# taz.de -- PeterLichts neues Pop-Album: Offensive ins Private | |
> Angela Merkel ist eine melancholische Galionsfigur, der Kapitalismus | |
> macht weiter und die Liebe gewährt nur Rettung auf Zeit: PeterLicht | |
> präsentiert auf "Melancholie und Gesellschaft" federleichtesten Pop. | |
Bild: Szene aus PeterLichts "Sonnendeck" | |
Sag doch einfach mal Nein. Oder besser: Sing es. "Neinnein, neinnein, | |
na-ein, nei-ein." Das wärs doch: sich verabschieden, ausklinken, | |
aussteigen. Über Verpflichtungen lachen, Forderungen fallen lassen, einfach | |
mal weg sein. Ein Traum. Für den man nicht mal eine einsame Insel braucht. | |
Ein kleines Wörtchen reicht: Nein. | |
PeterLicht hats getan. Er hat einen Song geschrieben für die | |
Möchtegern-Neinsager. Ein Song mit einem leicht zu merkenden Refrain, einem | |
beständig wiederholten "Nein". Das Beste aber: Es funktioniert, dieses | |
Mantra der Negation. Der Verzicht auf Teilhabe, er lässt sich ersatzweise | |
auch summen. Mit dieser Turbomeditation für verhinderte Verweigerer | |
beginnt, nicht ganz zufällig natürlich, das neue Album von PeterLicht. | |
Es ist sein viertes, heißt "Melancholie und Gesellschaft", und auf ihm geht | |
es ziemlich genau darum, was im Titel versprochen wird. Oder wie der | |
Künstler im Gespräch ausführt: "Was produziert denn diese Gesellschaft? Der | |
Kapitalismus? Traurigkeit und Melancholie." Vertont habe er | |
konsequenterweise doch nur "all die Möglichkeiten, sein Leben zu verpassen: | |
die Melancholie einer Aldi-Filiale, die Melancholie des Stellenmarkts in | |
der Süddeutschen Zeitung, die Melancholie eines Solariums". | |
Ein Solarium? Melancholisch? Tatsächlich, meint der Künstler, wenn man mal | |
ein wenig länger darüber nachdenkt: "Ein Solarium ist ein stiller Ort, ein | |
Ort der Sehnsucht, ein Paradiesort, an dem man sein Glück sucht. So ein | |
Solarium soll ja auch ein Jungbrunnen sein." Um zu wissen, wie traurig ein | |
Besuch auf der Sonnenbank stimmen kann, muss man nicht selbst dort gewesen | |
sein. PeterLicht jedenfalls war noch nie im Solarium, sagt er. Man glaubt | |
es ihm sofort, so blass, wie er aussieht. | |
Mehr aber sei nicht verraten über diesen Mann, der vermutlich in Köln | |
wohnhaft ist, seinen bürgerlichen Namen geheim hält und immer noch nicht | |
sein Gesicht zeigen mag in der Öffentlichkeit, weil er findet, dass | |
biografische Angaben mehr verschleiern als enthüllen. "Es geht um | |
Wahrhaftigkeit", sagt er, "aber wer seine Adresse, Telefonnummer und DNA | |
rausgibt, der ist doch nicht automatisch authentischer." | |
Von dieser anonymen Position aus beschenkt uns PeterLicht nun schon seit | |
Jahren mit der federleichtesten Popmusik. Und mit dem unhaltbaren | |
Versprechen, dass vielleicht ja doch womöglich und unter Umständen | |
irgendwann mal alles schöner und tatsächlich strahlend werden möge. "Das | |
Sehnen nach einer besseren Welt, das Verhältnis zwischen Utopie und | |
Melancholie, das interessiert mich", sagt PeterLicht. | |
Einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg in eine bessere Welt wäre | |
bekanntlich die Abschaffung der herrschenden Gesellschaftsordnung. So also | |
sang PeterLicht vor zwei Jahren die "Lieder vom Ende des Kapitalismus". | |
Blöderweise aber wollte der Kapitalismus von seinem Ende nichts wissen. | |
Nach der missglückten Revolte folgt nun, man kennt das aus der Geschichte, | |
der Rückzug ins Private. Nur dass PeterLicht diesen klassischen Reflex | |
umgedeutet sehen will: "Das ist kein Rückzug, das ist eine Offensive ins | |
Private." | |
Anders gesagt: Er setzt dem entfesselten Kapitalismus eine schutzlose | |
Emotionalität entgegen. Also singt er vom Beziehungswirrwarr, das der | |
moderne Mensch so anrichtet, vom Älterwerden und der Hoffnung, dass wir | |
alle uns bald in netten Rentner-WGs wiedersehen. Er singt vom neuen Tag und | |
davon, welch ein Glück es ist, einfach zu verschwinden. Er singt davon, | |
dass es keine Feinde mehr gibt, dass unsere Herzen unpfändbar sind, und ja, | |
er singt sogar auch manchmal von der Liebe. | |
So gesehen sind die Lieder von PeterLicht Popmusik im klassischen Sinne, | |
indem sie Schlupflöcher aus der Wirklichkeit aufzeigen, Eskapismus bieten. | |
Dabei sind sie klar und einfach strukturiert, von musikalisch milder | |
Stimmung und bisweilen einfach schön bis zur Unerträglichkeit. Doch diese, | |
wie der Schöpfer selbst sie nennt, "naiven Protestlieder" präsentieren die | |
Liebe nicht als Rettung von allem Unbill. Das unterscheidet sie vom | |
Schlager. Selbst die allmächtige Liebe gewährt bei PeterLicht nur eine | |
Auszeit, ein wenig Erholung vor den An- und Überforderungen, denen der | |
moderne Mensch ausgesetzt ist. | |
Ist das traurig? Vielleicht. Wahrscheinlich ist es vor allem logisch. "Die | |
Popmusik ist am Endpunkt ihrer Vergeblichkeit angekommen", sagt PeterLicht, | |
"die Popmusik ist vorbei. Der geisteswissenschaftliche Auftrag der | |
Popmusik, Aufbruch, Revolution, Reaktion gegen Bürgerlichkeit, der hat sich | |
erledigt." Das ist kein Grund zur Traurigkeit, höchstens - man denkt es | |
sich bereits - zur Melancholie: "Angela Merkel ist eine melancholische | |
Galionsfigur und die große Koalition ist eine melancholische Skulptur. | |
Merkel kann heute in Converse-Schuhen auf dem Golf-Cart beim G-8-Gipfel | |
sitzen, das wäre kein Problem. Es gibt keine Feinde mehr." | |
Das mag ja so sein. Nur: Warum macht PeterLicht dann noch Popmusik? Warum | |
schreibt er nicht mehr nur, mischt den Literaturbetrieb auf wie im | |
vergangenen Jahr in Klagenfurt, wo er der Bachmannpreisträger der Herzen | |
war? Weil "das Leben ja auch nicht sinnlos ist, nur weil es mit dem Tod | |
endet". Und weil es zum Glück den Umkehrschluss gibt: "Es gibt keine Feinde | |
mehr. Oder: Es gibt nur noch Feinde." Hörbares Aufatmen im Auditorium. "Ich | |
weiß zwar nicht, gegen wen ich vorgehen soll. Aber es geht mir manchmal so, | |
dass ich gegen alles vorgehen möchte." | |
Also geht es weiter: gegen den Kapitalismus, den guten alten Feind, der | |
nicht klein beigeben will. Aber auch immer wieder gern gegen dessen | |
willfährige Büttel. Die in "Marketing" besungenen Werbestrategen zum | |
Beispiel, die penetrant auf Sex setzen: "Ich möchte es nicht mehr sehen", | |
entrüstet sich PeterLicht, "diesen inflationären Einsatz von Titten und | |
Ärschen." | |
Wo er Recht hat, hat er Recht. Das ist das Faszinierende an der Musik von | |
PeterLicht. Sie spricht einem aus dem Herzen, ohne jemals kitschig zu | |
werden. Sie sorgt für Abstand, ohne eine ironische Absicherung nötig zu | |
haben. Sie sucht nach den wahrhaftigen Momenten, und das mit dem Wissen, | |
dass diese nie zu finden sind und man sich ihnen nur irgendwie annähern | |
kann. Das macht diese Lieder dann auch politisch, dass sie ehrlich ihr | |
Scheitern an der Wahrhaftigkeit schildern. Und sie sind dabei, man hat es | |
sich längst gedacht, niemals zynisch, aber immer melancholisch. Sehr | |
melancholisch. | |
5 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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