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# taz.de -- Rockband Kabul Dreams über Afghanistan: „Musik machen ist verbot…
> Die Rockband Kabul Dreams lebt seit 2015 im US-Exil. Die Musiker halten
> den Kontakt zu Familie und Freund:innen in der Heimat. Zuhause ist es
> unerträglich.
Bild: Kabul Dreams 2019 bei einem Auftritt am Festival South by Southwest in Au…
taz: Sulyman Qardash, Siddique Ahmed, sind Sie derzeit in Kontakt mit
Freunden, Verwandten und Musikerkollegen in Afghanistan und was können Sie
über deren Situation sagen?
Sulyman Qardash (SQ): Die Situation ist unerträglich. Viele Leute bleiben
aus Angst zu Hause, besonders Frauen. Verwandte von mir haben auf mittlerer
Ebene für die Regierung gearbeitet. Nun bekommen sie keinen Lohn mehr.
[1][Die Banken zahlen aktuell umgerechnet 170 Euro pro Woche aus, es gibt
kein Kreditkartensystem wie im Westen, nur Bargeld]. Und das ist knapp. Wie
es die Taliban mit der Meinungsfreiheit und der freien Presse halten, ist
ja bekannt.
Siddique Ahmed (SIA): [2][Frauen, die bis zur Machtübernahme gearbeitet
haben, können das nun nicht mehr tun]. Nach 40 Kriegs- und Konfliktjahren
leben in Afghanistan ohnehin viele Witwen. Ihnen bleibt nun nichts zum
Leben – nicht für sich selbst, nicht für ihre Kinder. Künstler:innen
haben ebenfalls nichts mehr, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer
Familien zu bestreiten. Und das Schlimmste ist: Es gibt auch keinerlei
Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Die Taliban sind dabei, Musik erneut zu verbieten. Sie zerstören und
verbrennen offenbar Instrumente.
Siddique: Sie haben öffentlich erklärt, dass Musikmachen verboten ist, und
sie haben auch öffentlich gesagt, dass Musiker andere Dinge tun sollen, um
Geld zu verdienen. Wer mit Musik seinen Lebensunterhalt bestritten hat, dem
bleibt nichts anderes übrig. Viele Hochzeitssänger haben keinerlei
Einkünfte mehr, um ihre Familien zu unterstützen. Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis es wieder so sein wird wie in den 1990er Jahren, als schon einmal
Musikhören verboten war.
Zuletzt war zu hören, dass Mitglieder des Afghanistan National Institute of
Music (Anim) fliehen konnten.
Siddique: Ungefähr 100 Personen ist die Flucht gelungen. Ich stehe aber
auch mit Schüler:innen in Kontakt, die vor Ort ausharren müssen.
Nachwievor arbeite ich ehrenamtlich für das Anim und zeige Jugendlichen in
Videochats, wie man Musik aufnimmt und produziert.
Im August hat Ihre Band den Song „Sadae Man“ gepostet. In ihm geht es
darum, wie wichtig es ist, dass die afghanische Jugend aufbegehrt und mit
einer Stimme spricht. Können junge Afghanen zum jetzigen Zeitpunkt
überhaupt etwas tun?
Sulyman: Es wäre vermessen, ihnen von hier aus zu sagen, was sie tun
sollen. Das Einzige, was man sagen kann: Seid vorsichtig. Schützt euer
Leben und das eurer Lieben, wenn eure Stimme in Zukunft gehört werden soll.
Sie haben kürzlich auch den Song „Butcher of the City“ veröffentlicht –
bezieht der sich direkt auf die Machtübernahme der Taliban?
Sulyman: Ich habe den Song schon 2018 komponiert, aber wir haben ihn nie
aufgenommen. Jetzt haben wir ihn als Live-Version eingespielt. Den Text
schrieb ich, nachdem [3][Gulbuddin Hekmatjar] nach Kabul zurückkehrte. Das
war ein Schock für uns. Sein Spitzname ist „Der Schlächter der Stadt“, we…
er so viele Menschen getötet hat (Anm.: Hekmatjar war von 1993 bis 1994
Premierminister, er ließ Kabul beschießen und tötete Tausende Zivilisten,
später war er Al-Qaida-Anhänger. 2017 kehrte er nach Kabul zurück und wurde
von Präsident Aschraf Ghani hofiert. Hekmatjar konnte 2019 bei der
Präsidentschaftswahl antreten). Das Traurige ist: Der Songtext bildet auch
das ab, was zuletzt passiert ist. Je nachdem, wen man in den Figuren sieht.
Ihre Familien sind beide vor dem Taliban-Regime in den Neunzigern geflohen,
Sie sind als Flüchtlinge in Usbekistan und Pakistan aufgewachsen. Nach der
Rückkehr gründeten Sie 2008 in Kabul Ihre Band. Wie war es als Rockband in
Afghanistan?
Siddique: Wir kehrten aus verschiedenen Ländern zurück nach Afghanistan.
Ich aus Pakistan, Sulyman aus Usbekistan, Ex-Drummer Mojtaba Habibi Shandiz
aus dem Iran. Wir brachten alle etwas mit, hatten Instrumente gelernt,
waren zur Schule gegangen – welch ein Glück. Nicht alle Flüchtlinge haben
diese Chance. Als wir zurückkamen, wollten wir Rock für unsere eigenen
Leute spielen. Anfangs ging es eher um grundlegende Dinge, wie die
schwierige Stromversorgung. Wir haben oft geprobt und wollten sichergehen,
dass wir als Musiker gut sind. Natürlich mussten wir alles selbst machen,
wir haben die Songs aufgenommen und sie gemischt.
Gründeten sich noch andere Bands?
Sulyman: Ja, es gab mehrere Bands, die ähnlich wie wir Musik gespielt
haben.
Sie haben manchmal auf öffentlichen Plätzen gespielt. Dann begannen die
Taliban damit, Sie einzuschüchtern. Auf welche Weise wurden Sie bedroht?
Sulyman: Zunächst muss man zwischen den negativen Reaktionen der Menschen
und der Bedrohung durch die Taliban differenzieren. Einige Leute kamen
irritiert zu uns und fragten uns, was wir da machen. So ähnlich muss es
gewesen sein, als Elvis Presley anfing, mit den Hüften zu schwingen, und
evangelikale Christen glaubten, Dämonen hätten von ihm Besitz ergriffen.
Die Taliban haben uns dagegen erst den Strom abgedreht; und zwar deshalb,
weil Jungen und Mädchen zusammen im Publikum waren. Wir dachten zunächst,
die Stromversorgung sei unterbrochen, wie es gelegentlich in Kabul
vorkommt. Dann kamen Konzertveranstalter zu uns und sagten, das Konzert sei
vorzeitig beendet. Als wir im Auto saßen, tauchten Leute auf und sagten:
„Wir wissen, was ihr tut, hört damit auf! Versteht das als Warnung!“ Solche
Vorfälle gab es öfter. Als Band trägt man nicht nur für sich selbst,
sondern auch für sein Publikum große Verantwortung. Es gab damals ja
Kulturorte in Kabul, an denen sich Explosionen ereigneten und Menschen
getötet wurden. Bomben und Selbstmordattentate waren an der Tagesordnung.
Das ist der traurige Alltag in Kabul.
Bands wie Oasis hätten Sie geprägt, heißt es. Mir kommt auch die US-Band
Placebo in den Sinn. Welche Haltung hat Ihnen deren Musik vermittelt?
Sulyman: …der Typ hinter Ihnen hat auch viel verändert (er zeigt auf ein
Bowie-Plakat, das im Hintergrund zu sehen ist). Bei David Bowie waren die
Personas und Alter Egos prägend, die er geschaffen hat. Musikalisch hat er
uns vielleicht nicht so stark geprägt, aber er sagte: Sei, was immer du
sein willst. Oasis hatten großen Einfluss auf uns, weil sie so positive und
simple Songs komponiert haben. Noel Gallagher ist für mich einer der
größten Komponisten aller Zeiten. Placebo dagegen haben gesellschaftliche
und soziale Probleme angesprochen, die Songs waren schnell und aggressiv.
Diese Musik war ein Zufluchtsort für mich. Diese Bands zeigten einem auch,
was man zu dritt für Krach machen kann! Ihre Message war: Du kannst das
auch.
Welche Musik ist in Usbekistan und Pakistan, wo Sie als Jugendliche lebten,
populär?
Sulyman: In Usbekistan geht es sehr restriktiv zu, wenn es darum geht,
politische Meinungen zu äußern – zur Musik hatte ich aber immer freien
Zugang. So konnte ich auch eine Musikschule besuchen und Instrumente
lernen. Das war ermutigend. Musik ist eigentlich auch in der afghanischen
Kultur omnipräsent. Als das Taliban-Regime Anfang der nuller Jahre
zusammengebrochen war, sah man als Erstes tanzende Leute auf den Straßen.
Danach gab es viele Fortschritte, zum Beispiel etablierten sich
Fernsehsendungen à la „Deutschland sucht den Superstar“. Jetzt wird alles
abgeschaltet, was die Menschen mögen.
Konnten Sie in den USA seit Beginn der Pandemie Konzerte spielen?
Sulyman: Nein. Wir warten noch bis März 2022. Wir wollen, dass unsere
Konzerte in einem sicheren Rahmen stattfinden.
Sind auch Europakonzerte geplant?
Siddique: … wenn Sie uns einladen, ja! In Deutschland würden wir gerne
touren, das ist das Land, aus dem wir die meisten Mitteilungen auf Social
Media bekommen. Irgendwann klappt es bestimmt.
Wird es denn bald ein neues Album geben?
Siddique: Wir arbeiten an neuen Songs. Ob ein Album daraus wird – wir
werden sehen. Auf Farsi zu texten ist für uns eine Herausforderung, denn
Suleyman schreibt die Texte, und Farsi ist nicht seine Muttersprache.
Deshalb haben wir viele Songs mit englischen Texten. Wir arbeiten mit
befreundeten Lyrikern, um Texte auf Farsi verfassen zu können.
19 Oct 2021
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## AUTOREN
Jens Uthoff
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