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# taz.de -- Migration über Belarus nach Deutschland: Zwischen den Fronten
> Belarus lässt Migranten durchreisen, um es der EU heimzuzahlen, Polen
> versucht die Einreise der Menschen zu stoppen. Ein Ortsbesuch nahe der
> Grenze.
Bild: Schwer durchdringbarer Grenzzaun
Eisenhüttenstadt/Bialystok Eine Woche ist Muqtada Said in Deutschland, hier
wollte er hin, seine Laune ist trotzdem nicht die beste. An einem Freitag
im Oktober sitzt er im Quarantäne-Bereich des [1][Erstaufnahmelager
Eisenhüttenstadt]. Die Sonne scheint über der früheren Kaserne, doch
richtig aufwärmen kann sie die Bundeswehr-Zelte auf dem Vorplatz nicht
mehr. „Wie es mir geht? Ich zeig’s dir“, sagt Said auf Englisch und zieht
sein Polohemd aus der Jeans. Über der Hüfte ist ein Bluterguss, groß wie
ein Schulheft. „Die Soldaten in Belarus haben mich hier mit ihrem Gewehr
geschlagen.“ Er habe Schmerzen, eine genaue Untersuchung könnten die Ärzte
erst nach der Quarantäne machen.
Said ist 38 Jahre alt. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Er
stammt aus Ahvaz in Iran. Und er gehöre zur arabischen Minderheit, sei bei
Protesten mit den Behörden aneinandergeraten, habe im Gefängnis gesessen.
Aus Iran wollte er weg, nach Europa, und Freunde hätten ihm von einer neuen
Möglichkeit berichtet, über Belarus dorthin zu gelangen. 1.300 Dollar habe
er für einen Flug und eine „Einladung“ des Reisebüros bezahlt – die
Menschen brauchen, die kein Visum haben.
Said besteigt am 12. September ein Flugzeug nach Istanbul und weiter in die
belarussische Hauptstadt Minsk. Im Taxi fährt er nach Hrodna, ganz im
Westen von Belarus gelegen. Dort hätten Soldaten die eintreffenden
Flüchtlinge gruppenweise zur Grenze geleitet. „Sie haben Löcher in den Zaun
geschnitten und gesagt: ‚Geht‘.“
Doch das ist nicht leicht. „Fünfmal haben die polnischen Grenzer uns zurück
geschickt, die Belarussen haben uns aber nicht zurückgelassen“, sagt Said.
„Wir hatten bald kein Essen mehr, haben Wasser aus dem Fluss getrunken, im
Gebüsch geschlafen.“ 12 Tage sei er in dem Niemandsland geblieben, dann sei
ihm gelungen, nach Polen hineinzulaufen. „An der Straße waren Schlepper mit
Autos. Sie haben von jedem von uns 400 Euro für die Fahrt verlangt.“ Am
Abend des 2. Oktober erreicht er Frankfurt an der Oder. Kurz danach greift
ihn die Bundespolizei auf und er kommt nach Eisenhüttenstadt. Und jetzt?
„Keine Ahnung.“
Dass ihm das noch keiner erklärt hat, hat auch damit zu tun, dass Said
nicht der Einzige ist, der so ankommt: Im August und September hat die
Bundespolizei rund 2.300 Menschen aufgegriffen, die über [2][Belarus]
gekommen waren – zuvor spielte diese Route praktisch keine Rolle. In den
ersten zehn Oktobertagen kamen über 1.900 weitere. Die meisten stammen aus
dem Irak, gefolgt von Syrien, Jemen und Iran. „Wir waren vorbereitet auf
eine Zunahme, aber haben nicht mit sowas gerechnet“, sagt Olaf Janssen,
Brandenburgs oberster Ausländerbehördenleiter, der taz.
Etwa jeder fünfte der Ankommenden wurde in Polen behördlich registriert und
dürfte deshalb als „Dublin“-Fall dorthin zurückgeschoben werden. Die
übrigen können ihr Asylverfahren in Deutschland betreiben. Deshalb
versuchen die meisten der Menschen möglichst ohne Polizeikontakt durch
Polen zu kommen.
Janssen glaubt, dass die Zahl der Ankünfte bis Jahresende so hoch bleibt.
Für ihn heißt das: Schon bald werden mehr Menschen da sein, als Brandenburg
bisher Aufnahmeplätze vorgehalten hat, zumal die Quarantäne die Verteilung
in andere Einrichtungen verzögert. Janssen ließ zunächst Zelte aufbauen,
hat von der AWO ein weiteres Heim mit 500 Plätzen angemietet. Wenn auch das
voll ist, will er Container aufstellen lassen.
700 Kilometer weiter östlich hat der Nebel den süßlichen Geruch der Feuer
aufgesogen, mit denen die Bauern die feuchten Überreste der Ernte
verbrennen. Hier in Podlachien, kurz vor Polens Grenze zu Belarus, beginnt
[3][Białowieża], einer der letzten Urwälder Europas. Bis vor Kurzem boten
Naturführer Wanderungen an, um wilde Bisons zu bestaunen. Jetzt steht ein
Polizeiauto mit eingeschaltetem Blaulicht am Straßenrand, die Beamten haben
wegen der Kälte Sturmhauben aufgesetzt, sie sagen nur: „Umdrehen“. Ein
Militärlaster voller Soldaten fährt, ohne anzuhalten, weiter.
Entlang des 416 Kilometer langen Grenzstreifens zu Belarus gilt seit dem 2.
September der Ausnahmezustand. Medien, Helfer:innen, Ärzt:innen,
Abgeordneten, Anwält:innen ist der Zutritt zu einer mehrere Kilometer
breiten „[4][Roten Zone]“ verboten. Nicht einmal das UN-Flüchtlingswerk
UNHCR darf hinein.
18.300 Mal haben Menschen wie Muqtada Said seit dem 1. August versucht,
über diesen Weg in die Europäische Union zu gelangen, und wurden wieder
zurückgedrängt. Doch Belarus lässt sie auch nicht wieder ins Landesinnere.
Mindestens sechs Menschen sind mittlerweile gestorben, meist an Entkräftung
und Unterkühlung.
Dass Belarus „Wirtschaftsmigranten“ nach Polen schicke, sei Teil eines
„hybriden Krieges“, sagte kürzlich Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende d…
national-konservativen polnischen Regierungspartei PiS. Er vermutet als
Motiv „Rache für die Unterstützung der weißrussischen Opposition durch
Polen“.
Das ist höchstens einer der Gründe. Wegen der „Repression gegen die
Zivilgesellschaft“ in Belarus hat die EU die 2020 verhängten Sanktionen
gegen das Lukaschenko-Regime immer weiter verschärft. Mit den Flüchtlingen,
so darf man vermuten, will Alexander Lukaschenko nicht nur eine Aufhebung
dieser Sanktionen erreichen, sondern möchte sich die Rückkehr zur alten
Grenzabschottung aus Brüssel bezahlen lassen.
## Im Basislager der Flüchtlingshelfer
Tief in den Wäldern nahe der Roten Zone hat die Hilfsorganisation
[5][Fundacja Ocalenie] ein altes Bauernhaus angemietet. In der Nacht steht
ein Kameramann von al-Dschasira in der Einfahrt und raucht, drinnen sitzen
Journalisten von Arte und Vice mit drei jungen Frauen um einen schweren
Holztisch. Das ganze Haus ist voller Matratzen, Kisten mit Babynahrung,
Energieriegel, Wasserflaschen, Kleiderspenden. Die überwiegend aus Warschau
stammenden Aktivist:innen haben ein Hilfesystem für die
Migrant:innen aufgebaut. Das Haus ist dafür eines der Basislager.
Ihre Handynummer wird unter den Geflüchteten weitergegeben. Diese können
die Aktivisten aus dem Wald heraus per Messenger kontaktieren, ihren
Standort beschreiben und um Kleidung, Wasser und Essen bitten. Dann ziehen
die Helfer los, meist in der Nacht, und hoffen, dass sie die Menschen
erreichen, bevor die Polizei sie findet. Sie bringen Tee, Socken,
Handy-Powerbanks.
„Das Schlimmste ist mittlerweile die Kälte. Wenn sie nicht schnell genug
wieder rauskommen, erfrieren sie“, sagt einer der Aktivisten einer
Initiative mit dem Namen Grupa Granica. Ein schwedischer Fotograf will ein
Bild von ihm machen. „Nee“, sagt der junge Mann. „Ich hab in Warschau ein…
Job, und den will ich behalten.“ Was sie tun, ist nicht verboten, in Polen
dennoch nicht überall gern gesehen.
Agnieszka, die ihren vollständigen Namen nicht veröffentlicht sehen will,
geht fast jede Nacht mit Hilfsgütern los. „Interventionen“ nennen sie das.
Auch tagsüber finden sie kaum Ruhe. Sie sitzt auf der Bettkante und
versucht zusammenzufassen, was los ist, rauft sich die kurzen Haare,
während sie nach englischen Wörtern sucht. „Sorry, ich bin gerade echt sehr
müde“, sagt sie.
Dann erzählt sie Geschichten wie die von dem zweijährigen, behinderten Kind
mit Epilepsie, das tagelang mit seinen Eltern im Wald umherirrte und in der
vergangenen Nacht zusammenbrach. „Sie haben uns angerufen. Als wir kamen,
war klar: Der Junge muss ins Krankenhaus. Wir haben den Eltern dann
erklärt, dass das bedeutet, dass sie in Polen registriert werden und in
Deutschland keinen Asylantrag mehr stellen können.“ Für die Familie eine
überaus schwierige Situation. Als der Krankenwagen zu einer nahe gelegenen
Straße kam, war auch die Polizei da.“
Die Flüchtlinge berichten den Helfern von Schlägen der polnischen Polizei.
Dass diese die Menschen zu Tausenden zurückschiebt, sei „völlig illegal“,
sagt Agnieszka. Wie viele Menschen derzeit in der Roten Zone sitzen, wisse
keiner, sagt Agnieszka.
## Pelmeni und das Warten auf den Notruf
Dann wird gekocht, es gibt Pelmeni, Graupen und Ajvar, sie warten auf den
nächsten Notruf, und die Fernsehteams warten mit ihnen. Der Notruf kommt um
halb vier in der Früh: ein iranischer Mann und eine schwangere Frau. Ihr
Standort ist fast 60 Kilometer im Süden. Ein Team einer anderen
Hilfsorganisaton, der Grupa Granica, setzt sich in Bewegung.
Um zu verhindern, dass Schlepper die Flüchtlinge jenseits der Roten Zone
aufnehmen, hat die Polizei Straßensperren errichtet. Am Dienstagmittag hält
ein Fahrer an einer solchen Sperre nicht an. Die Polizei nimmt die
Verfolgung auf, das Auto kracht kurz vor der Provinzhauptstadt Bialystok in
einen Lastwagen. Ein Insasse stirbt, drei weitere kommen schwer verletzt
ins Krankenhaus. Nach Angaben der Polizei deutet „alles darauf hin, dass es
sich bei den Unfallopfern um Migranten handelt“.
Wer sich dem Grenzgebiet nähert, bekommt eine harsche Nachricht aufs Handy:
„Die polnische Grenze ist abgeriegelt“, erscheint in englischer Sprache.
„Die Behörden von Belarus haben Sie angelogen. Gehen Sie zurück nach
Minsk.“ Dazu ein Link zur Regierungswebseite. Hier wird vor „Gefängnis“ …
„Lebensgefahr“ gewarnt. „Nach Polen zu kommen wird ihnen nicht dabei
helfen, Deutschland zu erreichen,“ steht dort, in fünf Sprachen.
Auf der Webseite der [6][Regierung von Belarus] heißt es derweil sonnig,
das Land biete „mehrere Programme für visumfreies Reisen an“. Wer nur 15
Tage bleiben und die „Touristenzone“ im Westen besuchen will, darf ohne
Visum per Flugzeug einreisen – egal woher. Impfung braucht es keine, in
Quarantäne muss auch niemand. Aus Zentralasien und Russland, aus der
Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten ist Minsk mit der Staatslinie
Belavia, Turkish Airlines oder Flydubai schnell und günstig erreichbar. Und
zufälligerweise umfasst die „Touristenzone“ praktisch den gesamten
Grenzstreifen zu Polen.
Die Flüchtlinge entlang der Route berichten, deutlich höhere Preise als das
reguläre Flugticket bezahlt und dafür teils einen Weitertransport in
Aussicht gestellt bekommen zu haben. Im Schatten von Lukaschenkos Offensive
ist ein informelles Netzwerk von Geschäftemachern entstanden, die aus der
neuen Fluchtroute Kapital zu schlagen versuchen.
## Polens Regierung macht sich beim Volk beliebt
Der polnischen Regierungspartei PiS wiederum bietet die Konfrontation eine
unvergleichliche Möglichkeit, sich bei der eigenen Bevölkerung als
unverzichtbar zu empfehlen. Gleichzeitig kann sie sich als unabhängig von
der EU inszenieren, mit der sie bekanntlich hart im Clinch liegt. Im
Einsatz sind 2.000 Grenzschützer, 500 Polizisten, 2.500 Soldaten und
Hunderte Angehörige der „Territorialverteidigung“ – einer seit 2016 vom
Verteidigungsministerium aufgebauten Miliz aus freiwilligen „patriotischen
Polen“.
So kann Polen demonstrativ auf Hilfe aus Brüssel verzichten. Dabei hat die
Kommission das Land „ausdrücklich“ auf die Möglichkeit der Unterstützung
der EU, vor allem durch [7][Frontex], hingewiesen. Man sei „hierzu mit der
Kommission und der polnischen Regierung im Gespräch“, sagt eine Sprecherin
des deutschen Bundesinnenministeriums dazu der taz.
Doch Fabrice Leggeri, der Chef der in Warschau ansässigen
EU-Grenzschutzagentur Frontex, durfte sich bei einem Besuch in der
Grenzregion lediglich von Polens Innenminister Bartosz Grodecki herumführen
lassen und sich hinterher „beeindruckt“ darüber zeigen, was Polen selbst
aufgefahren hat.
Am Mittwoch dann präsentiert die polnische Regierung im Parlament ihre
Pläne für einen 350 Millionen Euro teuren Anti-Flüchtlings-Wall entlang der
Grenze. Baubeginn soll noch in diesem Jahr sein. Für die mit
Bewegungssensoren und Kameras ausgerüstete Barriere sollen Anwohner und
Landbesitzer eines 200 Meter breiten Streifens vor der Grenze enteignet
werden.
Die Botschaft nach innen lautet: Wir beschützen euch vor den Migranten –
nicht Brüssel. Das Treffen der Außenminister der osteuropäischen
Visegrád-Gruppe am vergangenen Montag in Budapest sollte das auch nach
außen unterstreichen. „Wir werden gemeinsam nicht zulassen, dass die Grenze
von Einwanderern bezwungen wird,“ sagte Verteidigungsminister Mariusz
Błaszczak. Und: „Wir schätzen den Rahmen der Visegrád-Gruppe.“
## Bei den Grenzschützern
Das Büro von Katarzyna Zdanowicz, der Sprecherin der Grenzpolizei in
Ostpolen, liegt in einem weitläufigen Kasernengelände in Białystok. Besuch
empfängt sie in Uniform in einem Raum mit großen Bildern von
Grenzpolizisten mit Gewehren, Ferngläsern und Hunden in verschneiten
Wäldern. Was genau hat die neue Lage verursacht? „Früher haben wir die
Grenze zusammen mit Belarus kontrolliert. Wenn wir jemanden zurückgebracht
haben, hat Belarus ihn genommen“, sagt Zdanowicz. Seit letztem Jahr sei das
anders. „Heute weigern sie sich.“ Eigentlich kontrolliere Belarus seine
Grenzen sehr gut. „Aber dann haben sie den Zaun aufgemacht und den Menschen
geholfen, nach Polen zu kommen.“
Über 18.000 Mal haben Zdanowicz’ Kollegen in den letzten zehn Wochen
Menschen zurückgedrängt. Das sei gerechtfertigt, weil sie die Grenze
„illegal überquert haben“, sagt Zdanowicz.
Nichtregierungsorganisationen sagen, dass diese so genannte Pushback-Praxis
einen klaren Verstoß gegen die Genfer Konvention darstelle. Polens
Regierung argumentiert, die Konvention beinhalte nur das Recht auf die
Einreise ins erste sichere Land – und das sei Belarus, denn die Menschen
hielten sich dort legal auf.
Was mit den Zurückgeschobenen geschehe, dass sie lange im Wald festsitzen –
„dazu können wir nichts sagen, es gibt keine Kooperation mehr mit Belarus,“
sagt Zdanowicz.
Gleichzeitig seien seit dem 1. August rund 2.000 Menschen nach Polen
hineingelassen worden. „Das waren Kranke, Kinder und jene, die gesagt
haben, dass sie in Polen Asyl beantragen wollen“, sagt Zdanowicz.
Natalie Gebert, Juristin der Flüchtlingshilfsgruppe „Offenes Haus“, hält
das für eine Schutzbehauptung. Tatsächlich würden willkürlich die meisten
zurückgedrängt und einige wenige durchgelassen.
Dass es die Rote Zone gibt, erklärt Grenzpolizistin Zdanowiczc damit, dass
Schmuggler daran gehindert werden sollen, die Menschen einzusammeln. Dass
auch Helfer und Beobachter nicht hineingelassen werden, liege daran, dass
diese versucht hätten, Zäune zu zerstören.
Wie viele Menschen noch in Belarus sind und die Grenze überqueren wollen,
könne sie nicht sagen. „Es werden Tausende sein“, glaubt sie.
Die kirchliche Stiftung Fundacja Dialog betreibt in einem Flachbau zwischen
einer Industriebrache und dem Bahnhof der Provinzhauptstadt Białystok ein
kleines Wohnheim für kranke und besonders geschwächte Flüchtlinge. Einer
von ihnen ist Hamed al-Shibli. Er trägt einen roten Rollkragenpullover, die
nackten Füße stecken in Badelatschen. Auf Arabisch spricht er in sein
Handy, das ins Englische übersetzt, was er zu berichten hat. Er ist 29
Jahre alt und stammt aus Daraa in Syrien, sagt er. 2013 habe er sein
Heimatland verlassen und seither mit seiner Frau in Jordanien gelebt. Im
letzten Jahr wurde ihre Tochter geboren. Was er als Elektriker in Jordanien
verdienen konnte, habe nicht zum Leben gereicht.
Am 22. September steigt er allein in Amman in ein Flugzeug nach Dubai, von
dort fliegt er weiter nach Minsk. 1.500 Dollar habe er für den Flug bezahlt
und noch einmal so viel für die „Einladung“ des Reisebüros.
„Die Weißrussen haben uns angelogen“, sagt er. „Sie haben gesagt, der Weg
sei ganz leicht, aber es war sehr gefährlich.“ Er und ein anderer Mann
seien fast in einem Sumpf versunken. Einmal hätten die Polen sie
zurückgedrängt, beim zweiten Mal habe die Polizei ihn in ein
Registrierungszentrum gebracht, aber danach laufen lassen. Am nächsten
Morgen besteigt al-Shibli im Warschauer Hauptbahnhof den Eurocity Richtung
Berlin.
Er hat Glück. Die meisten Aufgegriffenen werden in eines der neun
geschlossenen Internierungslager in Polen gesteckt, die die EU-Kommission
mitfinanziert hat.
Als Staaten der Europäischen Gemeinschaft 2018 Italien und Griechenland
rund 35.000 Flüchtlinge abnehmen, sperrt sich Polen – und setzte sich auch
über einen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs dazu hinweg. 2020
stellten in Polen nur 2.000 Menschen einen Asylantrag. Im Verhältnis zur
Bevölkerungszahl ist das EU-weit der niedrigste Wert. Anerkannt wurden nur
370. Muslime will die PiS nicht im Land.
## Afghanen an der Grenze gestrandet
Die Folgen bekommt derzeit am heftigsten eine Gruppe von 32 Afghan:innen
zu spüren. Am 8. August versuchten sie nahe dem Dorf Usnarz Górny aus
Belarus nach Polen zu gelangen. Polizisten drängten sie über die Grenze
zurück – doch dort versperrte ihnen Belarus den Weg. Seit nunmehr elf
Wochen sitzen die Menschen fest, müssen im Wald kampieren, umzingelt von
Soldaten, im Regen und bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt. Sie sind zur
Verfügungsmasse in einem eskalierenden Konflikt der beiden Nachbarländer
geworden, von denen keines nachgeben will. Von den belarussischen Soldaten
bekommen sie etwas Essen.
Am 27. September entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,
dass Polen zumindest Anwält:innen zu der Gruppe lassen muss. Doch die
Regierung in Warschau weigert sich, das Urteil umzusetzen – und die von der
PiS zu Erfüllungsgehilfin umfunktionierte polnische Justiz rührt das nicht.
Piotr Bystrianin von der Stiftung Ocalenie konnte zuletzt am vergangenen
Sonntag mit der Gruppe telefonieren. „Es geht ihnen immer schlechter“, sagt
er.
15 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.drk-fluechtlingshilfe-brb.de/index.php/standorte-drk/eisenhuett…
[2] /Gefluechtete-in-Belarus/!5784671
[3] /Naturschutz-in-Polen/!5319905
[4] /Tote-an-polnisch-belarussischer-Grenze/!5802600
[5] https://crm.batory.org.pl/civicrm/contribute/transact?reset=1&id=1&…
[6] https://www.belarus.by/en/travel/travel-visas
[7] https://frontex.europa.eu/de/
## AUTOREN
Christian Jakob
Kateryna Kovalenko
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