| # taz.de -- Buchmesse Frankfurt und rechte Verlage: Mehr als ein Kulturkampf | |
| > Der richtige Umgang mit rechten Verlagen ist kompliziert. Das zeigen die | |
| > Boykottaufrufe gegen die Frankfurter Buchmesse. | |
| Bild: Den rechten Jungeuropa Verlag im Rücken: Besucher der Frankfurter Buchme… | |
| Frankfurt am Main taz | Vor Ort sah man nicht viel. Im Stand des neurechten | |
| Jungeuropa Verlages vertreiben sich in den ersten Messetagen drei, vier | |
| Männer Anfang dreißig die Zeit und reden ab und zu mit einem Besucher. Was | |
| Kleinverlage halt machen. Sie sitzen da wie im Auge eines Sturms. Wer | |
| vorübergeht, schaut aus dem Augenwinkel herüber und eilt schnell vorbei. | |
| Und gleichzeitig sind da auf der anderen Seite die sozialen Medien. Sie | |
| vermitteln das Bild einer großen Welle des Protestes, nachdem [1][die | |
| Autorin Jasmina Kuhnke ihre Messeauftritte öffentlich absagte], weil sie | |
| sich von Neurechten aus dem Jungeuropa-Verlag bedroht sieht. Andere | |
| Autor*innen – Raul Krauthausen, Nikeata Thompson, Kirsten Fuchs, | |
| Annabelle Mandeng, Till Raether und andere – haben sich der Absage | |
| angeschlossen. | |
| Der Gegensatz dieser Wucht in den sozialen Medien zu der Ruhe in Frankfurt | |
| war in den ersten Messetagen geradezu absurd. Wer fürs Beobachten bezahlt | |
| wird, so wie ich, hat große Mühe, die Details zu einem Gesamtbild | |
| zusammenzufügen; und vielleicht geht das auch gar nicht. Aus den sozialen | |
| Medien jedenfalls spricht ein kämpferischer Wunsch, sich mit Jasmina Kuhnke | |
| zu solidarisieren. Und auch der Wunsch, die Rechten würden einfach | |
| verschwinden, indem man sie verbietet etwa. | |
| ## Von der Polizei nicht adäquat beschützt | |
| Das werden sie aber nicht tun. Was zu einem zweiten Paar gegensätzlicher | |
| Eindrücke führt. Denn Jasmina Kuhnke hat als exponierte Zielscheibe rechter | |
| Hetze im Netz allen Grund, sich verfolgt zu sehen. Sie musste schon ihre | |
| Wohnung wechseln und hat, darauf wies in einer Radiosendung der Journalist | |
| René Aguigah mit dem Verweis auf Spiegel-Recherchen hin, zudem die | |
| Erfahrung gemacht, von der Polizei nicht adäquat beschützt zu werden. | |
| Die [2][Autorin Sharon Dodua Otoo] machte in derselben Sendung des | |
| Deutschlandfunks klar, was es bedeutet, als einzige Schwarze Frau im Raum, | |
| wie es auf Literaturveranstaltungen für sie häufig vorkommt, nicht das | |
| Gefühl zu haben, sich im Zweifel auf den Schutz gegenüber Übergriffen | |
| verlassen zu können. Vor diesem Hintergrund sind viele der kämpferischen | |
| Solidaritätsbekundungen im Netz zu sehen: Ihre Absender möchten den | |
| Autor*innen versichern, dass man, wenn es drauf ankommt, hinter, neben | |
| und vor ihnen steht. | |
| Und auf der anderen Seite dieses Eindruckspaares stehen die | |
| Verantwortlichen der Frankfurter Buchmesse. Ihre Bekenntnisse zu Vielfalt | |
| und Diversität sind glaubwürdig. Wie sehr ihr die Auseinandersetzungen um | |
| Jasmina Kuhnke zusetzen, war Karin Schmidt-Friedrichs, der Vorsteherin des | |
| Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, körperlich anzusehen. Und der | |
| Buchmessen-Chef Jürgen Boos hat schon in vielen Interviews betont, dass er | |
| die von den neurechten Verlagen vertretenen Ansichten in keinster Weise | |
| teilt. | |
| ## Desaster auf der Leipziger Buchmesse | |
| Doch eine Buchmesse ist, im Unterschied zu einer Zeitung, kein frei | |
| kuratierter Diskursraum, sondern eine Marktveranstaltung und unterliegt | |
| aufgrund ihrer Monopolstellung dem Kartellrecht, was bedeutet, dass sie | |
| Aussteller nur dann abweisen kann, wenn diese gegen geltendes Recht | |
| verstoßen – und gegen den Jungeuropa-Verlag liegt strafrechtlich nichts | |
| vor. Im Hinterkopf ist den Verantwortlichen zudem das Desaster, als die | |
| Leipziger Buchmesse vor einigen Jahren die [3][Junge Freiheit] ausschließen | |
| wollte. Die rechte Zeitung klagte sich vor Gericht erfolgreich wieder rein. | |
| Was tun? Nun, sich etwa der Kompliziertheit der Lage stellen. Darüber | |
| hinaus sind der Messeleitung aber durchaus auch handwerkliche Fehler | |
| vorzuhalten. Die so überaus sichtbare Platzierung des Jungeuropa Verlages | |
| ist ein Desaster. Und die ersten Pressemitteilungen, die sich dürr auf das | |
| Prinzip der Meinungsfreiheit zurückzogen, waren irgendwie hölzern. | |
| Dieses Prinzip hochzuhalten mag in den Systemauseinandersetzungen mit China | |
| oder auch Russland unabdingbar sein, wirkt aber ohne eine angemessene | |
| Ansprache gegenüber Autor*innen, die aus Sorge um die eigene Sicherheit | |
| ihre Auftritte abgesagt haben, zu abstrakt. Außerdem hat die Messe ihre | |
| Bekenntnisse zu Vielfalt inhaltlich wohl zu wenig mit Veranstaltungen sowie | |
| Positionierungen gegen Rechts begleitet. | |
| Bei allem Verständnis für die Absagen der einzelnen Autor*innen wiederum | |
| muss sich die Zivilgesellschaft ihrerseits fragen lassen, ob es nicht | |
| produktivere Formen der Solidarisierung gäbe als ausgerechnet | |
| Boykottaufrufe, durch die man in Kauf nimmt, den rechten Verlagen das | |
| Terrain zu überlassen. Was man nämlich sehen sollte, ist, dass die | |
| Konflikte, die sich hier so offen zeigen, gar nicht mehr in erster Linie | |
| der Ausdruck eines Kulturkampfes um Diversität sind. Es sind schon die | |
| Konflikte und Probleme innerhalb einer diverser gewordenen Gesellschaft, | |
| und sie werden bleiben. | |
| 22 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Boykott-der-Frankfurter-Buchmesse/!5806078 | |
| [2] /Debuetroman-von-Sharon-Dodua-Otoo/!5750328 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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