# taz.de -- Hip-Hop-Produzent Farhot über Musik: „Meine Eltern verstehen das… | |
> Der Hamburger Hip-Hopper Farhot bedient alle Register: von Amok bis | |
> verspielt. Ein Gespräch über Sounds und Scheine. | |
Bild: Freut sich an alten räudigen Kassettenaufnahmen: Farhad Samadzada, alias… | |
taz: Farhot, wir waren per E-Mail ja schon beim Du. Erste Frage: Du | |
bezeichnest dich selbst als „Beatsüchtigen“. Was heißt das? | |
Farhot: Der ist immer auf der Suche. Ich schaue, wo ich tolle Sounds | |
herbekomme. Oft sind es nur Millisekunden, die ich irgendwo finde. Und die | |
haue ich in einen Sampler und kann dann damit neue Songs komponieren. | |
Was für Sounds könnten das sein? | |
Ich brauche nur einen Laptop und eine halbe Stunde Zeit. Dann könnten wir | |
beide uns überlegen: Was machen wir aus dem Sound eines Kaffee-Bechers, | |
eines Wasserglases und eines Kugelschreibers? Was du damit alles bauen | |
kannst! Ich suche schon bestimmt 20 Jahre lang nach guten Samples. Am | |
liebsten sind mir Schätze, bei denen ich mir einbilde: Ich bin der einzige | |
Mensch aus der Hip-Hop-Welt, der das jetzt gehört hat. Und ich kann diese | |
eine Sekunde rausschneiden und daraus etwas Neues bauen. Feldaufnahmen aus | |
irgendwelchen Dörfern sind mir die liebsten. Es muss gar nicht | |
professionell sein! | |
Du veröffentlichst Musik unter eigenem Namen, produzierst aber auch Stars | |
wie Die Fantastischen Vier und Nas. Muss man bei der Arbeit für andere | |
nicht viele Kompromisse eingehen? | |
Für mich ist das pure, geile Mucke. Zum Beispiel mit Haftbefehl. Ich bin | |
nicht nur der Soul-, Boogie- und Jazz-Typ, ich mag mich auch gern aggressiv | |
ausleben. Dafür hab ich das Projekt mit meinem Partner Bazzazian – da ist | |
alles Amok. Unter meinem Alias Fuchy bin ich ganz verspielt. Ich mag’s so | |
und so. | |
Du hast die Beats für Haftbefehls Hit „Chabos wissen, wer der Babo ist“ | |
gebaut. Was bekommt man dafür? | |
Würde ich ungern sagen, aber es waren schon ein paar Gs. | |
Ein paar große Scheine? | |
Ja. Wir haben das zu dem Zeitpunkt verhandelt, als die Nummer richtig | |
erfolgreich wurde. Am Anfang hätte ich es wohl auch für tausend Euro | |
gemacht. | |
Mit so bekannten KünstlerInnen verdient man als Produzent noch Geld. Aber | |
sonst wird man im Musikbusiness nicht reich, oder? | |
Du musst es nur schlau anstellen. Wenn man will, kann man fett Kohle | |
machen, nicht nur im Rap. Die Regel ist: Je schlimmer die Musik, desto mehr | |
Kohle. | |
Findest Du das verwerflich? | |
Ich muss mich darüber nicht aufregen. Ich nehme das nicht ernst, es ist ja | |
nur Musik. Mach’s halt aus! Es gibt immer die Möglichkeit, anderes zu | |
konsumieren. In Interviews will man mich oft dazu bringen, dass ich auf | |
bestimmte Leute schimpfe. Aber es ist ein Job. Ich will niemandem die | |
Butter vom Brot nehmen. Ich habe eine Liebe für Produzenten. Auf Spotify | |
wird auch geschimpft. Ich finde das ungerecht, jeder kann doch hören, was | |
er will. Ich bin für mehr Liebe! | |
Wirst du langsam zum Hippie? | |
Das kommt mit dem Alter. Ich bin dagegen, sich zu sehr aufzuregen. Es gibt | |
genug echte Missstände auf der Welt. Ich kann nicht sauer auf Leute sein, | |
bei denen es gut läuft. Musik sollte Liebe sein. | |
Ist sie auch Selbsttherapie? | |
Musik ist auf jeden Fall ein Ausgleich. Ich bin süchtig nach Zucker, und | |
danach, Dinge zu kreieren. Irgendetwas gleicht sich dadurch aus. Musik | |
interessiert mich nur, wenn sie direkt Bilder entstehen lässt. Wenn ich | |
eine Weile keine neue Musik kreiere oder Beats baue, kriege ich Depris. Mir | |
geht’s gut, wenn ich neue Musik mache. Bis zu dem Zeitpunkt, wo ich sie | |
ausarbeiten muss. | |
Wie meinst Du das? | |
Am Anfang ist es am schönsten. Du hast was gefunden, hörst es ganz laut und | |
fickst deine Ohren damit – das ist toll. Die letzten zehn Prozent | |
herausholen, das ist wirklich anstrengend. Das kennt jeder, der kreativ | |
arbeitet. | |
Dein neues Album ist wie Dein letztes nach Deiner Geburtsstadt benannt: | |
„Kabul Fire Vol. 2“. Wie kam das? | |
Ich habe geschaut: Was geht in Afghanistan? Ich habe mich über Youtube nach | |
Kabul begeben. Nachrichten habe ich nicht geschaut. Literatur und Fakten | |
aus den letzten 40 Jahren haben mich eher runtergezogen. Im Laufe des | |
Prozesses habe ich gemerkt: Mich sprechen afghanische Filmemacher an. Ich | |
habe also hauptsächlich alte Filme gesamplet. | |
Und viel entdeckt? | |
Ich habe nicht allzu viel erwartet und bin dann überrascht worden. So wie | |
damals, als ich auf der Suche nach guten Beats war. Immer wenn mir einer | |
gefiel, stand da der Name „RZA“, der Produzent vom Wu Tang Clan. So war das | |
bei meiner jüngsten Recherche, immer stand da „Siddiq Barmak“. Sein Film | |
„Opium War“ aus dem Jahr 2008 hat mir einen enormen Boost gegeben. Wir | |
haben uns ausgetauscht und er hat mir erlaubt, Sounds aus seinen Filmen zu | |
samplen. Wenn ich jetzt mit Journalisten aus Australien oder England | |
spreche – und die dann aufgrund meiner Platte seine Filme schauen – das | |
freut mich sehr. Die waren ganz erstaunt, dass solche Hardcore-Qualität aus | |
Afghanistan kommen kann. | |
Würdest Du es als „Deine“ Kultur bezeichnen? | |
Ja. Aber ich kenne nur einen Teil davon. Ich weiß nicht, wie das Leben in | |
Kabul ist. Ich bin nie wieder da gewesen. Ich werde es niemals kennen, so | |
viel, wie ich mich auch einlese oder andere befrage. Ich versuche einfach, | |
eine gute Verbindung zu der Stadt aufzubauen. Dinge im Kleinen zu | |
verbessern. Und wenn das nur bedeutet, dass die hier lebenden Afghanen | |
sagen: Das ist einer von uns. Der nutzt afghanische Titel, und seine | |
Samples kommen aus einem Film von Siddiq Barmak. Bei Afghanistan denkt man | |
nur an Bomben. Ich versuche, meinen Teil zu einem positiven Bild | |
beizutragen. | |
Wie präsent war afghanische Kultur, als Du in Hamburg aufgewachsen bist? | |
Die afghanische Musik hab ich nie gefeiert. Es gab nur wenige Sänger, die | |
ich mochte. Kultur ist einfach das, was ich mit meinen Eltern berede. | |
Ansonsten gab es Bilder und Filme, zumeist in einer eher schwachen | |
Qualität. Erst später wollte ich mehr wissen. Ich freue mich, wenn ich | |
alte, räudige Kassettenaufnahmen entdecke, die vielleicht in einer Küche | |
aufgenommen wurden. Lieder, die es seit Jahrhunderten gibt, und die immer | |
wieder aufgenommen werden. Da steckt eine ganz andere Leidenschaft drin. | |
Danach suche ich. | |
Du bist im eher abgelegenen Stadtteil Neuwiedenthal groß geworden. Wie war | |
es da für dich? | |
Der Stadtteil hat beinahe etwas Ländliches oder Dörfliches. Da ist | |
irgendwie nichts. Ich war da ein bisschen gefangen, wollte unbedingt | |
schnell raus. Mit Anfang 20 bin ich nach St. Pauli gezogen. Hier waren die | |
coolen Plattenläden, hier sind Sachen passiert. | |
Es heißt, dass Du Dir Dein erstes Studio in einem Waschkeller eingerichtet | |
hast. | |
Das war ein Trockenkeller mit Wäscheleinen, der nicht genutzt wurde. Ich | |
habe dort einen Tisch, eine Couch und einen Computer hingestellt – fertig. | |
Dann kam ein MPC hinzu, für das Studiofeeling. Das ist ein Sampler aus | |
vergangenen Zeiten, sieht aus wie ein Faxgerät. Ich brauche kein Mischpult, | |
ich brauche bloß einen Ort, um kreativ zu sein. Chillen ist dabei wichtig, | |
deshalb die Couch, da kann man mit vielen abhängen. Manchmal kamen die | |
Nachbarn runter, weil’s zu laut war, aber ich hab eigentlich immer | |
Rücksicht genommen. | |
Was sagen Deine Eltern zu Deiner Musik? | |
Die verstehen das nicht. Für die ist es bis heute ein Rätsel, warum ich | |
einen Sportwagen fahre. Aber jetzt habe ich ein Kind, deswegen ist sowieso | |
Volvo angesagt. | |
Deine Eltern sind mit Dir aus Kabul geflüchtet, als Du noch ein Baby warst. | |
Das war 1983, vier Jahre nach dem Einmarsch der Sowjetunion. Wie haben sie | |
das bewerkstelligt? | |
Mein Vater war zuerst hier. Er hat von Hamburg aus Teppichhandel getrieben | |
und hat Geld geschickt. Meine Mutter, meine Geschwister und mein Onkel sind | |
mit professionellen Fluchthelfern nachts aus Kabul rausgeschmuggelt worden. | |
Von Pakistan in den Iran und in die Türkei – das ist die normale Route. So | |
früh fliehen konnten nur die, die es sich leisten konnten. Wir gehörten zu | |
den wenigen Glücklichen, die es raus geschafft haben. | |
Sprichst Du eine der beiden afghanischen Amtssprachen, Paschto oder Dari? | |
Ein Straßenschnack auf Dari geht, aber über Musik kann ich nicht reden, | |
kann kaum wirklich ins Detail gehen. Ich bin arabischer Analphabet, kann | |
weder lesen noch schreiben. Ich wünschte, mein Vater hätte mich da mehr | |
gedrängt. Jetzt bereue ich es sehr, dass ich damals die afghanische Schule | |
geschwänzt hab’. | |
Ein Kritiker meinte, in Deiner Musik höre man die „Melancholie der zweiten | |
Generation“. | |
Ja, die ersten drei Lebensjahre sind schließlich entscheidend für die | |
Entwicklung eines Menschen. Wie viel habe ich damals mitbekommen, wie viel | |
von der Flucht erlebt? Vielleicht habe ich meine Melancholie daher. Aber | |
das ist ja nicht nur negativ. Ich fühle mich in der Melancholie zuhause. | |
Die Frage nach der Heimat bekommen Menschen mit Migrationshintergrund | |
ständig gestellt. Was sagst Du dann? | |
Ich habe vergessen, was ich den letzten zehn Journalisten gesagt hab. Ich | |
weiß nie eine gute Antwort auf die Frage. Mein Studio ist meine Heimat! Und | |
hoffentlich ist sie für den Rest meines Lebens dort, wo mein kleiner Junge | |
ist, meine Familie. Und meine Musik. Der Ort meiner Geburt ist mir genommen | |
worden. Hier in Hamburg fühle ich mich zuhause. Aber ich mag die Idee, | |
überall zuhause zu sein. | |
Aus Deiner Musik hört man so viele Einflüsse und Genres heraus, dass man | |
den Eindruck hat: Das könnte von überall her kommen, ob aus Sao Paolo oder | |
Los Angeles. | |
Hip-Hop hat mich schon an die verrücktesten Orte gebracht. So connecte ich | |
mit Leuten, das ginge sonst nicht. Wo ich ohne die Musik wäre? Will ich gar | |
nicht wissen. Auf jeden Fall wäre es scheiße. | |
27 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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