Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album der Chemnitzer Band Blond: Schnörkellose Klatsche
> Das zweite Album des sächsischen Poptrios Blond liefert der
> männerzentrierten Musikindustrie tolle Ohrwürmer. Die knackigen Beats
> braucht man dringend.
Bild: Mischen den hiesigen Pop richtig auf: Chemnitzer Trio Blond
Nehmen wir mal an, jemand komponiere einen griffigen Popsong, dessen Text
von einem Thema handelt, das wirklich viele Menschen verstehen. Irgendwas,
das starke Emotionen bündelt, weil es die Hälfte der Menschheit persönlich
betrifft. Ein Erfolgsgarant? Kommt drauf an. „Abseitig“, „schräg“ – …
lauteten Urteile [1][zum Debütalbum „Martini Sprite“ des Chemnitzer Trios
Blond aus dem Jahr 2020]. Welch bizarre Angelegenheit wurde da verhandelt?
Blond schrieben einen Songtext über Menstruation. In „Es könnte grad nicht
schöner sein“ singen Nina und Lotta Kummer, musikalisch unterstützt von
Johann Bonitz, darüber, wie es ist, eine erquickliche Stimmung durch die
Regelblutung vermiest zu bekommen.
Auch wenn die halbe Weltbevölkerung mit dieser Botschaft etwas anfangen
kann, Teile der deutschen Musikpresse wussten nicht damit umzugehen.
Irgendwie feministisch kam ihnen das vor, und „kritisch“ – klar, weil:
Frauen und ihre Körper, schwieriges Thema.
## Status: sonderbar
Blond genießen seitdem einen sonderbaren Status in der hiesigen
Musiklandschaft. Einig war man sich, dass es so eine Band „dringend
braucht“. Trotzdem mussten sich die drei als „kleine Schwestern von
[2][Kraftklub]“ titulieren lassen, weil Nina und Lotta aus derselben
Familie stammen [3][wie ein gewisser Felix Kummer, der solo] und mit seiner
Band bereits zum Pop-Etablissement gehört. Auf Festivalplakaten rangierte
der Bandname Blond allenfalls beim Kleingedruckten.
„Es regnet Männer“ heißt folgerichtig die an einen Hit der US-Discoqueens
Weather Girls angelehnte Bestandsaufnahme von Blond auf ihrem neuen Album
„Perlen“. Nicht klagend, sondern eher im Modus zynisch-gefeierter
Resignation erzählt die Band hier über einem knackigen Beat und einem
düsteren Gitarrenriff von dem, was ihnen in den vergangenen Jahren
widerfahren ist – und das auch vielen anderen Musikerinnen bekannt sein
dürfte.
Seit Langem weisen Organisationen wie der Verein „Music S Women*“ und die
Initiative „Cock am Ring“ darauf hin, dass Frauen auf den größten deutsch…
Musikfestivals bestenfalls im einstelligen Prozentbereich auf den Bühnen
vertreten sind. Beteuert wurde seitdem viel, geändert hat sich: nichts!
„Das Line-up wird länger / Mehr Platz für noch mehr Männer“, subsumieren
Blond bündig und folgerichtig.
## Feiner Humor
Mit ähnlich feinsinnigem Humor sind auf „Perlen“ auch Songs verfasst, die
keine Geschichten aus der männerübersättigten Musikindustrie erzählen. „Du
und ich“ funktioniert als geschickte Erwiderung auf sexuelle Belästigung:
„Du und ich bis in den Tod“, ist hier nicht als schwärmerische Zeile,
sondern als Drohung zu verstehen, stimmlich knapp an der Schräge, am
Irrsinn vorbeischrammend.
Auch hier verzichtet [4][die sächsische Band] auf jede Wehmut und Anklage.
Blond schütteln über einer postpunkigen Bassline Mitsingzeilen für die
Indiedisco aus den Ärmeln und schaffen es dabei trotzdem, jedem Song auf
„Perlen“ eine Dimension zu geben, die weit über rein persönliche
Geschichten hinausgeht.
In der Indiehymne „Toxic“ schwört die Band etwa, sich nie wieder auf
manipulative Typen einzulassen, und garniert den Song mit dokumentarischen
Beschreibungen parasitärer Würmer, die Verhalten und Gedanken ihrer Opfer
beeinflussen, bis sie ihren eigenen Tod herbeiführen. Hier wird zwar nicht
mit der flachen Hand ausgeteilt, aber dennoch sitzt die Klatsche amtlich.
## Gehirnklempner als Posterboy
Allein der Psychotherapeut bleibt jemand, über den sich die Sänger*innen
aufrichtig freuen, weil er als einer der wenigen männlichen Charaktere
ihren Alltag nicht nur anstrengender und schlechter macht („Mein Boy“).
Die zwölf Songs auf „Perlen“ verzichten konsequent auf Schnörkel und
Posing, lieber stellt die Band lyrische Cleverness in etlichen
Ohrwurmrefrains in den Vordergrund. Tatsächlich wirkt die Musik damit wie
eine sauber aufgereihte Kette glattpolierter Schmuckstücke, die alle für
sich stehen können und dabei nie je irgendeine rockistische Überhöhung
brauchen.
Mit „Du musst dich nicht schämen“ reicht die Band zum Schluss noch einmal
scharfzüngig all jenen die Hand, die ihre Musik sehr gut finden würden,
wenn sie nur über den Schatten ihrer Männlichkeit springen könnten:
„Wanderausflug zum Vatertag / Du bist nicht mitgekomm’ / Du fühlst dich
krank / Hast du gesagt, dabei hast du Tickets für Blond.“
Nach 34 Minuten hat diese Band einmal zielsicher, saftig und bei bester
Laune in alle Richtungen ausgeteilt, ohne jemals in die Defensive
auszuweichen. Dass es so etwas lange nicht – und in der Form vielleicht
noch nie – gab, das darf jetzt auch bei manchem Booker, Manager oder
Journalisten ankommen. Vielleicht wären das aber auch: „Perlen“ vor die
Säue.
24 Apr 2023
## LINKS
[1] /Debuetalbum-des-Chemnitzer-Trios-Blond/!5660668
[2] /Neues-Album-von-Kraftklub/!5885359
[3] /Soloalbum-des-Kraftklub-Saengers/!5637434
[4] /Chemnitzer-Konzert-der-Solidaritaet/!5530015
## AUTOREN
Konstantin Nowotny
## TAGS
Blond
Chemnitz
Neues Album
Musik
Pop
Männlichkeit
Musik
Schwerpunkt Stadtland
Musik
Kraftklub
Blond
Kraftklub
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Chemnitzer Trio Blond: Lassen sie mich durch, ich bin Blond
Das Chemnitzer Trio Blond wagt sich mit und doppelbödigen Sommerhits aus
der Komfortzone. „Ich träum doch nur von Liebe“ heißt das neue Album.
Kulturaktivist über Chemnitz: „Die Leute, die weggehen, fehlen“
Überaltert und Nazis: Chemnitz genießt keinen guten Ruf. Mario Thomas vom
Kulturzentrum Subbotnik will, dass die Jugend der Stadt nicht den Rücken
kehrt.
Synthie-Punk von Baumarkt: Fast so cool wie Bauhaus
Improvisation ist ihre Party. „Kellerduell“ heißt das neue, sensationell
schräge Album des Chemnitzer Duos Baumarkt.
Neues Album von Kraftklub: Aufbruchstimmung allerorten
Das Quintett Kraftklub meldet sich mit dem Album „Kargo“ zurück. Wieder
gebührt dem hassgeliebten Chemnitz eine tragende Rolle in den Songtexten.
Debütalbum des Chemnitzer Trios Blond: Blutrünstig für den Moshpit
Hier performen die Künstler:innen noch selbst: Das Poptrio Blond
veröffentlicht sein Debütalbum „Martini Sprite“ und geht auf Tour.
Soloalbum des Kraftklub-Sängers: Braun ist keine nice Farbe
Der Chemnitzer Sänger Felix Kummer veröffentlicht sein düsteres Solowerk
„Kiox“. Er orientiert sich an Lana Del Rey – und ist trotzdem nicht depri.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.