| # taz.de -- Haiyti über Berlin und ihren Rap: „Ignorieren ist das neue ‚Nu… | |
| > Ihre Ware ist „Glitzerpop mit Weltschmerz“, der Titel ihres neuen Albums | |
| > ein Spiel mit dem Wort Suicide: die Rapperin Haiyti alias Ronja Zschoche. | |
| Bild: Haiyti alias Ronja Zschoche | |
| taz: Frau Zschoche, waren Sie nun schon mal im Berghain? | |
| Ronja Zschoche: Nein, immer noch nicht, ich warte auf den richtigen Moment. | |
| Ich habe auch gemerkt: Man kann solche Abende nicht planen, das muss | |
| einfach passieren. Also: Ich plane nicht, ins Berghain zu gehen. Aber ich | |
| werde irgendwann sicher mal da landen – und das wird dann ein legendärer | |
| Abend. | |
| Im Moment geht es ja eh nicht wegen Corona, aber vor dem Lockdown haben Sie | |
| es versucht. | |
| Ja, zweimal sogar. Einmal haben die Türsteher mich nicht hineingelassen, | |
| das zweite Mal kam ich immerhin bis zur Kasse, hatte aber kein Geld dabei. | |
| Ich verstehe bis heute nicht, wie ich so weit kommen konnte. | |
| In Ihrem Song „Berghain“ rappen Sie: „Ich war noch nie im Berghain – bi… | |
| lass mich da nicht rein“. | |
| Ja, aber der ist ja schon alt. | |
| Alt? Der ist von 2018. | |
| Mittlerweile habe ich mit den ganzen Berghain-DJs schon Silvester gefeiert, | |
| aber ich war halt noch nicht drin. Ich war jahrelang ein It-Girl und in | |
| Hamburg immer dabei bei allen Partys. Aber seit fünf Jahren sind Party, | |
| Feiern und Wachbleiben doch Mainstream geworden. Heute trifft man da alle | |
| möglichen Uni-Leute, aber früher waren daab einer gewissen Zeit in den | |
| Hamburger Clubs nur noch die krassesten Spezialisten versammelt, da war man | |
| unter Künstlern, Luden und Kleinkriminellen. Das ist vorbei, und das kannte | |
| ich auch nur in Hamburg. Das mag es in Berlin auch geben, hab ich aber noch | |
| nicht gefunden. | |
| Sie sind vor zwei Jahren aus Hamburg nach Berlin gezogen – das Berghain war | |
| offensichtlich nicht der Grund. | |
| Eigentlich wollte ich nicht nach Berlin. Ich musste in Hamburg aus meiner | |
| Wohnung raus, aber was ich da angeboten bekam, war alles nichts. Dann hatte | |
| ich ein Angebot in Berlin, und es hat mich nichts mehr in Hamburg gehalten. | |
| Ich kann ja von überall aus arbeiten. Klar ist es am besten, in Hamburg, | |
| Berlin oder Köln zu sein, da kann man schnell mit jemandem ins Studio | |
| gehen. Ich sollte auch nicht in London oder New York wohnen, weil die | |
| deutsche Sprache mein Metier ist, aber wo ich in Deutschland lebe, ist | |
| eigentlich egal. | |
| Dann sind Sie bloß hierhergekommen ist, weil Sie eine billige Wohnung | |
| bekommen haben? | |
| Wenn die wenigstens billig gewesen wäre! Inzwischen habe ich aber die | |
| Mietpreisbremse gezogen, jetzt geht's. Vor allem hatte ich das Gefühl, man | |
| muss, um sich weiterzuentwickeln, auch mal die Stadt gewechselt haben. Und | |
| dann ist nach Hamburg das nächste Upgrade nun mal Berlin. | |
| Ist Berlin wirklich ein Upgrade? Hat der Umzug hierher Sie weitergebracht? | |
| Schwere Frage. Bisher nicht, jedenfalls nicht beruflich. Jetzt, wo ich in | |
| Berlin bin, bekomme ich ständig in Hamburg Studio-Angebote. | |
| Was bedeutet das? | |
| Ich brauche Studio-Sessions, um mich weiterzuentwickeln. Oder ich mache | |
| mein eigenes Studio auf und produziere selber, aber so weit bin ich noch | |
| nicht. Im Moment ist es so: Ich schreibe die ganzen Lieder, aber teile mir | |
| dann den Song mit dem Producer, der den Beat macht und mich aufnimmt. | |
| Deshalb braucht man in der Stadt, in der man lebt, Leute, die an einen | |
| glauben und einen ins Studio holen. Das hatte ich in Hamburg nicht, und ich | |
| hab es jetzt in Berlin auch nicht. Absurderweise krieg ich jetzt solche | |
| Angebote aus Hamburg, die ich nicht bekommen habe, als ich dort gelebt | |
| habe. Aber das passiert nicht nur mir. Auch Jan Delay – oder war's jemand | |
| von Deichkind? – hat mir erzählt, dass viele Projekte losgehen gerade in | |
| dem Moment, wenn man aus Hamburg weggeht. | |
| Haben Sie den Umzug bereut? | |
| Für mein Image war er auf jeden Fall schädlich. Ich komme nun mal aus | |
| Hamburg. Ich will zwar nicht immer HamburgHamburgHamburg sagen, das ist ja | |
| auch lächerlich. Find ich ja auch dumm, wenn die Berliner das machen. Aber | |
| die Stadt ist schon wichtig als Rapper, meine Texte spielen nun mal eher in | |
| Hamburg. Jetzt langsam werden sie aber allgemeiner. | |
| Das ist das Image, aber ansonsten? | |
| Ich muss jetzt was Gutes über Berlin sagen. | |
| Von mir aus nicht. | |
| Meine halbe Familie kommt aus der DDR, mein Opa war ein bekannter | |
| Defa-Regisseur … | |
| Hermann Zschoche. | |
| Genau. Deshalb war Berlin immer meine zweite, coole Stadt, ich war | |
| jahrelang ein Pendler. Schon als Kind saß ich im Linienbus nach Berlin – | |
| und wenn der hier ankam, konnte ich immer ein Kribbeln spüren. Diese | |
| Aufregung ist jetzt leider weg. | |
| Berlin scheint Sie depressiv zu machen. „Sui Sui“, der Titel Ihres neuen | |
| Albums, ist ein Spiel mit dem Wort „Suicide“. | |
| Als ich aus Hamburg wegging, haben alle die Läden, die ich mochte, | |
| dichtgemacht. Auch die Schanze hat sich verändert. Ich wollte aber nicht | |
| jemand werden, der immer heult, dass früher alles besser war. Und jetzt | |
| macht hier der Karstadt am Leopoldplatz dicht – und das nimmt mich wirklich | |
| mit, da bin ich seit meiner Kindheit, ich mag den Karstadt. | |
| Das ist der Grund für eine Depression? | |
| Nein, vor allem schon, dass das hier ein härteres Pflaster als in Hamburg | |
| ist. Die Leute hier scheinen kälter zu sein, man wird nicht so schnell | |
| aufgenommen, alle sind eher so unter sich. Die Prenzlauer-Berger sind unter | |
| sich, die Charlottenburger sind unter sich. Alle sind freundlich und cool | |
| und weltoffen, aber die Sensibilität finde ich hier nicht. Hier in Berlin | |
| ist man so anonym, dass es fast wehtut, den Weltschmerz halte ich manchmal | |
| kaum aus. | |
| Was machen Sie dagegen? | |
| Nichts. Vielleicht mich schnell in Arbeit stürzen. Das ist aber auch nicht | |
| immer einfach, weil ich ständig den Leuten hinterherrennen muss. Alle sind | |
| so lahmarschig, alle haben immer schon zu tun. Weil Hamburg so ein Dorf | |
| ist, wusste man immer genau, wer wo wann chillt. Hier muss man sich ewig | |
| verabreden, bis man mal jemanden trifft. Und dann reden alle immer nur | |
| davon, dass sie mal was machen müssten, anstatt einfach zu machen. Berlin | |
| ist wohl doch noch zu billig, deswegen hast du hier alle diese | |
| Wannabe-Bands, die sich niemals leisten könnten, in London oder selbst in | |
| Hamburg zu leben. Hier aber kriegt man noch ein WG-Zimmer für 300 Euro, und | |
| deshalb gibt es so viele Möchtegernkünstler, die es sich nur hier leisten | |
| können abzugammeln. | |
| Sie dagegen scheinen extrem fleißig zu sein. In den letzten fünf Jahren | |
| haben Sie vier Alben, vier Mixtapes und drei EPs herausgebracht, dazu einen | |
| Haufen Singles und Gastauftritte bei anderen. Warum arbeiten Sie so viel? | |
| Ich mache halt das allein, was sonst ein Label mit fünf Leuten macht. Das | |
| war mir aber auch nicht klar bis vor Kurzem. Was ich erst lernen musste: | |
| Wenn ich mich nicht selbst drum kümmere, dann macht es kein anderer. Die | |
| ganze Zeit geht es in meinem Kopf ab, ich denke nach, was noch ansteht, was | |
| ich noch machen muss, wie es gut wird, was mein neuer Albumtitel sein soll | |
| … | |
| Ein neues Album? Das aktuelle ist doch erst erschienen. | |
| Aber das nächste ist schon fast fertig. | |
| In den vergangenen Jahren haben Sie wahrscheinlich alles veröffentlicht, | |
| was Sie aufgenommen haben … | |
| Ja, so ziemlich. | |
| Gibt es etwas, das Sie bereuen? | |
| Ja, anstatt immerzu irgendwas zu machen, hätte ich mich besser um mein | |
| Image kümmern sollen. Ich habe über nichts nachgedacht, nicht über mein | |
| Image, nicht über Melodien, nicht über meine Texte, nicht über meine | |
| Außendarstellung. Das mache ich erst seit anderthalb Jahren. | |
| Was hat dazu geführt, dass Sie das jetzt hinterfragen? | |
| Der Erfolg bleibt aus. Und da habe ich mich halt gefragt, woran das liegen | |
| könnte. So langsam macht man sich da schon Gedanken – und meine Erklärung | |
| ist: Die Leute können mich nicht greifen. Die können nicht verstehen, wer | |
| ich bin, diese Frau aus der zerbrochenen Prollwelt, eine Mischung aus | |
| Emotionalität, Ironie und Ignoranz. | |
| Wenn man in die Presse guckt, hat man nicht den Eindruck, Sie hätten keinen | |
| Erfolg. Vor allem das Feuilleton hat einen Narren an Ihnen gefressen. | |
| Davon weiß ich nichts, ich lese das ja nicht. Ich denke, die Leute in den | |
| Redaktionen finden mich vielleicht interessant, weil ich ein Widerspruch | |
| bin. Ich bin zwar in dieser Gangsta-Rap-Welt unterwegs, aber ich bin kein | |
| Kanake mit Lederjacke. Ich bin ein halbgebildeter Vollproll in einem | |
| Frauenkörper. Vielleicht sind meine Texte auch ganz gut. Eigentlich ist es | |
| mir ein Rätsel. Aber eins weiß ich: Die Jungs, die hier gegenüber aus dem | |
| Fitnessstudio kommen, die kennen mich alle nicht. | |
| Woran messen Sie Erfolg? | |
| Am Kontostand. An Klickzahlen, an Instagram-Followern, am Kollegium. | |
| Kollegium? | |
| Daran, wie ich im Verhältnis zu anderen Rappern stehe. Ja, der Mainstream | |
| hat schon mal von mir gehört, aber es ist nicht so, dass die Masse sagt: | |
| Die ist cool, der folge ich mal. Das funktioniert wie das Mitläuferprinzip, | |
| aber da bin ich noch nicht drin, dafür bin ich zu eigen. | |
| Jetzt, da Sie darüber nachdenken: Wie sieht der Erfolgsplan aus? | |
| Der wird gerade wieder aufgelöst. Eigentlich hatte ich mich vor einem Jahr | |
| dazu entschlossen, der düstere Popstar Deutschlands zu werden. Aber auf den | |
| Trichter sind jetzt auch alle anderen gekommen. Das Ziel ist natürlich, | |
| einen eigenen Stil zu prägen. Daran arbeite ich noch. Ich finde ja, vom | |
| Image her ist mir „Sui Sui“ schon gut gelungen. Es ist düster, aber nicht | |
| zu sehr, es ist prollig, aber auch nicht zu Devil, nicht zu 666. Ich finde, | |
| ich habe ganz gut die Mitte getroffen: poppig, aber auch Gangster. Dabei | |
| will ich bleiben, das ist meine Ware: Glitzer-Pop mit Weltschmerz und eine | |
| Rolex oben drauf. | |
| Wie authentisch ist dieser Spagat zwischen Pop und Gangster-Rap? Es heißt, | |
| Sie seien in Hamburg „in prekären Verhältnissen aufgewachsen“. Was bedeut… | |
| das konkret? | |
| Meine ersten Erinnerungen habe ich an die Zeit, als wir in Bramfeld gewohnt | |
| haben. Das war zwar eine Reihenhausgegend, aber billig – und wir waren | |
| Untermieter einer Prostituierten und ihres Zuhälters. Eigentlich war das | |
| ein Privatpuff. Danach sind wir nach Hummelsbüttel in eine Sozialwohnung | |
| gezogen, und ich war immer die Letzte, die aus der Kindertagesstätte | |
| abgeholt wurde. Meine Mutter ist oft nachts Taxi gefahren, und ich war | |
| allein. Später habe ich im Flora-Park rumgegammelt, und aus der Ausbildung | |
| zur sozialpädagogischen Assistentin bin ich rausgeflogen, weil mir gesagt | |
| wurde, mir würde die Sozialkompetenz fehlen. Ich wollte einfach nichts | |
| machen. Bis Anfang zwanzig habe ich ein Party- und Kleinkriminellenleben | |
| geführt, bis meine Mutter fast ausgeflippt ist und mich zum Arbeitsamt | |
| geschleppt hat. Ich war dann in einer AB-Maßnahme, wurde da als große | |
| Künstlerin entdeckt und durfte auch ohne Abi an die Hochschule. | |
| Sie haben Malerei studiert. Malen Sie heute noch? | |
| Wenn ich ein Atelier hätte, würde ich malen, denke ich. Aber wie kommt man | |
| an Räume ran? Könnte die taz nicht einen Aufruf für mich machen: Rapperin | |
| will malen, sucht Atelier, will Rap-Karriere beenden! | |
| Fällt Ihnen die Zeit auf der Kunsthochschule im Rap auf die Füße? | |
| Ja klar. Eine Straßen-Rapperin studiert keine Kunst. Ich war zwar vom | |
| richtigen Studieren weit weg, aber hätte ich verhindern können, dass es | |
| bekannt wird, hätte ich es verhindert. | |
| Haben Sie trotzdem etwas gelernt an der Kunsthochschule? | |
| Ich habe durch die Kunsthochschule Künstler wie Schlingensief oder | |
| Kippenberger kennengelernt. Das waren die Bosse, von denen habe ich | |
| gelernt, dass man Risiko eingehen muss, wenn man auffallen will. Dass man | |
| immer versuchen muss, etwas Neues zu schaffen und Revolution zu machen. Das | |
| ist mein Motor bis heute. Was die Vermarktung angeht, hat Jonathan Meese | |
| meinen Respekt. Seine Kunst finde ich nicht gut, aber er macht das mit | |
| Leidenschaft und er kann sich vermarkten. Das ist leider eine Sache, die | |
| ich nicht kann. | |
| Sie haben aber gut gelernt, mit den Rap-Klischees zu spielen. Sie benutzen | |
| Rap-Standards wie Hennessy und Bentley, aber brechen sie... | |
| Vielleicht, aber das ist mir nicht bewusst. Ich schreibe meine Texte | |
| einfach runter – wie ein Artur Rimbaud: Es geht mir darum, das | |
| runterzuschreiben, was gerade ist. Aber man überspitzt natürlich Dinge, man | |
| bricht sie. Ich habe zwar schon mal in einem Bentley gesessen, aber ich | |
| besitze keinen. Ich habe diese ganzen Szenarien mit Nutten und Luden und | |
| Gangstern erlebt, wenn auch nicht jeden Tag. Ich kann diese Freak-Show | |
| authentisch verkaufen – auch wenn ich selbst kein Rick-Ross-Leben führe. | |
| Was immer noch außergewöhnlich ist: dass Sie diese Geschichten aus der | |
| Perspektive einer Frau erzählen. Über Ihr Dasein als Frau in einer | |
| männerdominierten Branche sprechen Sie allerdings nicht gern... | |
| Ja, ich bin eine Frau. Ja, ich bin eine Minderheit im Rap. Aber muss man | |
| das so groß schreiben? Ich mache das nicht, weil ich eine Frau bin, sondern | |
| weil der Drang in mir so mächtig ist. Ich muss auf die Bühne, weil ich | |
| etwas zu sagen habe – auch wenn ich nicht immer weiß, was. Ich wäre auch | |
| als Mann ein Rapper geworden – und wahrscheinlich sogar erfolgreicher. Ja, | |
| am liebsten würde ich das gar nicht zum Thema machen. | |
| Wird es aber automatisch. Haftbefehl hat über Sie gesagt: „Die hat Eier.“ | |
| Wann hat er denn das gesagt? Ich krieg einfach nichts mit. Aber ich sage | |
| jetzt mal: Es gibt keinen Sexismus im Rap. | |
| Nein? | |
| Es gibt die Ästhetik, und die Ästhetik ist sexistisch. Und da bin ich auch | |
| dabei. | |
| Auf dem neuen Album kommen die Wörter „bitch“ und „schwul“ nicht mehr … | |
| Ich hab mich eben weiterentwickelt. Man kann ja auch nicht immer dasselbe | |
| sagen. Dafür sage ich auf meinem nächsten Album: Ich schieß dir ins | |
| Gesicht, du Penner. Das ist die beste Line auf dem ganzen Album. Es geht | |
| halt ums Provozieren. | |
| Wie gehen Sie damit um, wenn ein Kollege backstage Wörter wie „Hure“ oder | |
| „Bitch“ benutzt? | |
| Ah, die Zeiten sind doch vorbei. Das sagen die doch nur noch in ihren Raps. | |
| Ich würde mich freuen, wenn jemand zu mir sagt „Du Bitch!“ Das wäre | |
| wenigstens ehrlich. Heute werden Frauen subtil unten gehalten – durch | |
| Ignorieren. Ignorieren ist das neue „Du dumme Nutte“. | |
| 13 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
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