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# taz.de -- Neues Radiohead-Album: Axiome der Gegenwart
> Wieder aufgetaucht nach der digitalen Schnitzeljagd: Radiohead und ihr
> zeitgemäßes, dystopisches neues Album „A Moon Shaped Pool“.
Bild: König der Kopfstimme: Thom Yorke, 2012
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, wusste schon Paul Watzlawick, und
seither wissen wir dies eigentlich auch alle. Die britischen Rockband
Radiohead kannte das erste Watzlawicksche Axiom nur allzu gut, als sie in
der Nacht vom 1. auf den 2. Mai alle Inhalte ihrer Internetpräsenzen
löschte.
Auf ihrer Homepage erschien für eine Weile genauso wie in ihren Accounts
bei Facebook, Twitter & Co. nur Weißraum. Es war dies der Beginn einer
digitalen Schnitzeljagd, der sich mit zwei Appetithäppchen (neuen Songs und
Clips zu „Burn The Witch“ und „Daydreaming“) fortsetzte, ehe man
verkündete, dass ein neues Album erscheine.
„A Moon Shaped Pool“ heißt es, es weilt seit Sonntagabend, 7 p.m. British
Summer Time unter uns, und interessant ist zumindest, dass bislang mehr
darüber gesprochen wurde, wie die Veröffentlichung kommuniziert wurde als
darüber, was denn nun mit dem Album kommuniziert wird. Bei derartigen
Nucht-und-Nebel-Aktionen handelt es sich ja durchaus um ein Muster, nach
dem Popstars – zuletzt Kayne West, Beyoncé, Drake, James Blake – inzwischen
ihre Alben veröffentlichen.
Was das neue Radiohead-Album betrifft, so kann man sich zumindest fragen,
ob Die Gruppe ein solches Bohei nötig hat. Gerade weil „A Moon Shaped Pool“
ein zeitgemäßes – weil düsteres, dystopisches –, ein überdurchschnittli…
Album ist; eines in gewohnter Radiohead-Qualität. Wahrscheinlich wissen sie
selbst, dass es dennoch kein das Popjahr definierendes Werk ist und greifen
deshalb auf solche Tricks zurück.
Zudem suchten ja schon immer Strategien gegen die Verramschung von Kunst im
Netz und für eine bessere Zahlungsmoral im digitalen Raum (bei „In
Rainbows“ konnte man 2007 so viel zahlen wie man wollte, was, nun ja,
suboptimal funktionierte). Den Idealweg haben sie mit dieser
Marketingkampagne sicher nicht gefunden.
## Madonna des Indie- und Gitarrenrock
Anyway. Radiohead, die man wohl kaum mehr vorstellen muss, wo Mastermind
Thom Yorke doch so etwas wie die Madonna des Indie- und Gitarrenrock ist
(nur dass das „Like A Prayer“ seiner Band „OK Computer“ hieß und das
„Music“, sagen wir, „Kid A“)Thom Yorke doch so etwas wie die Madonna des
indierock ist (, haben hier zweifelsohne einige Songs mit Hitpotenzial
versammelt. Dazu zählt etwa die erste Single „Burn The Witch“ mit
orchestralem Pop, das vertraut klackernde, nölige „Identikit“ oder das
dahin treibende „Present Tense“.
Es gibt aber unter den – zumeist schon länger live erprobten – Stücken au…
solche wie „Decks Dark“ oder „Desert Island Disk“, von denen erst mal n…
so viel hängenbleibt. Fans werden auch die lieben, die anderen werden diese
Nummern eher achselzuckend zu Kenntnis nehmen.
Denn neu erfinden sich Radiohead mit Album Nummer 9 nicht. Dazu klingen die
meisten der elf Stücke schlichtweg zu sehr wie die typisch mäandernden
Radiohead-Songs, das Songwriting ist auch eher konventionell. Und die hohe
Kopfstimme Thom Yorkes sucht sich auch die bekannten Melodienpfade.
Gitarrist Jonny Greenwood lebt sein kompositorisches Talent aus, Streicher,
Piano und ausgefeilte Arrangements sind Standard auf „A Moon Shaped Pool“.
Insgesamt geht es balladesker, melancholischer, im positiven Sinne
anrührender zu als auf den zuletzt veröffentlichten Alben „In Rainbows“
(2007) und „The King Of Limbs“ (2011).
Und es gibt dann wohl auch etwas, das Radiohead jenseits der doppelten
Verneinung kommunizieren wollen. Etwa Verteidigungsstrategien im Angesicht
der Zumutungen der Gegenwart zu entwickeln („Self defence against the
Present Tense“), auch die tiefe Krisenhaftigkeit unserer Zeit („And it’s
too late/ The damage is done (…) We are/ just happy to serve“). In „The
Numbers“ klingt dann aber doch noch ein gewisses utopisches Potenzial an –
und Patti Smith gleich mit: „We call upon the people/ People have this
power/ The numbers don't decide/ Your system is a lie“.
Und Nichtkommunikation hin, Nichtkommunikation her: Das Album scheint doch
zumindest so viel Aufmerksamkeit wert zu sein, dass am Mittwochnachmittag
immerhin noch 365.012 drüber sprechen – auf dem inzwischen wieder erweckten
Facebook-Account der Band.
14 May 2016
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Pop
Neues Album
Video
Pop
Lollapalooza
Spectre
Youtube
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