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# taz.de -- Debütroman von PeterLicht: An der Zitze des Kapitalismus
> PeterLicht hat als Songwriter das Ende des Kapitalismus herbeigesehnt. In
> „Ja okay, aber“ beschreibt er die Absurditäten des postdigitalen
> Zeitalters.
Bild: Existenzielle Leere im Co-Working-Space
Hätte man sich ein Setting für einen PeterLicht-Roman ausmalen können, es
wäre vielleicht so ähnlich ausgefallen, wie man es nun vorfindet. Der
Schauplatz ist ein Co-Working-Space in einer namenlosen Stadt, unter
anderem arbeiten dort: die Allroundkünstlerin, die irgendetwas mit
Sexualität macht, der Armutsforscher, ein emeritierter Professor, der sich
mit seinem Institut überworfen hat, sowie ein Fotograf, der von seiner
Kunst nicht leben kann.
Dann sind da noch „der, von dem man nicht weiß, was er tut“, der
Programmierer und ein paar Callcenter-Agenten. Und der Ich-Erzähler. Von
dem erfährt man erst mal nicht so viel, außer dass er „vorankommen“ will.
Um dieses Vorankommen wird es in dem Roman „Ja okay, aber“ gehen.
Bekannt geworden ist [1][PeterLicht als Songwriter] („Sonnendeck“), seine
Musik und seine obskuren Textwelten darf man als einzigartig im deutschen
Pop bezeichnen. In seinen Stücken geht es oft um die Vermessung
spätkapitalistischer Lebensräume, so komponierte er etwa „Das Lied vom Ende
des Kapitalismus“ (2006) und den Song „Begrabt mein iPhone an der Biegung
des Flusses“ (2011). Da der Autor auch ein Brand ist, schreibt sich sein
Künstlername ohne Trennung „PeterLicht“.
Als solcher hat er auch schon einige Bücher veröffentlicht. Für seinen Text
„Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“
[2][gewann er 2007 beim Bachmannpreis den Publikumspreis] und den
3Sat-Preis. „Ja okay, aber“ ist sein erster Roman.
## Durch Kaffee den Kapitalismus aufrechterhalten
[3][Der Kapitalismus bleibt sein Lebensthema:] „Wir alle saugen an der
Zitze des Kapitalismus. Manchmal kommt etwas heraus. Davon leben wir“,
heißt es gleich auf der ersten Seite.
Der Co-Working-Space steht natürlich pars pro toto für prekär bezahlte und
entfremdete Arbeit, die Kaffeemaschine auf der Büroetage wird zu dem Ort,
wo man sich trifft; der Kaffee wird zu der Substanz, durch die der
Kapitalismus aufrechterhalten werden kann. Von der Anlage hätte also eine
allzu durchschaubare Satire daraus werden können, nicht aber bei
PeterLicht.
Nicht ohne Grund findet man in einer Textpassage eine Anspielung auf Samuel
Beckett (der Programmierer „hat einen sehr schmalen Kopf mit büschelhaften
Haaren und sieht aus wie derjenige, der Warten auf Godot geschrieben hat“),
denn die Romanhandlung hat auch etwas vom absurden Theater.
Auch der Surrealismus ist ein wichtiger Einfluss für den Autor; es gibt
Traumpassagen, und die Handlung nimmt verrückte Wendungen – vor allem gegen
Ende, als eine Party auf der Büroetage stattfindet, laufen die Dinge
ziemlich aus dem Ruder.
## Öffentliche Toiletten als „antiintuitive soziale Skulpturen“
PeterLicht liebt dabei die Abschweifung und Meditationen über das tägliche
Leben, er sinniert schon mal mehrere Absätze über öffentliche Toiletten als
„antiintuitive soziale Skulpturen“, über die Riemchen von Flip-Flops. Diese
Hirndriften muss man mögen – mich hat es stellenweise zu sehr aus der
Handlung rausgezogen. Allerdings ist das auch sein Stil, ein unverkennbarer
PeterLicht-Sound; Fans werden das sicher goutieren.
Andererseits ist zu jedem Zeitpunkt klar, dass PeterLicht mit all den
schrägen Figuren und teils sinnfreien Dialogen ernsthafte Dinge verhandelt,
dass es ihm um eine Beschreibung instabiler Lebens- und Arbeitsverhältnisse
und um Kritik am Neoliberalismus geht, um es mal plakativ zu sagen. Der
Fotograf etwa wird als hochtalentierter Künstler vorgestellt, sein Geld
aber verdient er mit Aufträgen eines Mediums, das an die Bild-Zeitung
gemahnt: „Der Fotograf ist ein Zauberer.
In seinen Bildern ist es unendlich fein. Ein Schimmer durchfließt sie.
Leider ist die Bezahlung für solcherart Schimmerbilder ebenfalls unendlich
fein. (…) Als die Kinder des Fotografen auf die Welt kamen, heuerte er
deshalb bei einem Medienunternehmen an, das nachweisbar bezahlt. Es ist nur
so, dass das Medienunternehmen mitunter die Leute, über die es berichtet,
auf Dornen aufspießt, wie Vögel es manchmal tun, wenn sie ihre Beute auf
die Stacheln der Stacheldrahtzäune stecken.“
Der Ich-Erzähler dagegen ist sich dessen bewusst, dass er ein wandelnder
Widerspruch ist und im Kapitalismus auch nur ein wandelnder Widerspruch
sein kann: „Sie nennen es Leistung. Sie wollen alles von mir. Okay, das
kann ich sagen, ich gebe es ihnen nicht. Ich würde hohl sein, wenn ich
ihnen alles geben würde, und ich will keine Röhre sein. Aber natürlich gebe
ich es ihnen.“
Man könnte natürlich sagen, auch in „Ja okay, aber“ warten wieder einfach
alle auf das [4][Ende des Kapitalismus (so wie PeterLicht] schon vor 15
Jahren), aber es will einfach nicht kommen. Nur damit aber würde man dem
Buch nicht gerecht, denn so wie hier existenzielle Leere, das Leben im
postdigitalen Zeitalter und das Verharren in sinnfreien Arbeitswelten
beschrieben werden, findet man das in der deutschsprachigen Literatur eben
nur bei diesem Autor. Also kaufen Sie das neue Produkt von PeterLicht,
bevor es zu spät ist!
19 Oct 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Buch
Roman
PeterLicht
Kapitalismus
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