# taz.de -- Haftbefehls neuer Song: Gewalt und sinkende Löhne | |
> „Depressionen im Ghetto“ heißt der neue Song des Rappers Haftbefehl. | |
> Warum der Offenbacher in dem Video ungewöhnlich viel tanzt. | |
Bild: Haftbefehl auf dem Kosmonaut Festival in Chemnitz im Juni. | |
Angela Merkel, Abu Bakr al-Bagdhadi, Barrack Obama – es sind nur drei | |
Frames, mit denen das neue Video des Rap-Superstars Haftbefehl einen | |
riesigen Bedeutungsrahmen aufspannt. „Vergiss es, es kommt eh keine | |
Rettung“, rappt Haftbefehl und malt die Welt tiefgrau. „Depressionen im | |
Ghetto“ heißt der Song – eine impressionistische Erzählung mit zwei | |
Erzählperspektiven. | |
Die eine spricht natürlich der Ex-Koks-Ticker Haftbefehl selbst: „Menschen | |
vertrauen? Komm schon, bitte!“ Im Gegensatz zu vielen seiner | |
HipHop-Kollegen schafft er es aber immer wieder, über sein persönliches | |
Drama hinauszublicken. So rappt er hier außerdem als Erzähler aus der | |
dritten Person von steigendem Drogenkonsum, sinkenden Löhnen und | |
omnipräsenter körperlicher Gewalt. | |
Auf den ersten Blick steht das zum Song gehörige Video im Widerspruch zu | |
den Lyrics des Offenbachers: Weil Haftbefehl darin für einen Gangsta Rapper | |
ungewöhnlich viel tanzt, fühlt man sich zwangsläufig an „[1][Hotline | |
Bling]“ erinnert, jenes Video, mit dem der viralste HipHopSuperstar, der | |
Kanadier Drake, dank denkwürdiger Tanz-Moves über Wochen die Timelines der | |
Welt dominierte. | |
Ohnehin ist das eigentlich Bemerkenswerte an diesem Video nicht der Tanzbär | |
Haftbefehl, der im Video in einem Moment als Engel und im nächsten als | |
Teufel inszeniert wird, sondern die daraus entstehende moralische | |
Ambivalenz. | |
Haftbefehl verkörpert sie auch lyrisch. Reflektiert und selbstkritisch | |
betrachtet er die ihm zur Verfügung stehenden Weltanschauungen und erkennt | |
am Ende, dass ihn keine davon vor seinen privaten Dämonen retten kann: | |
„Kanacken in Deutschland? Ich bin nur Sohn meines Vaters!“ Gangsta-Rap mit | |
deutschen Texten funktionierte 2015 in erster Linie als kurzlebiges | |
Trash-Entertainment. | |
Haftbefehl setzt dem mit seiner angeblichen Antwort auf [2][Jan Böhmermann] | |
(„[3][CopKKKilla]“) und nun „Depressionen im Ghetto“ einen modernen | |
Soundentwurf mit Bomb-Squad-Reminiszenzen entgegen, der mit universellen | |
Momenten auftrumpft: „Schnell Thema wechseln, sonst wird noch geballert und | |
ich bin drei Tage verstrahlt wie Marteria.“ Damit darf sich bis hin zum | |
Gelegenheitstrinker jeder identifizieren, dem das beschädigte Weltgefüge | |
ein kalter Graus ist. Nicht mal Kendrick Lamar kriegt das besser hin. | |
17 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://youtu.be/CL1GEyK9Y0o | |
[2] https://youtu.be/PNjG22Gbo6U | |
[3] https://youtu.be/AdLiqQQWdks | |
## AUTOREN | |
Sascha Ehlert | |
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