| # taz.de -- „Yo, Picasso“ von Fatoni & Dexter: Kann nicht reden / Ich esse | |
| > Auf seinem neuen Album parodiert Fatoni deutsche Strandurlauber und die | |
| > Latte-Macchiato-Problemchen der Generation Y. | |
| Bild: Fatoni hat die Hochkultur gegen die HipHop-Subkultur eingetauscht, aber P… | |
| Es kommt nicht allzu oft vor, dass jemand, der Mitglied eines renommierten | |
| Theaterensembles ist, so mir nichts dir nichts kündigt. Anton Schneider, | |
| der am Augsburger Stadttheater engagiert war, hatte einen guten Grund | |
| dafür: Er wollte Rapper werden. Mit 30 Jahren hat Schneider die Hochkultur | |
| gegen die HipHop-Subkultur eingetauscht. Sein Kernpublikum hat sich in | |
| kurzer Zeit gewandelt: aus stillen Genießern der Schauspielkunst wurden | |
| Jugendliche, die sich für rauen Sprechgesang begeistern. | |
| Wenn Anton Schneider rappt, nennt er sich Fatoni. Sein neues, zusammen mit | |
| dem DJ Dexter entstandenes Album „Yo, Picasso“ ist die Konsequenz aus dem | |
| Prioritätenwechsel und die bisher zwingendste Veröffentlichung seiner | |
| Karriere. Es tauchte in vielen Jahrespolls auf. | |
| Früher, als Fatoni noch – parallel zu seinen Theaterengagements – mit der | |
| HipHop-Crew Creme Fresh unterwegs war, klang seine Musik solide, tat aber | |
| keinem weh. Lobgesänge auf die eigene Subkultur und die farbverzierten | |
| Eisenbahnwaggons im Nahverkehr, später sogar einige Crossover-Versuche. | |
| Viel mehr war da nicht. Nach zwölf Jahren brach Creme Fresh 2012 | |
| auseinander. | |
| Seither aber setzt Fatoni auf eine Solokarriere und veröffentlicht mit | |
| stoischer Konsequenz Musik. Schon auf seinem Debütalbum „Solange früher | |
| alles besser war“ ließ sich die schelmische Ironie erahnen. Zwischendurch | |
| parodierte er die Pop-Rap-Ikone Cro, indem er mit ein paar Kilo Übergewicht | |
| in der viel zu engen Röhrenjeans den „dicken Hipster“ mimte. Kurz darauf | |
| kam ein Kollaborationsalbum mit dem scheuen Szene-Sonderling Edgar Wasser. | |
| Ist 30 wirklich das neue 20, fragt sich Fatoni nun auf „Yo, Picasso“? | |
| Gealtert wirkt er nicht, musikalisch gereift dagegen schon. Während er sich | |
| auf „[1][Benjamin Button“] über alte Idole echauffiert, die vom Rebell zum | |
| Spießer wurden und nur noch fett und satt ihre Bilder im Kopf besingen, | |
| hört man Fatonis Sound das Magenknurren an: Hunger macht manchmal fies. | |
| Dann hält er mit breitem Grinsen den Deutschen in der Wohlstandsblase, den | |
| intoleranten Charakteren der Rapszene und der jammernden Generation Y mit | |
| ihren Latte-macchiato-Problemchen den Spiegel vors Gesicht. | |
| Seinen Höhepunkt findet alles im belastend ironischen Stück [2][“32 Grad“… | |
| Dort bestellt er, getrieben von Wohlfühl-Synthie-Hooklines, Cocktails und | |
| brüllt nach Sonnencreme: Fatoni verkörpert den typischen deutschen | |
| Strandurlauber, der sich reichlich wenig darum schert, was für ein Elend um | |
| ihn herum im vermeintlichen Urlaubsparadies herrscht. | |
| Von Verschwörungstheoretikern und Profithaien in der Musikindustrie lässt | |
| er sich erst gar nicht beirren, lächelt sarkastisch und greift via Songtext | |
| zum schmierigen Schokoriegel in der Hosentasche: „[3][Kann nicht reden / | |
| Ich esse“]. Fatoni kritisiert ohne lehrerhafte Zeigefingerrhetorik, lieber | |
| nimmt er sich selbst auf die Schippe. Dem mit Klamauk durchtränkten „ADHS“ | |
| hätte eine Dosis Ritalin allerdings ganz gut getan. Denn in Spaßrap | |
| abdriftende Tracks sind die schwächsten Momente von „Yo, Picasso“. | |
| Der praktizierende Kinderarzt und Produzent Dexter, der sich auch dann noch | |
| durch verstaubte Vinylscheiben gräbt, wenn andere längst keine Luft mehr | |
| bekommen, hat an den Beats geschraubt. Er sampelte sich durch | |
| 80er-Synthiefarbenspiele und knarzigen Jazz. Der Zwiespalt zwischen | |
| synthetischem Pop und hippeligen Piano-Loops, angeschoben von | |
| Snaredrumbeats, denen der Dreck anhaftet, ergibt zusammen ein rundes Album. | |
| „Yo Picasso“ wird gefüttert mit kleinen Geschichten zu den großen | |
| gesellschaftlichen Debatten. Und obwohl Fatoni nicht Mike Skinner ist, den | |
| er im eigenen Kämmerlein mit geröteten Wangen im Song „Mike“ anhimmelt: | |
| Viel fehlt nicht zur ehrlichen Leichtigkeit des rhythmisch versierten und | |
| schnellsprechenden Briten. | |
| 5 Jan 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=CqOypiXIKRo | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=BIUGN34nS7Y | |
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| ## AUTOREN | |
| Johann Voigt | |
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