# taz.de -- Hip-Hop-Produzent über Afghanistan: „Schwer, nichts machen zu k�… | |
> Unter dem Künstlernamen Farhot ist Ferhad Samadzada ein weltweit | |
> anerkannter Hip-Hop-Produzent. Er wurde in Afghanistan geboren. Ein | |
> Gespräch zur Lage. | |
Bild: „Ich bin in Hamburg und habe ein schlechtes Gewissen“: Farhad Samadza… | |
Farhad Samadzada wurde 1982 in Afghanistans Hauptstadt Kabul geboren; | |
bereits als Säugling kam er mit seiner Familie nach Hamburg. Sein | |
Künstlername Farhot kommt der Aussprache seines Vornamens am nächsten. Im | |
Hip-Hop etablierte er sich mit der Produktion von Haftbefehls Hit „Chabos | |
wissen wer der Babo ist“. In seinem Studio in Hamburg-St. Pauli bastelt er | |
Beats für internationale Größen wie Talib Kweli und Nas, aber auch an | |
eigenen Tracks. [1][Sein neues Album] unter dem Namen Farhot „Kabul Fire | |
Vol. 2“ ist im Januar erschienen. | |
taz: Herr Samadzada, Sie haben lange gezögert, bevor Sie eingewilligt | |
haben, dieses Interview zu geben. Warum? | |
Farhad Samadzada: Über das Land meiner Geburt zu sprechen ist etwas anderes | |
als über Kicks und Snares. Das sind triviale Dinge. Aber was gerade in | |
Afghanistan passiert, ist ein Verbrechen. Gerade können nicht einmal die | |
Menschen vor Ort aussagekräftige Dinge über die aktuelle Lage erzählen. Was | |
soll ich da sagen? Aber ich bin in Gedanken die ganze Zeit bei den | |
Millionen, die dort leben. | |
Ich nehme an, Sie sind es nicht gewohnt, öffentlich über Politik zu reden. | |
Ja, wir können es uns eigentlich sparen, über Politik zu sprechen, das ist | |
nicht mein Bereich. Wer ist schon politisch? Die, denen es gut geht, sind | |
unpolitisch. Jetzt wird wieder über Schuld gesprochen, die von der | |
Verantwortung der Nato ablenkt. Es wurde gefordert, dass die Afghanen sich | |
verteidigen sollen. Die sollen gar nix. Die sollen in Ruhe gelassen werden. | |
Man kann diesem Land nichts aufzwingen, das war schon immer so. Man kann | |
nicht zu viel auf einmal wollen. Die Afghanen wollen vor allem keine Angst | |
um ihr Leben haben. | |
Heißt das vielleicht auch, dass man sich mit den Taliban arrangiert? | |
Dass der Wille da ist, war spätestens klar, als die USA sich mit denen an | |
einen Tisch gesetzt haben. Es wird ja derzeit weiterverhandelt. Es ist ein | |
übler Krimi, den sich die ganze Welt ansieht. Ich kriege da extrem | |
schlechte Laune. | |
Sie sind ein weltweit anerkannter Produzent und Songwriter, im Hip-Hop, | |
aber auch darüber hinaus. Sie wurden in Kabul geboren, sind aber schon als | |
Säugling nach Hamburg gekommen und haben von hier aus Ihre Karriere | |
aufgebaut. Was ist Ihre erste Assoziation, wenn Sie das Wort „Afghanistan“ | |
hören? | |
Ich denke an Familie, an Flucht, an die afghanische Küche, an meine | |
Muttersprache. Und natürlich an die afghanische Musik. An einen Ort, der | |
sich immer nur in meiner Vorstellung abgespielt hat. | |
In den Songs auf deinen Alben „Kabul Fire Vol. 1“ und „Vol. 2“ sampeln … | |
Klänge aus afghanischen Filmen. Haben Sie sich also Ihr eigenes Afghanistan | |
gebaut? | |
Ja, das kann man so sagen. | |
Ihre Eltern sind 1982 mit Ihnen aus Kabul geflüchtet, vier Jahre nach dem | |
Einmarsch der Sowjetunion. Wie haben die das geschafft? | |
Mein Vater hat von Hamburg aus Geld geschickt. Professionelle Fluchthelfer | |
haben meine Mutter, meine Geschwister und meinen Onkel nachts aus Kabul | |
rausgeschmuggelt. Von Pakistan in den Iran und in die Türkei – das ist die | |
normale Route. Wir gehörten zu den wenigen Glücklichen, die es raus | |
geschafft haben, weil wir es uns leisten konnten. Ich werde da nie wieder | |
hinfahren können. Es ist so traurig: 20 Jahre lang wurde Unfug getrieben. | |
Dafür mussten Hunderttausende Afghanen sterben? Aber eigentlich | |
qualifiziert mich nichts, darüber zu reden. Mir geht’s ja toll hier. Ich | |
sitze mit Schuldgefühlen in Hamburg. | |
Haben Sie in diesen Tagen mit Afghanen gesprochen? | |
Ich habe vor allem mit afghanischen Filmemachern zu tun. Einer steckt | |
gerade an der EU-Außengrenze fest und wartet auf ein Deutschland-Visum. Die | |
Familie wurde nicht mitevakuiert. Er hat einen Onkel, der für die ehemalige | |
afghanische Regierung gearbeitet hat – die Taliban haben sich schon mit | |
Drohungen gemeldet. Aktuell versuchen wir, einen Weg zu finden, um seine | |
Familie auf eine Evakuierungsliste zu setzen. Aber wir wissen nicht, wie. | |
Die Meldungen zeigen aktuell, dass selbst eine Liste nichts bringt. Vor | |
allem Medien- und Kunstschaffende haben gerade Angst um ihr Leben. | |
Wie informieren Sie sich? | |
Mir schreiben viele Freunde und Bekannte. Meine Familie ist | |
glücklicherweise weitestgehend aus dem Land raus – eine Sorge weniger. In | |
letzter Zeit wird man mit Nachrichten bombardiert, es reicht schon, nur den | |
Browser zu öffnen. Es fällt schwer, dann nicht zu klicken. | |
Kann man als Normalmensch in Deutschland überhaupt irgendetwas tun? | |
Der Abzug war angekündigt, Friedensgespräche mit den Taliban haben | |
stattgefunden, und es gab jahrelang Schlagzeilen über Anschläge. Die | |
Berichte gerade zeigen ja, dass es für den Aufschrei längst zu spät ist. | |
Vielleicht helfen Demonstrationen, um die Bundesregierung zum Handeln zu | |
treiben. Und natürlich: an Hilfsorganisationen spenden. Wer mit | |
sechsköpfiger Familie im Park schlafen muss, freut sich über jede Hilfe. | |
Ich unterstütze schon lange den Verein [2][Visions for Children,] der sich | |
auf den Schulbau konzentriert und gerade Nothilfen organisiert. Aber | |
eigentlich hat man das Gefühl, dass man herzlich wenig tun kann. | |
Die Taliban haben Amnestie versprochen, auch Frauen sollen Rechte bekommen. | |
Das behaupten sie jedenfalls jetzt, während die Welt auf Afghanistan | |
schaut. Sie wollen als Regierung anerkannt werden, deswegen geben sie sich | |
gerade zahm. | |
Warum dulden die Taliban eigentlich keine Musik? | |
Ich weiß es auch nicht. Aber das ist eine der Fragen, auf die sich | |
westliche Medien gern versteifen. Lieber sollte man diskutieren, woher die | |
Taliban das Geld und die Waffen haben, um Menschen zu terrorisieren. | |
Kann es in Afghanistan wieder freie Kunst geben? | |
Kunst? Derzeit hat das Leben der Menschen Priorität. Es ist schwierig, das | |
Ganze mit ansehen zu müssen und nichts machen zu können. | |
Ihr Label und Ihre beiden Alben tragen den Namen „Kabul Fire“ – was für … | |
Feuer ist das? | |
Das ist das Feuer der normalen Menschen, die andere Geschichten aus | |
Afghanistan erzählen. Ich werde das Land nie wirklich kennen, egal, wie | |
sehr ich mich damit beschäftige. Ich versuche einfach, eine Verbindung zu | |
der Stadt aufzubauen. Und wenn das nur bedeutet, dass die hier lebenden | |
Afghanen sagen: Das ist einer von uns. Der nutzt afghanische Titel und | |
seine Samples kommen aus einem Film von Siddiq Barmak. | |
21 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-von-HipHop-Produzent-Farhot/!5746121 | |
[2] /Aktivistin-ueber-Frauen-in-Afghanistan/!5789681 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
HipHop | |
Flucht | |
Taliban | |
GNS | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Deutscher Hip Hop | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Podcast „Bundestalk“ | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Deutscher Hip Hop | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Geflüchtetes afghanisches Orchester: „Nicht tolerieren, was Taliban tun“ | |
Für das Musikinstitut Anim wurde die Machtergreifung der Taliban zum | |
Fluchtgrund. Bedroht sind auch Musikerinnen seines Zohra-Orchesters. | |
Rapper Matondo Castlo über sein Leben: „Ich habe HipHop-Kultur inhaliert“ | |
Matondo Castlo setzt sich für Jugendliche ein, die Musik machen wollen, | |
aber kein Geld dafür haben. Ein Gespräch über seinen harten Lebensweg. | |
Rockband Kabul Dreams über Afghanistan: „Musik machen ist verboten“ | |
Die Rockband Kabul Dreams lebt seit 2015 im US-Exil. Die Musiker halten den | |
Kontakt zu Familie und Freund:innen in der Heimat. Zuhause ist es | |
unerträglich. | |
Politologe Heins über offene Grenzen: „Angst durch Hoffnung ersetzen“ | |
Die neue Lust, in größeren Maßstäben zu denken: Politologe Volker M. Heins | |
über Migrationsrouten, offene Grenzen und notwendige Utopien. | |
Podcast „Bundestalk“: „Zynisch und widerwärtig“ | |
Afghanistan liegt nach dem überstürzten Abzug der ausländischen Truppen in | |
Trümmern. Was wird nun aus den Menschen dort? | |
Afghanische Community in Berlin: Afghanistan, mon amour | |
Unser Autor ist als Kind aus Afghanistan geflüchtet. Neben der Sorge um | |
Angehörige treibt die afghanischstämmige Community die Sorge um das Land | |
um. | |
Hip-Hop-Produzent Farhot über Musik: „Meine Eltern verstehen das nicht“ | |
Der Hamburger Hip-Hopper Farhot bedient alle Register: von Amok bis | |
verspielt. Ein Gespräch über Sounds und Scheine. |