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# taz.de -- Synthie-Punk von Baumarkt: Fast so cool wie Bauhaus
> Improvisation ist ihre Party. „Kellerduell“ heißt das neue, sensationell
> schräge Album des Chemnitzer Duos Baumarkt.
Bild: Die Latzhose von Sängerin Jens Ausderwäsche könnte durchaus aus dem He…
Baumarkt – was assoziieren Sie damit? Ein Paradies für Heimwer-ker*innen?
Oder eher endlose Gänge voll rätselhaften Zubehörs und Baumaschinen? Als
Jens Ausderwäsche und Florian Illing zu Fuß durch Chemnitz wandelten und
über einen Namen für ihr Bandprojekt nachdachten, tauchte vor ihnen das
große Schild eines Obi-Marktes auf. „Wir haben dann beide gesagt:
‚Baumarkt‘ – ja, reicht“, erinnert sich Illing im Gespräch mit der taz.
„Erst später haben wir realisiert, wie passend der Name eigentlich ist. Wir
sind nicht ganz so cool wie die britische Band Bauhaus, aber für den
Baumarkt reicht’s. Dazu passt auch unsere extreme DIY-Mentalität.“
Wie Heimwerker*innen kommen Instrumentalist Illing und Sängerin
Ausderwäsche (bürgerlich Jenny Kretzschmar) allerdings nicht rüber. Ihre
minimalistische Musik aus Synthesizer und Gesang ist wenig geplant, schon
gar nicht „gekonnt“. Improvisation unter Livedruck ist, was die beiden
28-Jährigen am meisten lieben.
Florian Illing: „Sich dieser Ungewissheit zu stellen, vor Publikum. Wir
wissen jetzt nicht, was die nächsten Takte passiert. Man ist ausgeliefert,
die Show muss zu Ende gespielt werden, egal wie. Diesen krassen Stress
finde ich musikalisch extrem reizvoll.“ Für Sängerin Ausderwäsche ist das
ein Moment der Wahrheit: „Das ist eine Reise ins Innere. Manchmal klappt es
auch nicht, weil ich mir Sachen nicht eingestehen will, die ich gerade
fühle, die gerade präsent sind. Man muss halt auch die Hosen runterlassen.
Einige von den Impros bieten sehr viel Einblick und sind unangenehm,
peinlich zum Teil.“
Beim gelungenen Improvisieren genau wie beim Scheitern kann man Baumarkt
auf einigen Youtube-Videos zuschauen, und vielleicht erschließt sich die
Faszination dieser Band so am besten.
Mit Nachdruck
Illing am Keyboard außer Rand und Band, die schmale Ausderwäsche am Mikro,
wie sie mit ihrem ganzen Körper nach Worten zu suchen scheint und ihre
Texte mit nachdrücklicher Gestik und Mimik begleitet, die keinen Zweifel
daran lassen, dass zumindest sie sehr genau weiß, wovon sie erzählt: „Wir
fahren mit der Straßenbahn / Tür auf, Tür zu; Tür zu, Tür auf / Ich sehe
ein paar Fenster / Auf ’nem Barhocker klebt ’n Kaugummi / Man kaut sich ’n
Ast ab / Dann mit Kiefersperre in den Debattierklub / Wir heulen wie die
Wölfe / Auuu, du Käserad / Chemnitz, Chemnitz Stadt, oh Chemnitz!“
„Chemnitz Stadt“ ist die Antihymne, die Baumarkt 2017 zu Lokalhelden
gemacht hat. Eigentlich nur gegründet, „um einen Bandcontest zu crashen“,
wie Illing erzählt, haben sie das Stück auf die Bühne gebracht, es wurde
gefilmt und hat sich viral verbreitet. Seitdem sind die beiden ein Team,
und das Feuerwerk an Billigsounds, das Illing abbrennt, macht Ausderwäsches
Sprachgewitter zur aus der Spur geratenen Assoziationsparty.
Die steht auf dem neuen Album „Kellerduell“ unter so schönen Überschriften
wie „Die Zähne vom Milchgesicht“, „Lob und Tadel“ und „Zellstoff“ …
manchmal klingt das supergroovy. Dass es hier so ungefähr um Leben und Tod
geht, daran lassen Ausderwäsche, wie sie skandiert und die Vokale in die
Länge zieht („Kellerduäääääääll“), und Illing, wie er in die Tasten…
keine Zweifel.
Vieles bleibt rätselhaft, und das ist auch gut so: keine Existenzlyrik,
keine Parolen. Und manchmal haut uns Ausderwäsche Zeilen für die Ewigkeit
um die Ohren: „Heute ist nur eine leerere Version von gestern / Heute ist
nur eine längere Version von gestern / Heute ist nur eine leere Perversion
von gestern“ („Konfußgänger“, auch auf dem neuen Album).
Siebenjährige Bandgeschichte
Mittlerweile sind Baumarkt eher in Berlin auf der Bühne anzutreffen als in
Chemnitz. Oder aber im ländlichen Sachsen, wie sich beim Interview
herausstellt. Die beiden führen es per Zoom in ihrem Chemnitzer Proberaum
und verfallen immer wieder in kuriose Dialoge, zum Beispiel wenn sie auf
ihre siebenjährige Bandgeschichte zurückblicken.
Jens zu Florian: „Da hatten wir doch dieses Konzert, wo wir uns fast
aufgelöst hätten, in Grimma.“ Florian: „Oederan!“ Jens: „Nee, Grimm!
Grimma. Bei der Rotbauchunke.“ Florian: „O Gott. Wir haben auch echt in
jedem Scheißnest in Sachsen gespielt.“ Jens: „Nee, das stimmt gar nicht,
noch nie in Rochlitz.“ Florian: „Und noch nie in Mittweida.“ Jens: „Doc…
in Mittweida haben wir gespielt, bei dieser Geburtstagsfeier 2018.“
Florian: „Ogottogott …“ Jens: „Ja. Genau.“
Trotzdem, ohne Chemnitz bleiben Baumarkt undenkbar. Ohne diese Industrie-
und Universitätsstadt, in der es noch Proberäume gibt und für Ausderwäsche
„eine sehr schöne Einraumwohnung, sehr erschwinglich auf Bürgergeldniveau�…
Für alle, die noch nicht da waren, bleibt Chemnitz wohl die Stadt, in der
Nazis 2018 marodieren konnten. Woraufhin eine Band namens Kraftklub
gemeinsam mit der Stadt 65.000 Menschen für ein Konzert zusammengetrommelt
hat, um den Nazis zu zeigen: Wir sind mehr. [1][Kraftklub, die Band um
Felix Kummer], ist deutschlandweit ein Begriff, [2][ebenso Blond, die Band
seiner Schwestern Nina und Lott]a. [3][Die drei sind wiederum die Kinder
von Ina und Jan Kummer,] die 1986 im damaligen Karl-Marx-Stadt mit
[4][Frank Bretschneider] und Torsten Eckardt die New-Wave-Artschool-Band AG
Geige gegründet haben. Und da schließt sich der Kreis, denn auf AG Geige
als „Chemnitzer Avantgarde“ beziehen sich auch Baumarkt im Waschzettel zu
„Kellerduell“.
Ihr eigenes Narrativ
Darauf angesprochen, winden sich die beiden ein bisschen. Den Text habe ihr
Bremer Label Latenz verfasst. Sie wollten lieber ihr eigenes Narrativ. „Wir
sind genauso gut ein Erbe von Die Gehirne, den Residents und wen es da
alles gab“, sagt Jens, und Florian: „Wir haben jetzt keinen Beef mit denen.
Jan Kummer ist in unserem Musikvideo ‚Lob und Tadel‘ zu sehen. Also wir
kennen uns, das ist alles freundlich.“
Trotz Solikonzert ist in Chemnitz 2018 aber etwas kaputtgegangen, findet
Ausderwäsche: „Viele Läden und Clubs machen zu. Dieser DIY-Geist, der mal
da war, ist längst verschwunden, eigentlich seit den Ausschreitungen. Es
gibt aber immer noch einzelne Akteur*innen, die Superarbeit machen.“ Im
kommenden Jahr wird [5][Chemnitz Kulturhauptstadt Europas] sein. Davon
erwarten sich die beiden nicht viel: „Es ist halt ein Programm. Und wenn
ein Programm 2020 aufgesetzt wird, geht es nicht in Resonanz mit dem, was
tatsächlich um uns herum passiert. Und das erzeugt natürlich eine
Frustration, ein Gefühl des Abgeschnittenseins beim Rest der
‚Kulturbevölkerung‘.“
Aber mit Chemnitz ist das auch so eine Sache: „Es gibt diese
charakteristische Unterhaltung: Zuerst beschwert man sich über die Stadt.
Und bei manchen liegen dann so ein, zwei Gläser Wein dazwischen, und dann
geht es plötzlich darum, weshalb man die Stadt so toll findet. So bondet
man untereinander in Chemnitz.“
Wenn Baumarkt dann unterwegs sind, bringen sie sich in Stimmung mit einer
selbst zusammengestellten CD lokaler Singer-Songwriter*innen, mit denen
sie hier und da schon auf der Bühne gestanden haben. „Das ist so charmant,
wie gewisse Gepflogenheiten professioneller Musik da einfach umgangen
werden. Da kommt ein Gitarrensolo, und dann klingt das so ‚gingingingink‘
“, und in diesem Kontext sollte das definitiv anders sein. Es hat keine
Berechtigung, so zu klingen, aber das tut es, und das ist so schön, dass es
das gibt!“
Und genauso lässt sich auch die Musik von Baumarkt auf den Punkt bringen:
Niemand hat eine Berechtigung, so zu klingen. Aber das Duo tut es trotzdem,
und darum ist es schön, dass es jetzt das neue Album „Kellerduell“ gibt.
10 Jan 2024
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## AUTOREN
Dirk Schneider
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