# taz.de -- Ernährungswende in Berlin: Gemeinsam besser essen | |
> Essen soll gesund sein, regional, klimaneutral und leicht verfügbar. Auch | |
> in Kantinen sollte das mehr beachtet werden, fordert der Ernährungsrat. | |
Bild: Eins der Berliner Projekte für besseres Essen: die Kantine Zukunft | |
BERLIN taz | In Berliner Küchen wird geschnippelt, gerührt und gebrutzelt | |
wie schon lange nicht mehr. Corona macht’s nötig, da Restaurants und | |
Kantinen im Shutdown bis auf Weiteres außer Betrieb gesetzt sind. | |
Mehr Kochen in eigener Regie – ist das schon die Ernährungswende? Nicht | |
unbedingt, meinen die Akteure, die in den vergangenen Jahren in Berlin | |
wichtige Marksteine für eine ökologische und kommunale Ernährungspolitik | |
gesetzt haben. Zu ihnen zählt neben Ernährungspolitikern in Senat und | |
Parlament auch der [1][Berliner Ernährungsrat,] eine zivilgesellschaftliche | |
Gruppierung, die 2016 von Berliner Bürgerinnen und Bürgern gegründet wurde | |
– mit dem Ziel, sich für eine bessere Versorgung mit gesunden Lebensmitteln | |
einsetzen zu wollen. | |
Das betrifft sowohl die Steigerung der Selbstversorgung durch den | |
Eigenanbau von Obst und Gemüse, die Einfuhr von mehr Bioprodukten aus dem | |
umliegenden Land Brandenburg (Stichwort: „Ernährungssouveränität“) wie a… | |
politische Rahmensetzungen wie etwa in der Schulverpflegung. | |
Ernährungsbildung in der jungen Generation oder die Verringerung der | |
Lebensmittelverschwendung sind weitere Ziele der zivilgesellschaftlichen | |
und basisdemokratischen Organisation. Der Ernährungsrat betont seine | |
politische Unabhängigkeit. Dennoch haben etliche seiner Vorschläge Eingang | |
in die praktische Senatspolitik gefunden, wie die Formulierung einer | |
Berliner „Ernährungsstrategie“. Mit zahlreichen Projekten will der Rat | |
zudem erreichen, dass auch im zweiten Coronajahr mehr umweltgerecht | |
hergestellte und regionale Lebensmittel auf die Hauptstadt-Teller gelangen. | |
Hoffnungen noch nicht erfüllt | |
Mit einer Aktionskonferenz unter dem Titel „Berlin ernährt sich klima- und | |
sozial gerecht im Jahr 2030“ hatte der Ernährungsrat im November eine | |
Kursbestimmung vorgenommen und neue Projekte für das Wahljahr 2021 | |
angeschoben. Tatsächlich hat sich Berlin unter dem R2G-Senat als eine der | |
ersten Städte in Deutschland verpflichtet, „ein gerechtes, dauerhaft | |
tragfähiges Ernährungssystem einzurichten“. | |
Zudem gilt seit Dezember 2019 in der Hauptstadt die „Klimanotlage“. Die | |
Bilanz des Ernährungsrates fällt aber eher kritisch aus: „Bei der Umsetzung | |
hapert es.“ | |
Frank Nadler vom Ernährungsrat dazu: „Wir haben jetzt die erste Legislatur | |
hinter uns, die sich mit der Ernährungsstrategie beschäftigt hat.“ Aber die | |
Hoffnungen seien bisher noch nicht erfüllt worden. Etwa der Wunsch nach | |
einem „Ernährungscampus“ als einem „gemeinsamen Ort, wo wir | |
Ernährungsdemokratie denken und umsetzen können“. | |
Gleichwohl wurde in den vergangene Jahren – mit vielen Senatsmillionen – | |
einiges angeschoben, was Berlin an die Spitze der kommmunalen Food-Reformer | |
gehievt hat. „Wir sind mit unserer Ernährungsstrategie dabei, dieses Thema | |
systematisch und ressortübergreifend anzugehen“, hebt | |
Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt von den Grünen hervor. | |
„Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Gemeinschaftsverpflegung, also | |
auf den Kantinen der Stadt.“ Das zentrale Projekt heißt „Kantine Zukunft�… | |
das die Köche der öffentlichen Kantinen dazu anleiten soll, mehr | |
Ökogerichte zu produzieren. | |
So sieht der Senatsplan vor, dass etwa in den Berliner Schulen – wenn dort | |
der Normalbetrieb wieder Einzug gehalten hat – ab diesem Jahr beim | |
kostenlosen Schulessen für die ersten bis sechsten Klassen zu 50 Prozent | |
Früchte und Milchprodukte in Bioqualität verwendet werden sollen. Im | |
letzten Jahr lag der Bioanteil noch unter 15 Prozent. | |
Die „Kantine Zukunft“, die ihre Lernküche in der Kreuzberger „Markthalle | |
Neun“ aufgebaut hat, arbeitet mit sieben Organisationen und 21 Küchen | |
zusammen, die ohne Coronabeschränkungen etwa 820.000 Mahlzeiten pro Jahr | |
zubereiten. Dazu zählen die Berliner Wasserbetriebe, die Stadtreinigung und | |
die BVG. | |
## „18 Ernährungsprojekte gefördert“ | |
Aber nicht genug: „Meine Senatsverwaltung hat im Jahr 2020 insgesamt 18 | |
Ernährungsprojekte gefördert, mit einem Volumen von mehr als 2 Millionen | |
Euro“, betont Behrendt. Im laufenden Jahr sowie im Jahr 2022 ist der | |
gleiche Betrag garantiert. | |
Auch der Ernährungsrat wird davon profitieren können. Angelaufen ist | |
bereits das Projekt „LebensMittelpunkte“ in Zusammenarbeit mit dem | |
Weddinger Ökotreffpunkt „Baumhaus“. Ziel ist es, im Kiez solche | |
Begegnungsorte zu schaffen, wo überschüssige Lebensmittel – etwa zur | |
Erntesaison in den Kleingärten – vorbeigebracht und gemeinsam zu Gerichten | |
verarbeitet werden können. Mehr Regionalität geht nicht. | |
Ein weiteres Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Berliner Tafel geplant. | |
In der Nähe zum Großmarkt in Moabit soll ein Schaugarten entstehen, in dem | |
Küchenabfälle mit Hilfe von Holzkohle so vererdet werden, dass sie | |
dauerhaft klimaschädliches CO2 im Boden binden. „Wir möchten die Methoden | |
nicht nur Kindern vermitteln, sondern möglichst viele Berliner*innen | |
zum Mitmachen auf ihrem eigenen Balkon bewegen“, erklärt Tafel-Sprecherin | |
Sabine Werth. Und eine weitere Gruppe schreibt an einem „Klimafreundlichen | |
Rezeptbuch für Berlin“, das die „Vielfalt an Perspektiven und Bedürfnissen | |
der Stadtbevölkerung“ widerspiegeln soll. | |
Die jungen Klimaprotestler von Fridays for Future engagieren sich für die | |
Zukunftsküche. „Wenn wir über Ernährung im Kontext der Klimakrise sprechen, | |
reicht es nicht, wenn alle ein bisschen mehr Bio kaufen“, sagte | |
Fridays-Sprecherin Julia Thöring bei der Aktionskonferenz: Sie ist sich | |
sicher: „Ohne drastische Emissionsminderungen im gesamten Ernährungssektor | |
und ohne eine Agrarpolitik, die den Schutz von Klima, Boden und | |
Biodiversität als höchste Priorität setzt, wird es keine Klimagerechtigkeit | |
geben.“ | |
Turgut Altug vertritt im Senat für die Grünen-Fraktion das Umweltthema und | |
hat in der letzten Legislaturperiode die Ernährungspolitik zentral | |
beeinflusst. Im September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus | |
gewählt, mit dem Erreichten ist er rückblickend zufrieden. „Ohne die Grünen | |
wären diese Erfolge nicht zustande gekommen“, bemerkt er gegenüber der taz, | |
schon ein bisschen im beginnenden Wahlkampfmodus. Etliche Forderungen des | |
Ernährungsrates, wie bezirkliche „LebensMittelPunkte“, haben auch Eingang | |
in das Wahlprogramm der Berliner Grünen gefunden. Auch ein „Food-Campus“ �… | |
mit starken Bildungsanteilen – soll entwickelt und die Zusammenarbeit mit | |
der Agrarpolitik in Brandenburg ebenfalls verstärkt werden. „Da muss noch | |
viel mehr passieren“, ist Altugs Meinung. | |
Ob sich auch andere politische Gruppierungen erreichen lassen, steht | |
freilich dahin. Im derzeitigen Senat jedenfalls haben die Grünen das | |
Ernährungsthema quasi allein „gepachtet“. Keineswegs absichtlich, aber SPD | |
und Linke haben sich für das Essenthema in den letzten vier Jahren | |
politisch nicht erwärmen können, und auch in ihren Wahlprogrammen bleiben | |
Food-Forderungen ausgespart. | |
Grünen-Politiker Altug will das Essen sowohl zum Bildungsthema machen und | |
auch die Gründerszene im Food-Handwerk fördern. „Hier gibt es viele Ideen, | |
die von unten nach oben wachsen“, sagt Altug. „Solche | |
Graswurzel-Aktivitäten sind für die politische Arbeit sehr wichtig.“ Von | |
daher wird die Zukunft der Berliner Ernährungspolitik stark von der | |
nächsten Koalitionsvereinbarung abhängen. Altug setzt dabei auch auf den | |
außerparlamentarischen Beistand. | |
8 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://ernaehrungsrat-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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