# taz.de -- Neues Album von The Smile: Songs über die verdorbene Welt | |
> Die Band The Smile mit Radiohead-Sänger Thom Yorke startete als Pandemie- | |
> und Nebenprojekt. Das zweite Album wirkt dicht, intensiv und überzeugend. | |
Bild: Auch wenn die Band so heißt, gelächelt wird nicht: The Smile | |
Niemand singt wie Thom Yorke. [1][Außer Thom Yorke natürlich.] Seine hohe, | |
dünne und trotzdem intensive Stimme breitet sich über die Flächen aus, die | |
die Instrumente bauen, wie eine Nebelwand, und sickert in die Ritzen ein, | |
die die Musik lässt. Diese Stimme wirkt fast schon immateriell, als würde | |
ein Geist singen. | |
Der britische Popstar ist ja auch ein Geist aus einer jenseitigen Welt, in | |
der es noch immer große Hallen füllende Rockbands gibt, die die Ränder des | |
Musikgeschmacks mit dem Mainstream vereinigen, wie Radiohead oder, sagen | |
wir, Talk Talk. | |
Bands, deren Rockmusik progressiv scheint im besten Sinne, nicht nur | |
genresprengend, sondern tatsächlich voranschreitend, mit dem Versprechen, | |
uns an wirklich an neue Orte zu führen. In „Under Our Pillows“, einem Song | |
auf dem neuen Album von Yorks aktueller Band The Smile, singt der | |
55-Jährige: „Soft sung hymns from under your pillows (…) / Try to convert | |
me with a voice I can only see through / That doesn’t have a heart beat.“ | |
Aber am Ende des Songs heißt es „This is major league make believe“: Also | |
nur ein Spiegeltrick, aber einer aus der obersten Liga. | |
Okay, die Wahrscheinlichkeit, dass Yorke hier über sich selbst reflektiert, | |
ist eher gering. Schon immer singt der Engländer so anspielungsreich wie | |
unkonkret über die Verderbtheit der Welt. Diese Stimme in „Under Our | |
Pillows“, die durchsichtig ist und hinter der kein Herz schlägt, gehört | |
wahrscheinlich eher einer Politikerin oder einem Tech-Milliardär, jemandem, | |
der in das miese Geschäft involviert ist, über das er einen Song später in | |
„Friend Of A Friend“ sinniert: „All of that money, where did it go? /In | |
somebody’s pocket, a friend of a friend.“ | |
Die Band The Smile ist als Pandemieprojekt entstanden, Thom Yorke und Jonny | |
Greenwood von Radiohead wollten mit Jazz-Schlagzeuger Tom Skinner | |
(Mitbegründer der inzwischen aufgelösten Londoner [2][Jazzband Sons Of | |
Kemet)] Musik machen, die weniger aufwendig ist als das, was inzwischen von | |
Radiohead erwartet wurde. | |
## Versiert stoisches Schlagzeug | |
Ihr Debütalbum „A Light For Attracting Attention“ klang 2022 noch wie das, | |
was es war: die Veröffentlichung eines ganz interessanten Nebenprojekts. | |
Mit seinen 13 Songs wirkte es musikalisch etwas dünn und etwas beliebig. | |
Auch die acht Songs auf dem jetzt erschienenen Zweitwerk „Wall Of Eyes“ | |
klingen nicht eindeutig, sie mäandern von der düsteren Gitarrenballade zum | |
Streicherarrangement mit dem für solche Crossover-Kooperationen bekannten | |
London Contemporary Orchestra, von rhythmischem Postrock-Geschrammel bis zu | |
frickeligem Progrock-Gegniedel. | |
Und das meist innerhalb eines einzigen Songs. Doch die Musik wirkt auf | |
einmal absolut dicht, intensiv und überzeugend. Es ist nicht zuletzt das | |
sehr stoische Schlagzeugspiel des versierten Jazzers Tom Skinner, das alles | |
zusammenhält. Und die Streicher, an deren Einsatz und Klang vermutlich | |
Produzent Sam Petts-Davies großen Anteil hatte, mit ihm hat Yorke schon am | |
Soundtrack für das Remake des Horrorfilms „Suspiria“ zusammengearbeitet. | |
Geradezu erschreckend ist das Kippen von sanfter Verträumtheit zum lauten | |
E-Gitarren-Exzess im Achtminuten-Stück „Bending Hectic“ – einer | |
Todesvision, in der Thom Yorke in einem Sportwagen durch die italienischen | |
Berge fährt und in einer Haarnadelkurve von der Straße abkommt. „I Quit“ | |
heißt der vorhergehende Song, darin singt Yorke „I quit (…) This is my | |
stop, this is the end of the trip“. Müssen wir uns diesmal wirklich Sorgen | |
machen? | |
Klang „A Light For Attracting Attention“ noch sehr nach Proberaum, ist | |
„Wall Of Eyes“ ein Album, das alles erfüllt, was man von einem neuen | |
Radiohead-Werk hätte erwarten können. Und es stellt sich nun die Frage, ob | |
es Radiohead acht Jahre nach [3][ihrem letzten Album] überhaupt noch gibt. | |
Eine dieser scheinbar wirklich progressiven Bands, die aber natürlich | |
niemanden an einen wirklich neuen Ort gebracht hat. Alles nur ein | |
Spiegeltrick, aber einer aus der obersten Liga. | |
9 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Schneider | |
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