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# taz.de -- Agrarministerin Julia Klöckner: Große Klappe, nichts dahinter
> Julia Klöckner war bislang eine schlagfertige Bundesagrarministerin, die
> gekonnt Kritiker lächerlich machte. Aber erreicht hat sie fast nichts.
Bild: Tierwohl, echt? Julia Klöckner streichelt Schaf
Eines hat Julia Klöckner als Bundesagrarministerin bewiesen: Die
CDU-Politikerin kann ihre Gegner sehr schlagfertig beschimpfen und
lächerlich machen. Das musste zum Beispiel der grüne
Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt bei der Eröffnungsfeier der
Agrarmesse „Grüne Woche“ 2020 erfahren, als er wagte, sich dort für mehr
Umwelt- und Tierschutz auszusprechen. Vor Hunderten EU-Kommissaren,
Ministern und Branchenvertretern „dankte“ Klöckner ihrem Vorredner
Behrendt, dass er „hier vor allen Dingen die [1][Sicht des Prenzlauer
Bergs] eingebracht hat“. Das sei interessant, „aber Deutschland ist
natürlich mehr als der Prenzlauer Berg“. Die Agrarlobbyisten im Publikum
johlten.
Doch ihrem angeblichen Ziel, das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und dem
Rest der Gesellschaft zu verbessern, schadete diese Spitze. Genauso wie
Klöckners zigfach wiederholtes Schimpfen auf die „80 Millionen
Hobby-Agrarwissenschaftler in Deutschland“, die den Bauern sagen würden,
was sie zu tun hätten.
Mit solcher Polemik kanzelte Klöckner während ihrer ersten, nach vier
Jahren nun endenden Amtszeit berechtigte Kritik ab. Zum Beispiel, dass die
Landwirtschaft 2020 laut Umweltbundesamt r[2][und 13 Prozent] der
Treibhausgasemissionen in Deutschland verursachte. Dass Tiere in deutschen
Ställen oft unter qualvollen Bedingungen gehalten werden. Dass potenziell
gesundheitsschädliches Nitrat vor allem aus Düngern das Grundwasser
belastet, aus dem das meiste Trinkwasser gewonnen wird. Und dass Landwirte
etwa mit Pestiziden maßgeblich zum Aussterben von immer mehr Pflanzen- und
Tierarten beitragen.
Bei den wichtigsten Themen ihres Ministeriums hat Klöckner nichts oder kaum
etwas erreicht. Und das Wahlprogramm ihrer CDU deutet darauf hin, dass die
Partei auch nach der Bundestagswahl am 26. September möglichst wenig
verändern will.
## Emissionen kaum gesunken
Unter ihren angeblichen Erfolgen zählt Klöckner in einer Liste für die taz
auf: „In Deutschland hat der Agrarsektor seine Ziele bei der CO2-Reduktion
voriges Jahr übererfüllt – seit 1990 wurden die Treibhausgasemissionen um
rund 24 Prozent reduziert.“ Doch der Rückgang seit 1990 liegt hauptsächlich
daran, dass nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland viele Betriebe
ihre Tierhaltung aufgaben. Seit ungefähr 2006 dagegen sind die
[3][Emissionen kaum gesunken], der [4][Anteil der Landwirtschaft] am
gesamten Ausstoß Deutschlands dagegen stieg, weil die anderen Sektoren sehr
wohl reduzierten.
Auch in Sachen Tierschutz waren die Klöckner-Jahre verlorene Jahre. Im März
2020 wurden dem Statistischen Bundesamt zufolge 79 Prozent der Schweine in
Ställen mit Vollspaltenböden gehalten, also auf Betonböden mit Löchern,
durch die die Fäkalien fallen. Die Tiere müssen ständig über ihrer Gülle
stehen, an den Betonkanten können sie sich leicht verletzen. Auslauf
bekommen sie nie.
## Einzelkäfige für Sauen bleiben legal
Auf Betreiben Klöckners legalisierte das Parlament die weit verbreiteten,
aber laut Bundesverwaltungsgericht zu engen Einzelkäfige für Sauen für
weitere 10 Jahre. Diese „[5][Kastenstände]“ sind ungefähr so groß wie das
Schwein. Es kann sich nicht umdrehen und sich nur langsam hinlegen.
Klöckner rechnet sich in erster Linie als Erfolg an, dass der Bundestag das
[6][Töten männlicher Küken], die keine Eier legen und zu wenig Fleisch
ansetzen, kurz nach dem Schlüpfen verboten hat. Doch das ist nur ein sehr
kleiner Teil der Tierhaltungsprobleme in Deutschland.
Kontakt zum Außenklima und Auslauf – das wären echte Fortschritte.
Vorschreiben wollte Klöckner so etwas nicht. Stattdessen setzte sie fast
alles auf den von ihrem CSU-Vorgänger übernommenen Plan eines staatlichen
„[7][Tierwohlkennzeichens]“ für Fleisch, bei dessen Erzeugung höhere als
die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten wurden. Doch die
Anforderungen an die Schweinehalter waren skandalös niedrig.
## Ausnahmen aus wirtschaftlichen Gründen möglich
Zum Beispiel sollte die Einstiegsstufe des Labels weiter erlauben,
Schweinen einen Großteil des Schwanzes abzuschneiden – obwohl die EU das
schon lange verboten hat. Und da es nur freiwillig sein sollte, hätten die
Verbraucher Fleisch aus schlechter Haltung nicht erkennen können. Deshalb
legte Koalitionspartnerin SPD ihr Veto ein. Erst nachdem der
[8][Europäische Gerichtshof] Deutschland wegen zu viel Nitrat im
Grundwasser verurteilt hatte, sorgte Klöckner für neue Regeln gegen
Überdüngung. Aber ihre Düngeverordnung enthält etliche Schlupflöcher, die
EU-Kommission hat schon erklärt, dass sie mit der Umsetzung nicht zufrieden
sei.
Auch das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ bringt kaum Fortschritte. Es
schränkt den Pestizideinsatz nur auf weniger als 10 Prozent der Agrarfläche
und lediglich gering ein. Für den Anbau von Gemüse und Wein etwa gilt es
überhaupt nicht. Selbst bei den anderen Pflanzen sind Ausnahmen aus
wirtschaftlichen Gründen möglich. Hatte Klöckner erst gesagt, „w[9][as der
Biene schadet, muss weg vom Markt]“, ermöglichte sie später immer wieder
„Notfallzulassungen“ aus der Gruppe der Neonikotinoide, obwohl die EU sie
schon verboten hatte.
## Zu viel Zucker und Fett
Besonders großspurig pries Klöckner die Reform der EU-Agrarsubventionen an,
an der sie maßgeblich beteiligt war. Sie ist mit 60 Milliarden Euro pro
Jahr die größte Stellschraube in der Landwirtschaft der Europäischen Union.
Hier will die Ministerin einen „Systemwechsel“ erreicht haben. „Künftig
wird jeder Euro Förderung an Auflagen für Umwelt- und Klimaschutz
gekoppelt.“ Das war bisher auch schon so, nur sind die Bedingungen sehr
schwach: Im Wesentlichen müssen die Bauern einfach die geltenden
Umweltgesetze einhalten. Eine Selbstverständlichkeit.
Die Ministerin lobt sich zudem dafür, dass sie die Lebensmittelindustrie
darauf verpflichtet habe, Zucker, Salz und Fette in Fertigprodukten zu
reduzieren. Gesund sind zum Beispiel die meisten speziell an Kinder
vermarkteten Lebensmittel aber immer noch nicht, [10][wie eine Marktstudie
der Organisation Foodwatch kürzlich zeigte]. Gut ist, dass Klöckner im
Herbst 2020 die farbige Nährwertkennzeichnung Nutri-Score eingeführt hat.
Aber im Vergleich zu Frankreich und Belgien etwa war sie sehr spät mit
diesem für die Hersteller freiwilligen System dran.
## Erfolge minimal
Werbeverbote für ungesunde Kinderlebensmittel, verbindliche Vorgaben für
den Zuckeranteil und eine Zuckersteuer will Klöckner erst gar nicht. Dabei
sind über die Hälfte der Erwachsenen hierzulande übergewichtig. Klöckners
Erfolge sind also minimal. Sie hat kaum etwas verändert an den
Umweltschäden durch die Landwirtschaft und der grassierenden
Fehl-Ernährung. Damit hat sie die Mission erfüllt, die ihr die Wähler von
CDU und CSU gegeben hatten. Das Wahlprogramm dieser Parteien sah eben keine
Agrar- und Ernährungswende vor, sondern vor allem ein „Weiter so“.
CDU und CSU treten auch bei dieser Bundestagswahl mit einem Programm an,
das keine wesentliche Veränderung verspricht. Die Parteien betonen die
angeblichen Leistungen der Landwirtschaft für Artenvielfalt und
Klimaschutz. Aber die Probleme, die sie verursacht, benennen die
Konservativen nicht. Stattdessen heißt es vage: „Natur-, Klima-, Arten- und
Moorschutzleistungen werden wir durch Kooperationen und Anreize fördern.“
An sich ja sinnvoll. Aber da konkrete Angaben zu Umfang und Art dieser
Förderung fehlen, kann sich niemand auf solche Versprechen verlassen. Viel
klarer spricht sich die Union dagegen dafür aus, Pflanzen der neuen
Gentechnik leichter zuzulassen.
## Schwach im Vergleich zu Grünen und Linken
Besonders schwach wirkt das Unionsprogramm, wenn man es mit denen der
Grünen oder der Linken vergleicht. Die Grünen, die dem Thema am meisten
Platz widmen, wollen das am meisten gebrauchte Pestizid, Glyphosat, sofort
verbieten und den Einsatz von Ackergiften allgemein reduzieren. Dafür
planen sie eine Abgabe auf Pestizide. In Natur- und
Trinkwasserschutzgebieten sollen solche Chemikalien nicht mehr benutzt
werden dürfen. Dafür bekämen die betroffenen Betriebe einen finanziellen
Ausgleich.
Es sollen weniger Tiere in Deutschland gehalten werden, um den
Treibhausgasausstoß zu senken. Sie sind gegen Amputationen und Haltung von
Tieren in Käfigen. Ein Tierschutzcent auf tierische Lebensmittel soll den
tierfreundlichen Umbau von Ställen finanzieren. Der Konsum von Fleisch und
Milch soll sinken.
Klöckner und die Union würden all das gern verhindern. Klöckner kandidiert
in ihrem Heimatwahlkreis Kreuznach in Rheinland-Pfalz für den Bundestag.
Sollte Armin Laschet Kanzler werden und wie angekündigt die Hälfte der
Unionsministerposten mit Frauen besetzen, hätte die Vizevorsitzende der CDU
sogar Chancen auf einen Platz im Kabinett. Aber die WählerInnen könnten sie
ja noch stoppen.
Hinweis der Redaktion, 08.09.21: In einer früheren Version dieses Artikels
war das Budget für die EU-Agrarsubventionen falsch beziffert. Wir haben das
korrigiert.
7 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=xpv6RWf5bTs
[2] https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/landwirtschaft-u…
[3] https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landw…
[4] https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltindikatoren/indikator-emission-v…
[5] /Bundesratsbeschluss-zu-Schweinekaefigen/!5698088
[6] /Industrielle-Tierhaltung-in-Deutschland/!5773849
[7] /Freiwillige-Kennzeichnung-von-Fleisch/!5765708
[8] /Nitrat-im-Grundwasser/!5515010
[9] https://www.cducsu.de/themen/verkehr-umwelt-bau-ernaehrung-und-landwirtscha…
[10] /Studie-zu-Lebensmitteln-fuer-Kinder/!5791492
## AUTOREN
Jost Maurin
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