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# taz.de -- Mögliche Europäische Kulturhauptstadt: Entwaffnend ehrliches Chem…
> Chemnitz hat sich als „Europäische Kulturhauptstadt“ für 2025 beworben.
> Die Bewerbung der sächsischen Stadt beschönigt nichts und hat gute
> Chancen.
Bild: Wir sind mehr: Konzert gegen Rechts im vergangenen Jahr vor der Johannisk…
Chemnitz hat sich als Europäische Kulturhauptstadt 2025 beworben, denn in
sechs Jahren soll eine deutsche Stadt zusammen mit einer slowenischen Stadt
diesen renommierten Titel mit einer Laufzeit über ein Jahr erhalten. Die
sächsische Stadt macht in ihrer Bewerbung vieles richtig, zeigt sich
begrüßenswert offen und färbt nichts schön. Das wirkt erst mal entwaffnend
und liest sich überraschend frech.
In der „Bidbook“ genannten Bewerbungsmappe ist noch etwas
bedeutungsschwanger von „Opening Minds, Creating Space“ die Rede. Doch in
seiner Begründung argumentiert Chemnitz nicht nur mit Zukunftsvisionen,
sondern ausdrücklich mit den Bruchlinien, den Konflikten der Gegenwart und
den Wunden der Vergangenheit als Motivation. Natürlich spielt die grenznahe
Region um Chemnitz auch eine historisch bedeutsame Rolle.
Die Industriestadt ist bekannt für Innovationen, hier wurde die
Thermoskanne erfunden. Aber zunächst wird im Bidbook der Song
„Karl-Marx-Stadt“ der Band [1][Kraftklub] zitiert, der die jüngere
Stadtgeschichte selbstmitleidlos aufspießt. „Ich steh auf keiner
Gästeliste, bin nicht mal cool / In einer Stadt, die voll Nazis ist,
Rentner und Hools“. Rechtspopulismus hat die Gesellschaft gespalten. Die
Abwanderung nach der Wende, der demografische Wandel haben in Chemnitz
riesige Lücken hinterlassen. Um diese gesellschaftliche Schieflage zu
überwinden, brauche es „geistige Offenheit, Mut und Fantasie“, heißt es im
Bidbook.
## Nazis, Rentner und Hools
Zunächst muss sich Chemnitz im Inland in der Ausscheidung zur Europäischen
Kulturhauptstadt gegen sieben konkurrierende Bewerber durchsetzen, darunter
sind etwa Kommunen wie Magdeburg, Dresden, Hildesheim und Nürnberg. Nazis,
Rentner und Hools gibt es da bestimmt auch, aber die Konkurrenz hat bei
weitem nicht die Leerstellen im Stadtbild, wie es sie in Chemnitz gibt und
die ein Standortvorteil sein könnten.
Ganz sicher sind die Mitbewerber in jüngster Vergangenheit auch nicht so
durch rechte Randale in Verruf geraten wie Chemnitz. Bei der Initiative zur
Wahl der Europäischen Kulturhauptstadt wird ausdrücklich genannt, dass sie
auch dazu diene, das Image der Stadt in den Augen ihrer eigenen
Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern sowie für eine kulturelle
Neubelebung zu sorgen.
In der offiziellen Bewerbung von Chemnitz heißt es denn auch: 2025 stehe
für eine Erweiterung der Horizonte. Man sei „auf der Suche nach der Einheit
in der Vielheit“. Selbstbewusst spricht man von „AUFbrüchen“ als Stichwo…
was die Umwälzungen nach 1945 und nach 1989 angeht, aber auch 2018
miteinbezieht. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Wende, klar das waren
gravierende historische Umbrüche in ganz Deutschland, aber erst 2018 wurde
Chemnitz weltbekannt: Als Nazis in der Stadt über mehrere Tage
aufmarschierten, Seite an Seite mit der AfD, [2][berichtete sogar die New
York Times] aus Sachsen.
„In Zeiten, in denen reaktionäre Kräfte Heil durch eine Rückkehr zur
Abgrenzung und Ausgrenzung versprechen, brauchen sowohl Chemnitz als auch
Europa ein starkes Miteinander.“ Steht ganz vorn in der Bewerbung, und es
stimmt ja auch. Ausdrücklich sollen die europäischen Partnerstädte von
Chemnitz, etwa Tampere in Finnland und Manchester in Großbritannien, in die
Veranstaltungen miteinbezogen werden.
## Signale ohne Protzen
2025 mag von jetzt aus gesehen noch in weiter Ferne liegen, für das
komplizierte Bewerbungs- und Planungsverfahren braucht es eine lange
Vorlaufzeit. Die Sachsen wollen sich dafür in die „Zukunftsstadt Chemnitz“
verwandeln. Es geht weniger um prestigeträchtige Leuchtturmprojekte als um
einfache städtebauliche Maßnahmen, wie die, den namensgebenden Fluss
zurückzubauen und wieder freizulegen. Das soll kostensparend durchgeführt
werden, Protzen liegt den Chemnitzern fern.
Der Kulturbegriff ist dafür weit gefasst, so sollen sogenannte
Interventionsflächen im inneren Stadtgebiet entstehen, Orte mit
Signalwirkung, an denen bildende Kunst, Musik, Theater und Literatur im
öffentlichen Raum stärker zu Geltung kommen.
Eine kleine Kunstbiennale soll für internationales Flair sorgen, ein
Kuratorenteam plant bereits ab 2020 dafür. Gleichviele Frauen und Männer
werden dafür ausgewählt. Im Stadtzentrum soll ein Kreativquartier
geschaffen werden, um bestehende Institutionen noch besser zu vernetzen.
Möglicherweise der wichtigste Impuls, da es bis heute keine Kunsthochschule
in Chemnitz gibt.
Unterstützung bekommt die Bewerbung daher auch aus der lokalen Kunstszene,
wie einer ihrer prominentesten Vertreter, [3][Jan Kummer], der taz sagt:
„In einer gebeutelten Oststadt wie Chemnitz kann ein verstärkter Fokus auf
Kultur und Kunst nicht schaden. Wichtig finde ich, dass es nicht nur um
eine Leistungsschau der Hochkultur geht, sondern eher um Lebenskultur. In
dieser Hinsicht ist in Chemnitz noch einiges zu reparieren. Gerade in
Zeiten, wo Kräfte wie die AfD versuchen, das Rad auch in kultureller
Hinsicht zurückzudrehen, ist eine Kulturhauptstadt-Bewerbung, eingebettet
in internationale und europäische Zusammenhänge, ein Statement.“
## #wirsindmehr für Födergelder
Auf der Webseite der Stadt wird auch nicht lange drumherumgeredet, da
werden „25 gute Gründe“ genannt, warum Chemnitz für die Auswahl zur
Europäischen Kulturhauptstadt prädestiniert ist. Ein Grund sei etwa, dass
in Chemnitz traditionell viele Patente angemeldet werden, ein anderer, dass
innerhalb von sechs Tagen nach der rechten Randale am 26. August 2018 am 3.
September das Festival „#wirsindmehr“ organisiert wurde, um ein Zeichen
dagegen zu setzen.
Falls sich Chemnitz im deutschlandweiten Auswahlverfahren durchsetzt, und
dafür stehen die Chancen gut, kommt sie als Europäische Kulturhauptstadt in
den Genuss erheblicher Fördergelder. Als Vorbild der Bewerbung dienten
Rijeka (Kroatien), Aarhus (Dänemark) und die österreichische Stadt Graz,
die 2003 von der Auszeichnung zur Europäischen Kulturhauptstadt stark
profitieren konnte. So wurde das Grazer Kunsthaus um einen Anbau erweitert
und eine schneckenhausartige Brücke mit einer künstlichen Insel über dem
Fluss Mur wurde zum neuen Wahrzeichen.
Anders als Chemnitz hatte Graz allerdings mit dem Kulturfestival
„Steirischer Herbst“ und dem Filmfestival „Diagonale“ bereits
Anziehungspunkte, die die Stadt auch international attraktiv gemacht haben.
Das muss in Chemnitz erst noch entstehen. Immerhin wurde die Marke
„#wirsindmehr“ inzwischen als Patent angemeldet.
29 Oct 2019
## LINKS
[1] http://2910820,
[2] https://www.nytimes.com/2018/08/30/world/europe/germany-neo-nazi-protests-c…
[3] http://borssenanger.de/kuenstler/jan-kummer/
## AUTOREN
Julian Weber
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