# taz.de -- Neues von HipHop-Produzent Farhot: Auf Wurzelsuche mit dem Sampler | |
> Der Produzent Farhot hat ein neues Album rausgebracht. In „Kabul Fire | |
> Vol. 2“ bildet er postmigrantische Lebenskultur überzeugend ab. | |
Bild: Von Hamburg bis Kabul und zurück: Rapproduzent Farhot hat ein neues Albu… | |
Orientalische Samples und Referenzen sind im HipHop schon länger | |
verbreitet. Ist es doch ein Genre, das anteilig auf Nerdtum aufbaut. Und | |
HipHop-Nerds suchen gerne nach entlegenen Klangquellen für ihre Samples, | |
damit die darauf fußende Musik möglichst eigenwillig klingt. Die ernsthafte | |
[1][kulturelle Auseinandersetzung] mit dem Ausgangsmaterial rückt dabei | |
jedoch meist in den Hintergrund. | |
Das zweite Soloalbum des 37-jährigen Hamburger Produzenten Farhot, der mit | |
bürgerlichem Namen Farhad Samadzada heißt, ist frei von Exotismus und | |
orientalischen Klischees. Farhot hat bereits für Haftbefehl, [2][Max Herre] | |
und den US-Rapper Talib Kweli produziert, alles im Homestudio, das im Haus | |
seiner Eltern untergebracht ist. Für „Kabul Fire Vol. 2“ hat er sich nun | |
selbst auf Spurensuche begeben, an seinen Geburtsort Kabul, um seine | |
Verwobenheit mit der Geschichte Afghanistans zu erforschen. | |
Sampling ist dabei mehr als nur Nerdtum, es dient Farhot als Praxis, um | |
kulturelle Fragmente neu zusammenzusetzen. Sein Album vereint | |
Klangschnipsel aus der traditionellen Musik Afghanistans mit Filmzitaten | |
und Gedichten der jüngeren Geschichte des Landes. Durch die Collagetechnik | |
verschafft sich Farhot neue Zugänge zur Kultur seines Geburtsorts. | |
## Brüche und Zirkel | |
Dass seine diasporischen Erfahrungen nicht immer geradlinig oder | |
einheitlich sind, davon erzählen die Brüche und Zirkel der Musik auf „Kabul | |
Fire Vol. 2“. Etwa wenn das Pianothema aus dem erhebenden Intro „Bale Bale�… | |
sowohl auf dem zentralen „Azadi“ (Freiheit) wiederkehrt, um das Album | |
schlussendlich im Outro „Shirin“ zu beenden. | |
Brüche zeigen sich beispielsweise in den perkussiven Elementen des Stücks | |
„Kalun“ (Viel), in dem Worte einer Mutter, die ihrem Kind ein Leben in | |
Fülle wünscht, zu hören sind. Reibung entsteht, wenn die Tiefe des Basses | |
auf „Kishmish“ (Rosine) an die Süße des klimpernden Pianos gerät und der | |
Track „Ahange Qadimi“ (Alte Musik) zwischen verschiedenen Samples hin und | |
her springt, ohne an Energie zu verlieren. | |
Vielperspektivität ergibt sich auch durch Gastbeiträge der Rapper:innen | |
und Sänger:innen JuJu Rogers, Nneka, Maverick Sabre und Tiggs Da Author, | |
die teils zur [3][Hamburger Szene] gehören, teils in London leben. So ruft | |
JuJu Rogers in „Check“ zum Kampf für soziale Gerechtigkeit auf, während | |
Nneka auf dem gleichen Titel an die Wichtigkeit der Selbstliebe erinnert. | |
„Kabul Fire Vol. 2“ klingt dann besonders gelungen, wenn es sich nicht zur | |
Eindeutigkeit hinreißen lässt. Das Thema Freiheit gewinnt auf „Azadi“ an | |
Ambivalenz, wenn das zentrale Pianomotiv zunächst von suchenden, fast | |
verlorenen Snaredrumschlägen untermalt wird, bevor sich der Song nach einer | |
Gesangsunterbrechung zum gewichtigen, strukturierten Beat entwickelt. Er | |
gerät erst wieder ins Stolpern, als ein Filmzitat eingespielt wird, das | |
einen exotisierenden westlichen Blick auf die Stadt Kabul präsentiert. | |
Sound erfordert Konzentration | |
Ist dieses Album auch ein Zeugnis Farhots ganz eigener Nachforschungen, so | |
betont die Hamburger Künstlerin Moshtari Hilal auf „Sampling Watana/Biya | |
Bachem“ das Potenzial von Sampling zur Erkundung kollektiver Erfahrungen. | |
So lässt sich der zweite Teil des Titels dann auch mit „Komm, mein Kind“ | |
übersetzen. In Hamburg, dem Wohnort von Hilal und Farhot, dürften diese | |
Überlegungen auf großen Anklang stoßen, ist die Kulturszene der Stadt doch | |
durchaus migrantisch geprägt. | |
Ähnlich angenehm, wie „Kabul Fire Vol. 2“ das Publikum an der Hand führt, | |
so abrupt endet es auch nach einer kurzen Hymne auf die Schönheit des | |
Lebens. Und beginnt nahtlos wieder von vorne. Auch beim zweiten und dritten | |
Hören der Musik bleibt sie spannend, man erkennt immer wieder neue Details, | |
Brüche und Referenzen und auch diese wollen erforscht werden. | |
Farhots Sound erfordert Konzentration. Wer sich aber auf die Klangwelt des | |
Hamburger Künstlers einlässt, kann Farhot auf dessen musikalischer | |
Wurzelsuche direkt begleiten und viel über Motive und Strategien | |
postmigrantischer Gegenwartsbewältigung erfahren. Und außerdem ist es eines | |
der besten instrumentalen HipHop-Alben der letzten Zeit. | |
29 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Till Wilhelm | |
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