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# taz.de -- Neues aus dem HipHop-Underground: Musik für die Oma
> Chefket bringt nach 10 Jahren im HipHop-Underground sein erstes Album
> raus. Seine Musik sollen die Fans auch ihrer Oma vorspielen können.
Bild: Jetzt ist er bei einem Majorlabel gelandet: Rapper Chefket.
Die Musikindustrie wollte Chefket schon einiges einreden. Manche meinten,
er solle seinen Fokus auf den Gesang legen und eine Art türkischer Xavier
Naidoo werden. Andere sagten, er solle nur noch rappen, dabei aber eine
härtere Sprache verwenden.
Doch der Thirtysomething, der bürgerlich Şevket Dirican heißt, ging
unbeirrt seinen Weg zwischen Rap und Soul und präsentiert nun nach über
zehn Jahren im HipHop-Untergrund sein Majordebüt: „Nachtmensch“, ein subtil
politisches, sehr musikalisches HipHop-Album, ohne Ghetto-Attitüde, ohne
moralischen Zeigefinger.
Er sitzt in einem Café in Berlin-Neukölln. „Endlich komme ich mal aus
meinem Kiez raus“, sagt Chefket. Gestrandet ist er vor fast zehn Jahren im
Wedding, lebt aber inzwischen in Friedrichshain. Er bestellt Cappuccino und
nimmt dabei die französische Bedienung auf den Arm. Es ist ihr erster Tag,
seine ironisch-charmante Art bringt sie durcheinander. Er ist ein netter
Typ, dieser Chefket — aber auch Künstler und Bohemien, durch und durch.
Aufgewachsen ist Chefket in einem Arbeiterviertel von Heidenheim in der
baden-württembergischen Provinz, als einziges türkischstämmiges Kind in
seiner Klasse. Trotz seines guten Notendurchschnitts in der Grundschule
sollte er nach Ansicht seiner Lehrer nicht aufs Gymnasium gehen.
Doch sein Vater erkämpfte ihm die besten Bildungschancen. So bekam Chefket
zum ersten Mal Vorurteile und Benachteiligung zu spüren. Erst als
Jugendlicher begann er sich mit seinen Wurzeln und der türkischen
Geschichte zu befassen. Für ihn waren türkische Werte bis dahin immer
positiv besetzt gewesen: Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft,
Familienzusammenhalt.
## Toiletten putzen
„In Heidenheim war ich in allen Cliquen unterwegs: Ich habe viel mit
Älteren abgehangen, mit Punks, aber auch mit Skatern und Türken.“
Irgendwann hörte Chefket bei seiner Schwester ein Album des Rappers Nas.
Dadurch eröffnete sich ihm eine neue Sichtweise auf Musik als Mittel zum
Geschichtenerzählen. „Das war der Urknall“, sagt er.
Über ein Schulprojekt lernte er andere Musiker kennen und wurde Teil der
Funk-Band Nil. Drei Jahre blieb sie zusammen. Sie zerfiel, als sich die
Mitglieder nach der Schule über ganz Deutschland verstreuten. Chefket blieb
zurück und putze einen Sommer lang Toiletten, um sich einen Computer mit
einer gecrackten Musiksoftware zu kaufen. Das darauf entstandene Album
verkaufte er auf der Straße und vor den Clubs, in denen er kostenlos
auftrat.
Chefket war Anfang 20, als er spürte, dass das Leben in der
südwestdeutschen Provinz nicht mehr viel für ihn bereithielt. Über Bekannte
landete er in einer WG im Berliner Wedding.
Der Cappuccino kommt. Chefket erklärt, wie er sich in seiner Anfangszeit in
Berlin ohne Geld über Wasser gehalten hat: „Du musst nur, wenn du ein
türkisches Café betrittst, in möglichst akzentfreiem Türkisch die Worte
‚kolak gelsin‘ sagen, das bedeutet in etwa: ‚Möge dir die Arbeit
leichtfallen‘. Dann bekommst du auf jeden Fall schon mal einen Tee
umsonst.“
Der junge HipHop-Fan wähnte sich in Berlin plötzlich im subkulturellen
Paradies: Graffiti, Partys, Battles und Konzerte. Er tauchte in die
Rap-Szene ein, nahm an jedem Freestyle-Wettbewerb teil. Doch schon bald
merkte er, dass Battle-Rap nicht sein Genre war. Er wollte seine Gegner
nicht unter der Gürtellinie beleidigen, wie es dort üblich war. Chefket
rappte nicht aus Lust an der Erniedrigung.
Von seinen Kollegen aus dem Gangsta-Rap wurde Chefket damals, Mitte der
Nullerjahre, als harmloser „Conscious-Rapper“ belächelt. „Ich war ja eher
ein Paradiesvogel. Manche haben mir geraten, mehr auf meinem türkischen
Background herumzureiten. Damit könne man Geld verdienen“, sagt er.
Doch es gab auch Gleichgesinnte: Amewu etwa, ein im Berliner Untergrund
gefeierten Rapper mit dezidiert politischer Agenda. Sie wurden ein festes
Team auf der Bühne. Chefkets erstes richtiges Album „Einerseits,
andererseits“ erschien 2009 über das Berliner Indie-Label Edit
Entertainment, bei dem auch Amewu unter Vertrag stand.
## Desillusionierung
Chefket hatte gehofft, nach der Veröffentlichung würde sich sein Leben
nachhaltig verändern. Doch das Echo auf die Platte verhallte schneller als
gedacht, für ihn heute rückblickend „eine große Desillusionierung“.
Immerhin sprach ihn auf seiner Release-Party ein junger Rostocker Rapper
namens Marteria an und fragte ihn, ob er ihn auf seiner nächsten Tour
unterstützen wolle. Dessen Durchbruch stand damals erst noch bevor. Chefket
ergriff die Chance, auch wenn das bedeutete, an manchen Abenden als
Vorgruppe vor 30 zahlenden Gästen aufzutreten.
In den folgenden Jahren betrachtete Chefket den rasanten Aufstieg seines
neuen Freundes aus nächster Nähe. Selbst auf den größten Konzerten und
Festival-Gigs räumte Marteria ihm einen prominenten Platz in seiner Show
ein: Während Marteria das Outfit wechselte, bekam Chefket die Chance,
abertausende Menschen von sich zu überzeugen. „Das war ein Schubs, den ich
brauchte“, erklärt er. Ein Schubs, der ihn aber auch so produktiv machte,
dass er 2013 genug neues Material aufgenommen hatte, um eine EP und ein
Mixtape zu füllen. Er wollte es noch mal wissen.
Das Feedback auf die neuen Songs fiel wohlwollend aus und die Zeit schien
richtig, um an einem zweiten Album zu arbeiten. Nur war der musikalische
Kompagnon noch nicht gefunden. Der trat schließlich in Form von Farhot in
sein Leben.
Der afghanischstämmige, in Hamburg aufgewachsene Produzent hatte sich mit
Arbeiten für so unterschiedliche Künstler wie die nigerianische
Reggae-Sängerin Nneka oder den Frankfurter Gangsta-Rapper Haftbefehl einen
Namen gemacht — vor allem für sein organisches Sounddesign und das
Zusammenspiel aus harten HipHop-Drums und glasklaren Melodien. Die beiden
Eigenbrötler verstanden sich auf Anhieb und beschlossen, eine Platte zu
produzieren.
## Aufstieg
„Nachtmensch“ entstand über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren zwischen
Berlin und Hamburg. Während Chefket früher Themen wie Politik und
Spiritualität recht plakativ in seinen Texten behandelte, sind diese
Elemente präzisen Alltagsbeobachtungen und Geschichten gewichen, die ihre
Botschaft zwischen den Zeilen transportieren.
Wenn er in „Tanz“ über den Berliner Party-Eskapismus rappt, dann folgt
hierauf auch die Frage nach den Ursachen für diese Flucht aus dem
bürgerlichen Alltag. Oder er überspitzt seine Sozialkritik in einem Song,
in dem er sich die „Vernichtung“ der Menschheit zum Wohle des Planeten
wünscht. Chefket nimmt kein Blatt vor den Mund, aber er will auch nicht
missionieren.
Vor allem ist Chefket eines wichtig: in seinen Texten „keinen Bullshit zu
erzählen.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Rappern glaubt er durchaus daran,
dass er als Künstler auch eine Verantwortung für seine Hörer trägt —
mehrheitlich junge Rap-Fans, die in ihren Meinungen und Ansichten leicht
beeinflussbar sind. Doch wenn er zurückblickt, muss er sich für nichts
schämen, findet er. „Meine Musik soll man auch seiner Oma vorspielen
können.“ Was Chefket nicht mehr möchte: auf die Herkunft seiner Eltern
reduziert werden. Auch wenn er einen Teil des Albums bei ihnen schrieb, die
inzwischen wieder in ihre türkische Heimat zurückgekehrt sind.
Nicht wie die anderen sein, sein Glück nicht im Materialismus oder in der
oberflächlichen „Selbstoptimierung“ suchen — Chefket ist in der aktuellen
Rap-Szene tatsächlich so etwas wie ein Querdenker. Trotzdem sieht er sich
keinesfalls als besseren Menschen. Man müsse auch „den Trottel in sich
akzeptieren“, sich selbst nicht zu ernst nehmen. „Ich will niemals Sklave
meiner Worte sein“, sagt Chefket. „Das würde bedeuten, dass man stehen
bleibt.“
18 Aug 2015
## AUTOREN
Stephan Szillus
## TAGS
HipHop
Rapper
Deutscher Hip Hop
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Schwerpunkt Rassismus
HipHop
Rap
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Pharrell Williams
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