# taz.de -- Soloalbum des Kraftklub-Sängers: Braun ist keine nice Farbe | |
> Der Chemnitzer Sänger Felix Kummer veröffentlicht sein düsteres Solowerk | |
> „Kiox“. Er orientiert sich an Lana Del Rey – und ist trotzdem nicht | |
> depri. | |
Bild: „Ich bin eigentlich gar kein pessimistischer Mensch“, sagt Felix Kumm… | |
Er macht HipHop wieder weich, er macht Rap wieder traurig. Das ist die | |
Ansage beim ersten Lied auf dem Debütalbum von Felix Kummer. Der Sänger der | |
Band Kraftklub aus der sächsischen Stadt Chemnitz hat sich für eine Weile – | |
er nennt es so eine Art Babyzeit – von seiner Band verabschiedet, um eigene | |
Songs zu komponieren; Songs, die zu persönlich waren, als dass er sie | |
seiner Band zumuten wollte. | |
Denn „Kiox“ ist ein düsteres Album geworden, ein Album voller | |
„Befindlichkeitsscheiße“ (O-Ton Kummer), ein Einblick in die private | |
Gedankenwelt des Künstlers, der genauso alt ist wie die Wiedervereinigung. | |
„Manche haben mich nach dem Hören gefragt, ob bei mir alles in Ordnung | |
ist“, erzählt Felix Kummer. | |
Er lacht viel während des Interviews, ein gut gelaunter, smarter Typ. Kein | |
Wunder, dass sich Nahestehende Sorgen machen, wenn er singt: „Vielleicht | |
hätten wir Glück / Das Glück, dass man uns einfach vergisst / Die Welt | |
würde sich weiter drehen / Stück für Stück / Immer weiter drehen / Nur halt | |
ohne dich und mich / Die Anderen wären traurig / Wir würden vermisst / Aber | |
scheiß auf die Anderen, wenn dafür alles bleibt, wie es ist“. | |
Dass „Kiox“ dystopisch, traurig und düster klingt, liegt auch daran, dass | |
sich seine Entstehung über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckt hat. | |
„Ich bin eigentlich gar kein pessimistischer Mensch“, sagt Kummer. „Aber … | |
sind eher die schwierigen Momente, in denen ich zum Stift greife.“ Momente, | |
die man nicht auf Instagram postet. | |
In seinen Liedern geht es um Liebe und Freundschaft, ums Älterwerden und um | |
psychische Probleme. Aber es ist eben nicht nur Befindlichkeitsscheiße – | |
und das macht die Musik des Albums so interessant. | |
Dass das Private auch politisch ist, darauf machen Kummer und Kraftklub | |
seit Anfang an aufmerksam. Ihr [1][#wirsindmehr-Konzert] nach der rechten | |
Randale in Chemnitz 2018 war vor allem ein Zeichen dafür, dass man nicht | |
allein ist in seiner Ratlosigkeit, seinem Frust, nicht allein in dieser | |
Stadt. Chemnitz – auf Kummers Geburtsurkunde heißt es noch Karl-Marx-Stadt | |
– ist auch auf seinem Soloalbum ein Thema. | |
Das fängt schon beim Titel an: „Kiox“ hieß einst der Plattenladen seines | |
Vaters, des bildenden Künstlers und Musikers Jan Kummer, in dem der kleine | |
Felix nachmittags zwischen Kaffeeduft, Zigarettenrauch und Plattenregalen | |
herumrannte. Nun hat er kürzlich als Reminiszenz drei Tage lang selbst in | |
der Chemnitzer Innenstadt nahe dem Bahnhof einen Plattenladen eröffnet, um | |
dort, und zwar nur dort, sein Album, und zwar nur sein Album, zu verkaufen. | |
Die Leuten standen Schlange, Kummer signierte eifrig und schloss nach drei | |
Tagen wieder zu. Wer sein Werk (als LP oder wahlweise auch als Kassette) | |
nun erhalten will, muss sie im Online-Shop von Kiox kaufen, auf den | |
üblichen Plattformen wie Amazon ist es nicht erhältlich; Kummer hatte | |
einfach keine Lust, sein persönliches Album am Ende noch aus der Hand zu | |
geben. Dennoch hat es „Kiox“ geschafft, direkt auf Platz 1 der – zugegeben | |
zunehmend bedeutungslosen – deutschen Charts zu landen. | |
## Mitleid für Ex-Nazis? | |
„9010“ heißt die erste Single des Albums – auch sie eine Anlehnung an die | |
Stadt von Kummers Kindheit: 9010 war die Postleitzahl von Karl-Marx-Stadt | |
und seiner Umbenennung in Chemnitz noch bis 1993. Im Song rappt der | |
30-Jährige über einen Neonazi, der ihm und seinen Kumpels immer auf die | |
Fresse gehauen hat, der nun aber so tief abgestürzt ist, dass Kummer | |
keinerlei Rachegefühle, sondern nur mehr Mitleid empfindet. | |
„Es ist aber kein Verständnis-Song im Sinne von: Wenn du ein schwieriges | |
Leben oder Probleme in der Kindheit hattest, ist es klar, dass du Leute ins | |
Krankenhaus schlägst“, betont Kummer. Er ärgere sich sogar ein bisschen | |
drüber, dass er nicht mehr Genugtuung empfinde. | |
Sehr intensiv mit Chemnitz und mit der gesamten sächsischen | |
Neonazi-Problematik beschäftigt sich Kummer im Song „Schiff“: „Rostbraune | |
Flecken an den Wänden unter Deck / Und wenn man das Jahrzehnte lang so | |
lässt/ Dann geht das später nicht mehr von alleine weg.“ Teile des Liedes | |
sind lange vor dem vergangenen Jahr entstanden, auch damals schon aus einem | |
ambivalenten Verhältnis gegenüber seiner Heimatstadt. | |
„Ich kenne niemanden, der noch nie gesagt hat, dass er wegziehen würde“, | |
sagt Kummer. „Aber ich kenne viele, die auch wieder zurückgekommen sind.“ | |
Denn es gebe viele Möglichkeiten dort – angefangen bei billigen Mieten und | |
Proberäumen. | |
## Wenn der Rap weich wird | |
Es ist nicht die einzige Ambivalenz auf „Kiox“. Das ganze Album ist voll | |
davon. Wenn Kummer – unterstützt vom Berliner Varieté-Sänger Max Raabe – | |
darüber singt, dass er Angst hat, dass nun im Alter von 30 die geilste Zeit | |
seines Lebens vorbei ist, dann sinniert er in der dritten Strophe darüber, | |
ob Kinder und ein Haus nicht auch schön wären. | |
Wenn er über Liebe rappt, dann erwähnt er auch Menschenhass. Rappt er über | |
coole Outfits, dann über das Rich-Kids-Spiel, bei dem mit den teuren | |
Preisen von Sneakers geprahlt wird. „Life ist super nice, da wo man die | |
Schuhe trägt. Life ist nicht so nice, da wo man die Schuhe näht.“ | |
Düster wirkt „Kiox“ auch wegen der melancholischen Musik. „Mir fällt es | |
schwer, mich musikalisch zu artikulieren“, sagt Kummer. „Ich kann kein | |
Instrument spielen, keine Noten lesen.“ Also versuchte er seinem | |
Produzenten Blvth mit Worten zu erklären, was er wolle. „Und ich habe | |
versucht etwas herzustellen, das so etwas auslöst, was bei mir zum Beispiel | |
die Musik von Lana Del Rey auslöst“, sagt er. Blvth wusste sofort, welche | |
Stimmung er meinte. | |
Und so hat Kummer den Rap wieder weich gemacht, wieder traurig. Und | |
trotzdem ist alles in Ordnung mit ihm, denn es ist nie alles in Ordnung. | |
31 Oct 2019 | |
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[1] /Chemnitzer-Konzert-der-Solidaritaet/!5530015 | |
## AUTOREN | |
Juliane Streich | |
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