# taz.de -- Transgender Rap aus den USA: „Ghetto-Fabulous Riot Grrrl Rap“ | |
> Mal schwuler Mann in Drag, dann genderfluide Transfemme. Die Künstlerin | |
> Mykki Blanco präsentiert ihr neues Album „C-ORE“. | |
Bild: Mykki Blancos Aussehen verändert sich so häufig wie die gewünschten Pr… | |
Punk-Rap. Performance-Kunst, Rap, Literatur, Artschool-Dropout und jetzt | |
Labelarbeit: Mykki Blancos Tätigkeitsfelder multiplizieren sich so rasch | |
wie ihre Einträge im Netz, ihr Aussehen verändert sich so häufig wie die | |
gewünschten Pronomen. Schwuler Mann in Drag oder genderfluide Transfemme? | |
[1][Blanco ist alles], nur nicht berechenbar. Kürzlich kündigte sie an, | |
ihre Musikerkarriere für investigativen Journalismus über LGBTQ-Realitäten | |
in Nepal abzubrechen (LGBTQ: Gemeint sind lesbische, schwule, bisexuelle, | |
transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Orientierungen). Kurze | |
Zeit später outete sie sich als HIV-positiv. Und gab die Gründung ihres | |
Labels Dogfood Music Group bekannt. | |
Im Großraum Los Angeles geboren, erlebte Michael David Quattlebaum junior | |
als Kleinkind die Scheidung seiner Eltern und zog mit seiner Mutter nach | |
Raleigh in North Carolina in die Südstaaten. Seine Biografie klingt nach | |
Enfant terrible: Als Nachwuchskünstler gewann er mit seinem | |
Performance-Kollektiv einen Indie Spirit Award, haute mit 16 von zu Hause | |
ab, ging nach New York und kehrte nach ein paar Monaten zurück – nur um mit | |
Hausarrest sanktioniert zu werden. | |
Später gewann er ein Stipendium an der [2][School of the Art Institute of | |
Chicago]. Flog nach drei Semestern raus, ging an die Designschule in New | |
York und hielt es auch dort nur ein halbes Jahr aus. Dann versuchte er sich | |
als Poet und veröffentlichte 2011 „From The Silence of Duchamp to The Noise | |
of Boys“, einen Band mit Gedichten und Illustrationen. Eine seiner | |
Weisheiten lautet: „Wash your lover’s hair“ (in „The Intimacy of Being�… | |
Blancos Punk-Poetry klingt einprägsam. Sie sind explizit, politisch und | |
sehr persönlich. | |
## Ein Körper wie ein Stickerheft | |
In verschiedenen Formationen machte er auch Musik. Mykki Blanco in Drag war | |
ursprünglich für ein Video-Projekt geplant und sollte ein Teenage-Mädchen | |
darstellen. Für die Namenswahl ließ er sich von einem seiner Vorbilder | |
inspirieren: Kimmy Blanco, Alter Ego der US-Rapperin Lil’Kim. Dabei blieb | |
es jedoch nicht, Mykki Blanco wurde zu Michaels Bühnenidentität. Inspiriert | |
von der Riot-Grrrl-Bewegung im Allgemeinen und der feministischen Ikone | |
Kathleen Hanna im Speziellen kreierte er eine Nische im HipHop, die er auf | |
seinem Blog „Ghetto-Fabulous Riot Grrrl Rap“ nennt. | |
Glamourös und heruntergerockt zugleich posiert Mykki in Designerwear, | |
üppigen Perücken, auffälligem Make-up und tätowiertem Körper auf | |
Instagram-Bildern und Hochglanz-Fotostrecken. Sein Oberkörper schmückt viel | |
Tinte: Davidsterne für seinen jüdischen Vater, Peace-Zeichen und eine | |
kleine Spinne, um nur einige Symbole zu nennen. Dieser Körper erinnert eher | |
an ein Stickerheft aus den 90ern als an eine HipHop-Diva. | |
Glamour ist dennoch vorhanden, Mykki Blanco wäre schließlich keine | |
Performance-Künstlerin, wenn ihr ein Spagat wie dieser nicht gelänge. Wenn | |
sie ikonische Zeichen setzt, ist das ihr Ding, evident durch die nicht zu | |
unterschätzende Namensgebung ihrer Mixtapes. Ihr Debüt manifestiert 2012 | |
ihre genderfluide, magische Performance. „Cosmic Angel: The Illuminati | |
Prince/ss“. Mit „Gay Dog Food“ sicherte sie sich eine eigene Marke. Dieses | |
Tape ist nicht nur aufgrund der musikalischen Zusammenfassung ihrer | |
Persönlichkeit prägend, es führte auch den Namen ihres Labels „Dogfood | |
Music Group“ ein. | |
„Es geht nicht unbedingt um Hunde, sondern um das Gefühl, was ich mit ihnen | |
verbinde“, erklärt Blanco. „Das ist sehr grungy. Viele assoziieren mit | |
Schwulsein Femininität oder Zartheit, Hunde brechen mit diesem Klischee.“ | |
## Ein afrofuturistisches Werk | |
Erste Veröffentlichung auf dem Label ist die [3][Compilation „C-ORE“]. | |
Neben neuen Songs von Blanco werden drei Künstler vorgestellt. „Ich schenke | |
dem Geschehen im Underground mehr Beachtung. In meiner Jugend wurden | |
Schwarze nur berühmt, wenn sie rappten. Aber darauf möchte ich sie nicht | |
reduzieren.“ Blancos Wahl fiel auf [4][Violence], [5][Psychoegyptian] und | |
[6][Yves Tumor]. Mykki Blancos Gusto als Qualitätssiegel zeichnet die Musik | |
der Talente aus. | |
Insgesamt entsteht so ein afrofuturistisches Werk, das mit den Genres | |
Punk-Rap, Industrial, Noise und Grime spielt. Yves Tumors Track schwebt in | |
kratzig-lauten, urban-atmosphärischen Klangutopien, während Psychoegyptian | |
queeren Up-Tempo Rotz-Rap macht. Dessen Fette Beats und verzerrte Stimmen | |
erinnern an düsteren Witch House, aber auch an Kanye Wests Magnum Opus | |
„Yeezus“. | |
Daran knüpfen Mykkis eigene Tracks gut an. Die Klangästhetik passt zu | |
Blancos Glauben an Hexen und übernatürliche Energien. Dies wiederum knüpft | |
an ihre [7][starken feministischen Analysen] über Rassismus, Kolonialismus | |
und Homophobie an, die sie über Facebook teilt – wie die strukturell | |
bedingte Intersektion zwischen Misogynie und Homofeindlichkeit. | |
Auf „C-ORE“ bleibt die Repräsentation weiblicher Künstlerinnen allerdings | |
auf der Strecke. Kürzlich sorgte auch ihre Zusammenarbeit mit dem | |
Fotografen Terry Richardson für Unverständnis bei ihren Fans. Richardson | |
waren von Models sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden. Ob Mykki Blanco | |
mit ihren polarisierenden Statements nur Radical-Chic frönt oder wirklich | |
radikale Haltung zeigt, bleibt abzuwarten. Ganz egal, was sie ist: eine | |
Aktivistin oder eine Künstlerin – Mykki Blanco erregt die Gemüter. | |
21 Sep 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://mykkiblancoworld.com/ | |
[2] http://www.saic.edu/index.html | |
[3] http://www.youtube.com/watch?v=lzEX0H5N53U | |
[4] http://soundcloud.com/vilentsiolence | |
[5] http://soundcloud.com/psychoegyptian | |
[6] http://soundcloud.com/yvestumor | |
[7] http://www.facebook.com/MykkiBlanco | |
## AUTOREN | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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