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# taz.de -- Rücktritt von Kanzler Kurz: Aufstieg und Fall des Sebastian K.
> Sebastian Kurz räumt nach einem weiteren Skandal das Kanzleramt. Als
> Fraktionschef der ÖVP bleibt er aber auf der politischen Bühne. Ein Drama
> in fünf Akten.
Am Freitagabend noch hat Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in
einem kurzfristig angekündigten Statement seine politische
Handlungsfähigkeit beteuert. Er werde dem Druck nicht weichen. 24 Stunden
später ist alles anders. [1][Auftritt Kurz]: Es gelte „Chaos zu verhindern
und Stabilität zu garantieren“. Daher trete er jetzt „zur Seite“ und wer…
als Fraktionsvorsitzender der ÖVP ins Parlament zurückkehren, bis die
ungerechten Vorwürfe gegen ihn aufgeklärt seien.
Als Nachfolger im Bundeskanzleramt schlägt er seinen engen Vertrauten und
Außenminister [2][Alexander Schallenberg] vor. Der Diplomat aus altem
Adelshaus soll den verletzten Koalitionsfrieden wiederherstellen und
Österreichs ramponierte Reputation im Ausland reparieren. Opposition und
Medien rechnen damit, dass Kurz weiterhin die Strippen ziehen wird.
Ein Körnchen Selbstkritik muss sein, schließlich dokumentieren
Chat-Verläufe schwarz auf weiß, wie der Bundeskanzler über politische
Gegner denkt und mit welcher Skrupellosigkeit sein politischer Aufstieg
orchestriert wurde. Seinen Vorgänger als ÖVP-Chef, [3][Reinhold
Mitterlehner], hat er einst als „Arsch“ apostrophiert, seinen Adlatus
Thomas Schmid fragte er, ob man gegen einen populären Plan der Regierung,
die er zu sprengen gedachte, nicht „ein Bundesland aufhetzen“ könne. Die
Einschüchterung eines kritischen Kirchenmannes fand er „super!“ Manche der
SMS-Nachrichten, „die ich im Eifer des Gefechts geschrieben habe“, würde er
„klarerweise nicht nochmal so formulieren, aber ich bin eben auch nur ein
Mensch“, erklärte Kurz dazu.
Am kommenden Dienstag tritt in Wien der Nationalrat zu einer Sondersitzung
zusammen, einberufen von der Opposition aus SPÖ, FPÖ und Neos, die auch
einen Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz als Kanzler einbringen
wollten. Die Grünen, derzeit Koalitionspartner der ÖVP, hatten angedeutet,
sie würden diesen unterstützen. Vizekanzler [4][Werner Kogler] hatte Kurz
angesichts der strafrechtlichen Ermittlungen die Amtsfähigkeit abgesprochen
und eine „untadelige Person“ als Partner in der Regierung verlangt. Damit
wäre Kurz zum zweiten Mal innerhalb von weniger als zweieinhalb Jahren vom
Parlament abberufen.
Mit dem „Tritt zur Seite“ hat Kurz die Krise entschärft und seine Macht
gerettet. Die Vertrauensbasis in der Koalition ist dennoch erschüttert. Und
die Opposition gibt sich nicht zufrieden, denn das „System Kurz“ sei intakt
geblieben.
## Aufstieg und Fall des Sebastian K. Ein Drama in fünf Akten
Protagonisten :
Sebastian K., Königsmörder, derzeit Fraktionsvorsitzender
Thomas Schmid, Intimus desselben, derzeit Privatier
Wolfgang Fellner, Zeitungsherausgeber
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
In den Nebenrollen:
Heinz-Christian Strache, ehemaliger Vizekanzler, derzeit Privatier
Reinhold Mitterlehner, ehemaliger Vizekanzler, derzeit Privatier
Johannes Frischmann, Gerhard Fleischmann, Stefan Steiner, August Wöginger,
Mitglieder der Prätorianergarde des Sebastian K.
Alma Zadić, Justizministerin
Christian Pilnacek, hoher Beamter im Justizministerium, derzeit suspendiert
## Vorspiel:
Aus dem Geilomobil ins Innenministerium
2010 ist Wahlkampf in Wien. Der damals 24-jährige Chef der Jungen ÖVP (JVP)
kurvt mit einem schwarzen SUV, Geilomobil genannt, durch die Straßen der
Bundeshauptstadt und versucht seine Altersgenossen zu überzeugen, dass sie
ihr Kreuzchen bei den Konservativen machen sollten. Als Anreiz verteilt er
schwarze Kondome. Die Kampagne ist nur mäßig erfolgreich: Die Wiener ÖVP
sackt gegenüber 2005 um 5 Prozentpunkte ab. Bürgermeister Michael Häupl
(SPÖ) schließt eine Koalition mit den Grünen.
Im Bund regiert zu diesem Zeitpunkt eine große Koalition unter [5][Werner
Faymann] (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP). Dieser holt 2011
den 25-Jährigen Kurz als Staatssekretär für Integration in die Regierung.
Sein selbstsicheres Auftreten, seine konservative Einstellung und sein
Selbstvermarktungstalent qualifizieren ihn für eine Karriere in der großen
Politik. Der Jung-ÖVPler entpuppt sich als begnadeter Selbstdarsteller. Die
Medien liegen ihm bald zu Füßen.
Zwei Jahre und eine Wahl später wird aus dem ehrgeizigen Staatssekretär der
jüngste Außenminister der Welt. Mangelnde außenpolitische Erfahrung macht
ein Beraterstab aus Diplomaten wett, der ihn auf Schritt und Tritt
begleitet, darunter ein gewisser Alexander Schallenberg. Kurz’ Stunde
schlägt während der Flüchtlingskrise 2015, als er erkennt, welche Ängste
diese bei Teilen der Bevölkerung auslöst. Als Kontrapunkt zu Angela Merkels
Politik setzt er auf Abschottung. „Ich habe die Balkan-Route geschlossen“,
sollte einer seiner griffigsten Wahlkampfslogans werden.
## Erster Akt: „Projekt Ballhausplatz“
Szene 1: Die Verschwörer
Frühjahr 2016: Junge, schlanke Männer in weißen Hemden mit offenen Krägen
sitzen in einem Hinterzimmer an einem Tisch beisammen. Es sind nicht Zeugen
Jehovas, sondern Sebastian Kurz und seine Prätorianergarde. Die meisten
kennen sich von der Jugendorganisation der Partei JVP. Sie arbeiten an der
Zukunft Österreichs, genauer gesagt an der Machtübernahme – zuerst in der
ÖVP, dann in Österreich.
Der ÖVP-Vizekanzler heißt inzwischen Reinhold Mitterlehner und ist aus der
Sicht der Verschwörer ein Langweiler. Die jungen Männer hecken einen Plan
aus, der ihren Anführer möglichst schnell ins Bundeskanzleramt am Wiener
Ballhausplatz bringen soll. Die Voraussetzungen sind gut, denn die große
Koalition ist unpopulär. Als im Frühjahr 2016 der SPÖ-Chef Werner Faymann
abgesägt wird und der dynamische [6][Christian Kern] frischen Wind in die
Regierung bringt, ist bei den Verschwörern Feuer unterm Dach. Das „Projekt
Ballhausplatz“ muss beschleunigt werden. Dass die Regierung jetzt populäre
Maßnahmen wie eine flächendeckende Nachmittagsbetreuung für
Kindergartenkinder plant, kommt bei den Verschwörern gar nicht gut an.
Die folgenden Zitate von 2017 sind kein Produkt der Dichtung, sondern so
gefallen und jüngst bekannt geworden. Auftritt Thomas Schmid, damals
Generalsekretär im Finanzministerium. Er alarmiert seinen Freund Kurz,
damals Außenminister: „Wir müssen bei Banken aufpassen, die wollen das am
Montag weiter besprechen und entscheiden – HBK und HVK (Anm.: Herr
Bundeskanzler und Herr Vizekanzler) und Mahrer (Harald Mahrer, Chef der
Österreichischen Wirtschaftskammer) und Co! Ziel – 1,2 Mrd. für
Nachmittagsbetreuung mit Rechtsanspruch und Vereinbarungen Bund, Gemeinden
ohne Länder! Mega Sprengstoff!“
Kurz antwortet umgehend: „Gar nicht gut!!! Wie kannst du das aufhalten?“
Wenig später hat er einen Einfall: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“
Schmid: „Das sollten wir – wir schicken deinen Leuten heute auch noch die
Infos“.
Kurz: „Danke“
Schmid: „Wenn Mitterlehner das macht – 1,2 Mrd. für Kern mit einem
Nachgeben bei allen Bildungspunkten, wäre das irre“
Tatsächlich hat die ÖVP bildungspolitische Initiativen der SPÖ über
Jahrzehnte abgeblockt. Eine Konsenspolitik mit der SPÖ hätte das Bild von
der ÖVP als Betonwand gegen eine fortschrittliche Familienpolitik ins
Wanken gebracht und Mitterlehner wohl populärer gemacht. Den Verschwörern
kann das nicht recht sein.
## Szene 2: Der Medienmogul
Von den Wiener Redaktionsräumen der Tageszeitung Österreich kann man auf
den Naschmarkt hinunterblicken, wo das multikulturelle Wien blüht, und auf
die vergoldete Blätterkuppel der Sezession, der einst von Gustav Klimt
mitbegründeten Heimat der Jugendstil-Avantgarde, denen die Akademie der
Bildenden Künste zu starr und zu muffig war. Österreich ist ein buntes
Gratisblatt, „die einzige Gratiszeitung, die man auch kaufen kann“, wie es
der Kabarettist Florian Scheuba so schön doppeldeutig formuliert hat. Das
Blatt gehört den Gebrüdern Wolfgang (geb. 1954) und Helmuth (geb. 1956)
Fellner. Österreich ist ein Produkt des frühen 21. Jahrhunderts. Das
Erfolgsrezept: Günstige Berichterstattung gegen Inserate. Das
Recherchemagazin Dossier hat 2019 dokumentiert, wie die Fellners arbeiten:
„Egal ob im Politik- oder Wirtschaftsressort, bei Österreich gibt es zu
Inseraten gefällige Berichte dazu. Interne E-Mails zeigen, dass in Fellners
Medien ein Prinzip herrscht: Sie buchen, wir schreiben. Werbung wird als
Journalismus getarnt und verkauft, Menschen getäuscht und damit gegen das
Gesetz verstoßen. Das beginnt bei Österreich ganz oben. Wolfgang Fellner
veranlasst höchstpersönlich Serien redaktioneller Berichte über große
Werbekunden.“
Was passiert, wenn man nicht mitspielt, weiß die ehemalige Außenministerin
[7][Karin Kneissl] zu berichten. Nominiert von der FPÖ, übernimmt sie 2017
das Ministerium von Sebastian Kurz. Dort findet sie einen Werbeetat von 1,8
Millionen Euro vor. Sie fragt sich, wofür das Außenministerium Inserate
schalten müsse und widmet 80 Prozent dieses Budgets um.
Als erste Warnungen ungehört bleiben, folgt die Rache der Fellners. Da
heißt es bald „Kneissl muss weg.“ Und als sie erkrankt, fragt Österreich:
„Ist sie schon tot?“ Die Ministerin fühlt sich an Mafiamethoden der 1930er
Jahre in Chicago erinnert. Kneissl in Dossier: „Also entweder du zahlst
oder wir fackeln den Laden ab – so ungefähr ist mir das vorgekommen. Und
ich habe gesagt, ich zahle keine Schutzgelder.“ Fellner versteht da keinen
Spaß, wie seine Kommentare verraten: „Karin Kneissl wirkt zu Beginn schräg,
wirr, teilweise ahnungslos im Politgeschäft. Ein Risiko.“
## Zweiter Akt: Der Königsmord
Frühjahr 2017: Die Verschwörer sitzen nicht in einem Hinterzimmer, sie
verkehren meist über SMS und Whatsapp. Sie sind in strategischen Positionen
verankert und können ihre Sabotagearbeit gegen ÖVP-Chef Mitterlehner und
die Regierung unter Christian Kern von innen leisten. Dem ehrgeizigen
Tiroler Juristen Thomas Schmid, der gerne mit Sebastian Kurz wandern geht,
kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Als Generalsekretär im
Finanzministerium kann er Minister Hartwig Löger, einen Quereinsteiger ohne
Seilschaft in der ÖVP, manipulieren. Und er sitzt am Geldhahn.
Die Umfragewerte für ÖVP-Chef Mitterlehner sind trotz des Neustarts der
Regierung schlecht, die des SPÖ-Kanzlers steigen. Kurz’ Prätorianergarde
reicht das nicht. Sie wollen deutlicher zeigen, dass Mitterlehner keine
Zukunft hat, während ihr Idol der Mann der Stunde ist. So entsteht die
Idee, Umfragen zu frisieren.
Mit Sophie Karmasin sitzt die Leiterin eines renommierten Umfrageinstituts
in der Regierung. Auf Drängen von Kurz, so legen es die Chat-Verläufe nahe,
hat sie ihre Teilhaberin Sabine Beinschab angewiesen, entsprechende
Umfragen herzustellen und in die Medien zu bringen. Bei Österreich stößt
man auf offene Ohren, schließlich werden Inserate des Finanzministeriums
für mehr als eine Million Euro in Aussicht gestellt.
Bald kann Schmid an Kurz melden, dass die frisierte Umfrage fertig ist: „VP
18, SP 26 und FP 35 laut Beinschab“
Kurz: „Danke Dir! Gute Umfrage, gute Umfrage“, antwortet der Außenminister
angesichts der für seine Partei desaströsen Werte.
Schmid: „Umfrage erscheint morgen.
Kurz: „Super danke“
Jetzt muss das Elaborat nur noch an die Öffentlichkeit. Schmid wendet sich
an Helmuth Fellner, der für die Finanzen bei Österreich zuständig ist:
„Lieber Helmuth, wie besprochen kommen heute die Umfragedaten. Wir schicken
sie dir und deinem Bruder. LG Thomas.“
Helmuth Fellner: „Danke für den Einsatz! Super! Sogar Titelseite! LG
Helmuth“
Schmid: „Super cool! Freue mich auf unser Treffen!“
Auch die anfangs zögerliche Sophie Karmasin zeigt sich in einem Chat an
Thomas Schmid zufrieden: „Das hat gut geklappt, hast schon gesehen?“
Weitere bestellte Umfragen bescheinigen Sebastian Kurz, dass die ÖVP unter
seiner Führung zu neuen Höhen aufsteigen würde, unter Mitterlehner jedoch
zum Untergang verdammt wäre.
Mitterlehner riecht mittlerweile den Braten, zumal Außenminister Kurz nicht
nur im Ausland, sondern auch verdächtig oft in den Bundesländern unterwegs
ist. Er trifft sich dort vor allem mit parteinahen Wirtschaftstreibenden
und sammelt Spenden für seinen bevorstehenden Wahlkampf.
Thomas Schmid warnt Kurz: „Mitterlehner dreht durch. Droht dem
Finanzminister, ihn rauszuwerfen. Spioniert dir in Tirol nach und erkundigt
sich, welche Wirtschaftsrunden du dort machst – er hat dort nachgefragt. Es
wird immer unerträglicher. LG t“
Bald darauf wirft Mitterlehner entnervt das Handtuch, Thomas Schmid freut
sich: „Mitterlehner ist dead like a dodo“. Sebastian Kurz lässt sich von
den traditionell starken Bünden und Landeshauptmännern mit Vollmachten
ausstatten, wie sie kein ÖVP-Chef zuvor gehabt hat. Triumphal wird er zum
Parteichef gewählt. Mitterlehner arbeitet seine Demütigung in einem Buch
auf. Thomas Schmid freut sich darüber nicht: „Mitterlehner ist ein
Linksdilettant und ein riesen Oasch!!! Ich hasse ihn Bussi Thomas.“ Kurz
beruhigt: „Danke Thomas super war dass Spindi (Ex-Vizekanzler Michael
Spindelegger) heute ausgerückt ist. Das stört den Arsch sicher am meisten
…“
## Dritter Akt: Ibiza
Eine elegante Villa auf der Baleareninsel Ibiza im Juli 2017. FPÖ-Chef
Heinz-[8][Christian Strache] sitzt mit seinem Vertrauten Johann Gudenus,
Vizebürgermeister von Wien, dessen Frau Tajana, dem Detektiv Julian
Hessenthaler und einer Frau namens Alyona Makarov, die sich als
russisch-lettische Oligarchennichte ausgibt, auf einer Terrasse und
vernichten Red-Bull-Wodka. Strache will gerne mit Sebastian Kurz in eine
Regierung und braucht Geld für den Wahlkampf. Gudenus ist ein schlagender
Burschenschafter mit Couleurnamen Wotan, der vom Dokumentationsarchiv des
Österreichischen Widerstandes als Mann mit rechtsextremen Verbindungen
geführt wird. Er fungiert als Dolmetscher. Strache macht der vermeintlichen
Investorin Vorschläge, wie man Parteispenden am Rechnungshof
vorbeischleusen könnte, regt sie an, die auflagenstarke Kronen-Zeitung zu
kaufen, wo man dann „Zackzackzack“ unbotmäßige Journalisten feuern und
willfährige Schreiberlinge einstellen solle. Er wünscht sich eine
Medienszene „wie beim Orbán“ in Ungarn.
Was Strache und Gudenus nicht wissen: Die angebliche Oligarchin ist ein
Lockvogel und der feuchtfröhliche Abend wird heimlich aufgezeichnet. Knappe
zwei Jahre später – Strache ist inzwischen Vizekanzler in einer Regierung
mit Sebastian Kurz – kommt das Video an die Öffentlichkeit, Strache muss
zurücktreten, die Regierung platzt.
## Vierter Akt: Handy mit 300.000 Nachrichten
November 2019: Die Privatwohnung von Thomas Schmid, Chef der ÖBAG,
staatliche Holding für die Beteiligungen an großen Wirtschaftsunternehmen
wie Novomatic, Post und dem Mineralölkonzern OMV. Polizisten klopfen an die
Tür, legen einen Durchsuchungsbeschluss vor und durchwühlen seinen
Schreibtisch. Sein Handy und andere Datenträger werden eingezogen. Thomas
Schmid wird bleich und erleidet einen Schwächeanfall. Ihm schwant, was
kommen könnte.
Rückblick auf Ibiza: Strache hat als mögliche Sponsoren mehrere
Großindustrielle und Immobilienmagnaten genannt. Großzügig verhalte sich
auch der teilstaatliche Glücksspielkonzern Novomatic. „Novomatic zahlt
alle!“, hatte Strache schwadroniert. Während die meisten von Straches
vollmundigen Prahlereien strafrechtlich nicht relevant sein dürften, ruft
die Bemerkung über Novomatic die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf den Plan. Sie beginnt zu
ermitteln, mit welchen Gegenleistungen ein Projekt für eine
Novomatic-freundliche Reform des Glücksspielgesetzes erkauft worden sein
könnte. Dabei stößt sie auf Thomas Schmid. Zwar hat er sein Handy kurz vor
Eintreffen der Polizei noch auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und damit
sämtliche Fotos und Chatverläufe gelöscht, doch gelingt es den Ermittlern,
die verschwundenen Daten zurückzuholen. Das Justizministerium, inzwischen
von der Grünen Alma Zadić geleitet, lässt die Korruptionsermittler
arbeiten. Der starke Mann im Ministerium, Christian Pilnacek, der früher
Untersuchungen gegen die ÖVP nach Tunlichkeit gestoppt hat, ist suspendiert
und wartet auf einen Prozess. Von den annähernd 300.000 SMS und
Whatsapp-Nachrichten haben die Staatsanwälte zwar erst ein Drittel
aufgearbeitet, doch die Inhalte sind so brisant, dass Schmid als Chef der
ÖBAG zurücktreten muss.
Sein SMS-Verkehr mit Kurz und dessen Vertrauten legen nahe, dass er sich
die Ausschreibung für den Posten selbst zurechtgezimmert hat. Andere Chats
legen seinen Charakter offen. So klagt er nach Verlust seines
Diplomatenpasses im neuen Job, dass er nun „wie der Pöbel“ reisen müsse.
Auch die jüngsten Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im
Bundeskanzleramt gehen auf Chatverläufe aus Schmids Handy zurück.
## Fünfter Akt: Der Stern beginnt zu sinken
7. Oktober 2021: Donnerstagabend vor der ÖVP-Zentrale in der Wiener
Lichtenfelsgasse. Demonstranten schwenken Fahnen und Transparente. Sie
skandieren: „Kurz muss weg!“ Am Vortag haben Ermittler die Büros der ÖVP,
des Bundeskanzleramts und mehrerer Kurz-Vertrauter durchsucht und
Datenträger beschlagnahmt. Kurz und zehn weitere Personen aus seinem Umfeld
werden als Beschuldigte geführt. Es geht um Untreue, Bestechung und
Anstiftung zur Bestechung. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu zehn
Jahre Haft.
Die Grünen setzen dem Koalitionspartner das Messer an. Sie wollen nur mit
einer „untadeligen Person“ weiterregieren. Kurz vergattert darauf Bünde,
Landeshauptleute, Minister und Abgeordnete, ihm schriftlich ihre
unverbrüchliche Treue zu versichern. Eine Regierung mit der ÖVP werde es
nur mit Kurz als Kanzler geben. Neue Chats werden publik, die den Charakter
der Kurz-Seilschaft offenlegen. Es wächst der Druck aus der eigenen Partei.
Nach 35 Jahren an der Regierung will man nicht die Macht verlieren.
9. Oktober, beste Sendezeit: Auftritt Kurz: Es ist alles anders. Er trete
zur Seite, bis sich die „falschen strafrechtlichen Vorwürfe“ in Luft
aufgelöst hätten. In der Parteizentrale feiert man den genialen Schachzug
und bereitet sich auf die triumphale Rückkehr des Helden bei baldigen
Neuwahlen vor.
## Vorhang.
Epilog:
Abgeordnete genießen, anders als der Bundeskanzler, Immunität vor
Strafverfolgung. Ob die ÖVP ihre Zusage wahrmacht, Kurz diese Immunität zu
entziehen, damit er vor Gericht seine Unschuld nachweisen kann, wird sich
erst in des Dramas zweitem Teil weisen. Dieser wird erst in den kommenden
Monaten geschrieben.
10 Oct 2021
## LINKS
[1] /Oesterreichs-Kanzler-Kurz-schmeisst-hin/!5807536
[2] https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_05430/index.shtml
[3] /Oesterreichischer-Vizekanzler-tritt-zurueck/!5408634
[4] /Neue-Koalition-in-Oesterreich/!5653270
[5] /Ruecktritt-des-oesterreichischen-Kanzlers/!5299439
[6] /Oesterreichs-Bundeskanzler-Christian-Kern/!5428784
[7] /Oesterreichs-fruehere-Aussenministerin/!5681577
[8] /Ibiza-Affaere-in-Oesterreich/!5796763
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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