# taz.de -- Max Herre und sein Album „Athen“: Doppelte Buchführung | |
> Gegenentwurf zum Macker-HipHop: Max Herre hat mit „Athen“ ein neues Album | |
> veröffentlicht und erklärt, wie er es mit Kollegen und Kollegah hält. | |
Bild: „Es gibt ein Rechts, das sehr laut ist“, sagt Max Herre, „da muss m… | |
Der Import des US-Gangsta-Rap hat einige unangenehme Nebenwirkungen mit | |
sich gebracht. Zum Beispiel: Homophobie, [1][Antisemitismus], | |
[2][Frauenverachtung]. Ohne dergleichen Diskriminierungen kommen auch die | |
erfolgreichsten deutschsprachigen Rap-Acts wie Kollegah, 187 Strassenbande | |
oder RAF Camora kaum aus. | |
Max Herre, früher Rapper der Band Freundeskreis, kennt Lyrics dieser Art | |
seit seiner Jugend: „Solche Texte existierten schon früher“, sagt der | |
46-Jährige. „Wir haben in den Neunzigern zum Beispiel Street-Rap von | |
N.W.A., Mobb Deep und so weiter gefeiert. Da gab es irgendwie für uns alle | |
eine doppelte Buchführung.“ | |
Im Fall von Gruppen wie N.W.A., auf deren Debütalbum „Straight Outta | |
Compton“ sich unter anderem homophobe Verse fanden („I got a boyfriend / | |
bitch stop lyin’/ dumb-ass hooker ain’t nothin’ but a dyke“), beschloss… | |
wohl einfach, die Musik gut zu finden und auf die Texte nicht allzu sehr zu | |
achten. | |
Als HipHop in den neunziger Jahren zur deutschen Sprache fand, musste der | |
Stuttgarter Architektensohn Herre auch eine Attitüde übersetzen – dies tat | |
er, ohne sich selbst als Goldketten-behangenen BadBoy zu inszenieren. | |
HipHop entfaltete früh eine innovative Kraft, aber ebenso früh zeigte sich | |
auch erstaunlich Rückständiges. Diese zwei Seiten gab es schon im | |
allerersten HipHop-Hit, „Rapper’s Delight“ (1979), in dem Sugarhill Gang | |
einen fiktiven Rivalen als „Schwuchtel“ diffamierte. | |
Ende der 80er hetzten Public Enemy gegen Juden, DMX malte sich später in | |
einem Song aus, die minderjährige Tochter eines Kontrahenten zu | |
vergewaltigen. Eine humanistische Weltsicht, wie sie wohl auch Herre | |
vertritt, war im Street-/Gangsta-Rap kaum auszumachen. Als Herre 1999 im | |
Freundeskreis-Song „Esperanto“ HipHop als „Lingua franca für alle Linken… | |
ausrief, war das also wohl eher Wunschdenken als Realität. | |
Zwanzig Jahre später zählt der gebürtige Stuttgarter zu den deutschen | |
HipHop-Veteranen, und dass er dabei auch ein bisschen aus der Zeit gefallen | |
scheint, wirkt eher angenehm. Mit „Athen“ hat der Deutschrap-Pionier vor | |
Kurzem ein neues Soloalbum veröffentlicht – ein Werk, das den Geist der | |
Neunziger atmet. Sein Sound ist von aktuellem Deutschrap à la Kollegah und | |
Konsorten so weit entfernt wie HipHop heute vom Underground. In seinen | |
Texten findet sich keine Spur von Provokation und Mackertum. | |
## Kategorie: Linker | |
Während linke Politik traditionell für die Schwachen der Gesellschaft | |
Partei ergreift, vertraten viele von Herres Helden ein anderes Weltbild. | |
Die Idee nämlich, dass den Schwachen nicht beigestanden werden sollte, | |
sondern dass sie, im Gegenteil, erniedrigt gehören. Mit Rappern wie | |
Bushido, Kollegah und der Hamburger Crew 187 Strassenbande ist diese | |
Arschloch-Attitüde längst im Deutschrap hoffähig. | |
„Natürlich sehe ich mich noch als Linker“, betont Herre, „vielleicht mac… | |
diese Kategorie sogar mehr Sinn denn je, weil es ein Rechts gibt, das sehr | |
laut ist. Wir leben in einer Zeit, in der man sich positionieren muss.“ | |
So demonstrierte Herre in Dresden gegen rechte Intoleranz, ging nach | |
Äthiopien, um für Wasserprojekte zu werben, und hat eine deutsche Version | |
des Band-Aid-Klassikers „Do They Know It’s Christmas“ aufgenommen. Ähnli… | |
engagiert zeigen sich viele seiner Kollegen. Trotzdem scheint die | |
Doppelmoral, die Herre als Teenager pflegte, bis heute fortzudauern. | |
[3][Jan Delay] etwa, ein weiterer wichtiger Deutschrap-Wegbereiter, möchte | |
ausgerechnet beim Hamburger Rapper Gzuz eine linke Haltung erkennen und | |
holte ihn für einen Song ins Studio. Von Gzuz, Mitglied der 187 | |
Strassenbande, stammen Zeilen wie: „Kein Bock auf Sex? / Na, dann klatsch | |
ich sie weg“ oder „Bring deine Alte mit, sie wird im Backstage zerfetzt“. | |
Delay findet es „[4][einfach geil, dass so realer Straßenrap aus Hamburg | |
kommt]“, wie er 2016 gegenüber dem Magazin Juice erklärte. Herre, der den | |
nicht minder authentischen Frankfurter Gangsta-Rapper Xatar schätzt, sagt: | |
„Auch wenn es nicht immer meine Werte sind, möchte ich, dass diese | |
Geschichten und Perspektiven gehört werden.“ Und weiter: „Ich höre lieber | |
echten Typen zu als irgendwelchen Rappern mit Alter Egos.“ | |
## Panta Rhei und Pink Floyd | |
Aber was ist gewonnen, wenn die Gewalt und der Hass, gegen die man | |
andernorts auf die Straße geht, in der eigenen Szene gelebt statt nur in | |
Worte gefasst werden? Herre findet darauf keine adäquate Antwort, gräbt | |
sich stattdessen ein in Geschichte. | |
Er sampelt die ostdeutsche Jazz-Rock-Band Panta Rhei, lässt im Titelstück | |
Pink Floyds Prog-Rock-Klassiker „Shine On You Crazy Diamond“ anklingen – | |
und klingt gut dabei. Die 17 Stücke von „Athen“ kommen wie vertonte | |
Erinnerungen daher – schon als Kind war Herre oft in der griechischen | |
Hauptstadt. | |
Nur die Widersprüche seines eigenen Genres, die greift Herre auf „Athen“ | |
nicht auf. Hätte er dies getan, wäre er 22 Jahre nach dem ersten | |
Freundeskreis-Hit „A-N-N-A“ wieder eine Art Vorreiter gewesen. | |
22 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Florian Friedman | |
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