |
25 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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