# taz.de -- Autor über seine Kritik der Bedürfnisse: „Konsum ist eine Kompe… | |
> Wie würde eine Gesellschaft mit menschenfreundlichem Arbeitsleben | |
> aussehen? Thomas Ebermann trägt in Hamburg seine „Kritik der Bedürfnisse�… | |
> vor. | |
Bild: Für Ebermann „Rituale der Zerstreuung“: das ewige Einkaufen, hier in… | |
taz: Herr Ebermann, was gibt es an unseren Bedürfnissen zu kritisieren? | |
Thomas Ebermann: Wirklich alles! In unseren Bedürfnissen spiegelt sich die | |
ganze Gesellschaft wider. Das Furchtbare ist, dass unter den Bedingungen | |
des [1][Kapitalismus] eine fast unauflösbare Verschränkung von falschen und | |
legitimen Bedürfnissen existiert. Das hängt damit zusammen, dass dieses | |
System sowohl mein Leben rettet, als auch meinen Tod kalkuliert. | |
Können wir denn beeinflussen, was wir wollen, was unsere Bedürfnisse sind? | |
Ja, schließlich können wir reflektieren. Sonst müsste ich der reaktionären | |
Strömung der Gehirnforschung ja Recht geben, dass alles vorherbestimmt ist. | |
Unsere Bedürfnisse sind nicht natürlich? | |
Sie sind weder fix, noch dem Menschen innewohnend. Das ist eine | |
Grundannahme. Sie sind geschichtlich gemacht und würden sich mit einer | |
anderen Form der Gesellschaft ändern. Wenn wir uns eine Gesellschaft ohne | |
Privateigentum vorstellen, dann würden in dieser bestimmte | |
Besitzbedürfnisse verschwinden. Vielleicht gäbe es dann auch so etwas wie | |
Eifersucht nicht mehr, die letztlich nur eine Sehnsucht nach Besitz | |
ausdrückt. Eine Gesellschaft, die nicht der Produktivität verpflichtet ist, | |
die nicht als Erstes immer nach Nützlichkeit und Leistung fragt, würde das | |
Arbeitsleben selber umgestalten, es menschenfreundlich machen. | |
Warum messen Sie dem Arbeitsleben so viel Bedeutung bei? | |
Nehmen wir was Krasses: Leute, die viele Jahre durch die Art ihres | |
Arbeitens gedemütigt werden, als Frau an der Supermarktkasse, als | |
Wanderarbeiter beim Spargelstechen, als Pflegekraft mit überlangen | |
Arbeitstagen – ihnen abzuverlangen, sie sollten doch einmal Proust lesen, | |
um ganz ruhig über viele hundert Seiten das Schöne an literarischen | |
Möglichkeiten zu spüren. Diese Menschen würde man verspotten. | |
Inwiefern? | |
Ihr materielles Sein zwingt sie in Rituale der Zerstreuung und in Rituale | |
der Entschädigung durch [2][Konsum]. Um es ganz drastisch und verkürzt zu | |
sagen – es zwingt sie nach Feierabend auf das Sofa vor den Fernseher. Wenn | |
wir also über andere Bedürfnisse sprechen, zum Beispiel über so etwas | |
wirklich Schönes und Kompliziertes wie Naturgenuss, dann bedarf es eines | |
anderen Arbeitslebens und einer anderen Art des Produzierens, damit | |
Menschen überhaupt dazu befähigt sind. | |
Kann Konsum Menschen glücklich machen? | |
In der jetzigen Gesellschaftsform ist der Konsum eine Kompensation. Doch | |
meistens kommt man dabei sowieso nicht auf seine Kosten, da bleibt immer | |
dieser schale Nachgeschmack. Ich möchte die konsumtiven Bedürfnisse als | |
etwas kritisieren, das nicht zum Glück beiträgt, sondern schal schmeckt. | |
Plädieren Sie für Verzicht? | |
Ich plädiere für lustvollen [3][Verzicht] – das ist das Gegenteil von | |
Verzicht. Lustvoller Verzicht ist intellektuell basierend auf einer den | |
Menschen nicht demütigenden Arbeitswelt oder Produktionsweise. Brauchen wir | |
den vielen Schrott, der produziert wird? Versicherungswirtschaft – weg, die | |
brauchen nicht mehr arbeiten! Militär – weg, das muss nicht mehr arbeiten. | |
Konsumgüterindustrie – da machen wir eine Einzelfallprüfung. Lustvoller | |
Verzicht ist für mich beinahe ein ähnliches Wort wie [4][Luxus]. | |
Wie steht es aktuell darum? | |
Es gibt Zeiten, in denen der Ekel vor dem Bestehenden ausgeprägter ist. Und | |
es gibt Zeiten, wo dieser Ekel vor der Brutalität der Gesellschaft, vor der | |
Tyrannei der Mehrheit sehr schwach ist. Im Moment leben wir in Zeiten, in | |
denen er schwach ist. Ich habe jedoch Zeiten erlebt, in denen er zwar auch | |
die Minderheit betraf, aber verbreiteter war als heute. So ein Vortrag, wie | |
ich ihn nun halte, hat immer auch die etwas lächerliche Ambition, den Kreis | |
jener zu vergrößern, die sich vor der Gesellschaft ekeln und sich ihr | |
verweigern. | |
12 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nina Nevermann | |
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