# taz.de -- Klima und Ernährung: Wie Gott in Frankreich | |
> Der Berliner Ernährungsrat findet Anregungen für eine klimagerechte | |
> Lebensmittelproduktion in Paris. Die Stadt könnte damit Vorbild für | |
> Berlin sein. | |
Bild: Rucola könnte auch an Berliner Hausfassaden wachsen | |
BERLIN taz | Paris und nicht mehr Kopenhagen könnte das nächste Vorbild für | |
die Ernährungswende in Berlin sein. In seinem neuen Buch „[1][Berlin isst | |
anders. Ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg]“, das der Berliner | |
Ernährungsrat am Mittwoch vorstellte, wird die französische Hauptstadt als | |
beispielgebend für eine klimagerechte Lebensmittelproduktion in der Stadt | |
gefeiert. | |
So hat die [2][Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo] in ihrem Klimakonzept | |
durchgesetzt, dass 100 Hektar Dächer und Fassaden in der Metropole mit Grün | |
bepflanzt werden, wovon 30 Prozent der Produktion von Obst und Gemüse | |
dienen sollen. „So etwas wünschen wir uns auch von Berlin“, erklärte die | |
Sprecherin des Berliner Ernährungsrates, Susanne Salzgeber. Die | |
zivilgesellschaftliche Gruppierung besteht seit 2016 und gibt seitdem | |
Impulse für eine „Ernährungswende“ auch in den politischen Bereich hinein. | |
Ein Erfolg in der letzten Legislaturperiode war etwa die Einrichtung eines | |
„[3][House of Food]“ nach Kopenhagener Vorbild, das als „Kantine Zukunft�… | |
damit begonnen hat, die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung in Berlin auf | |
Biokost umzustellen. | |
Ansonsten zeigte sich der Ernährungsrat nur bedingt zufrieden mit der | |
Ernährungspolitik des Berliner Senats, die in den letzten fünf Jahren von | |
Dirk Behrendt (Grüne), Senator für Justiz und Verbraucherschutz, | |
verantwortet wurde. [4][Dessen „Aktionsplan“ sei „nicht weitreichend genu… | |
gewesen]; es fehle an einer „klaren politischen Vision“, und die | |
Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft seien nicht | |
ausreichend. | |
## Ernährungspolitik sollte Chef*innensache sein | |
Vom künftigen Senat fordert der Ernährungsrat eine Ansiedlung der | |
Ernährungspolitik direkt in der Senatskanzlei beim Regierenden | |
Bürgermeister/in. So habe [5][Berlin zwar den „Klimanotstand“ ausgerufen], | |
aber in dem vorgelegten Maßnahmeplan zum Klimaschutz sei das Thema | |
Ernährung „komplett ignoriert“ worden, kritisiert der Ernährungsrat. | |
Dabei sei längst bekannt, dass mindestens ein Viertel des atmosphärischen | |
Treibhauseffekts durch Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Verzehr | |
verursacht werden, bestätigte Agrar-Professor Harald Grethe von der | |
Humboldt-Universität Berlin. Von wissenschaftlicher Seite sei das Problem | |
in vielen Studien längst aufgearbeitet, sagte er. „Es fehlt noch der | |
gesellschaftliche Druck auf die Politik“, befand der Wissenschaftler, um | |
die Strukturen, etwa der EU-Agrarpolitik, in Richtung Nachhaltigkeit zu | |
ändern. | |
Sabine Werth, die Leiterin und Gründerin der [6][Berliner Tafel], stellte | |
beim Thema Lebensmittelverschwendung eine erste Kurskorrektur des Handels | |
fest. Beim Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums werde die Ware jetzt | |
zunächst preisreduziert, statt sofort im Müll zu landen, berichtete Werth. | |
„Aber wir bekommen für unsere 46 Ausgabestellen in Berlin noch immer viel | |
zugeliefert.“ | |
Das Buch des Ernährungsrates gibt auf 224 Seiten eine Bestandsaufnahme, was | |
die Hauptstädter so alles essen und trinken und wie sich die Stadt künftig | |
„klimafreundlich und sozial gerecht“ ernähren kann. „Berlin hat das | |
Potenzial, zu einem Zentrum der Ernährungswende zu werden“, sagte | |
Sprecherin Salzgeber. „Hier findet hochkarätige Forschung zu allen | |
relevanten Themen statt.“ | |
Zugleich arbeiteten viele Initiativen an der Basis bereits an der | |
praktischen Umsetzung. Gebraucht würden nun geeignete politische | |
Rahmenbedingungen, um mehr Wirkung zu erreichen. Als ein Ansatz wird dabei | |
die Einrichtung eines „Ernährungscampus“ im früheren Flughafen Tempelhof | |
angestrebt. Hier soll über die Ernährungswende nicht nur diskutiert werden, | |
sondern gesunde und klimagerechte Mahlzeiten sollen auch gekocht und | |
verzehrt werden können. | |
8 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://ernaehrungsrat-berlin.de/berlin-isst-anders/ | |
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[4] /Ernaehrungsstrategie/!5645880 | |
[5] /Klimanotstand-ausgerufen/!5786296 | |
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## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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