# taz.de -- Generaldebatte im Abgeordnetenhaus: Time to say Goodbye | |
> In der letzten Sitzung vor der Wahl herrscht Abschiedsstimmung im | |
> Parlament. Regierungschef Müller attackiert die neue AfD-Frontfrau. | |
Bild: Ein Bild als Erinnerung: Klaus Lederer (links), Ramona Pop und Michael M�… | |
BERLIN taz | Ein bisschen verloren steht SPDler Daniel Buchholz vor dem | |
Plenarsaal des Parlaments an einer Ausstellungswand. Es ist kurz vor zehn, | |
noch ein paar Minuten bis zum Beginn der Sitzung. Es ist die letzte des | |
Abgeordnetenhauses vor der Wahl – und für den 53-Jährigen die letzte im | |
Abgeordnetenhaus überhaupt, nach zwanzig Jahren als Parlamentarier. | |
Einige langjährige Abgeordnete scheiden aus, manche freiwillig wie | |
Parlamentspräsident Ralf Wieland. Manche unfreiwillig wie eben der | |
anerkannte Umweltpolitiker Buchholz, den die Spandauer SPD aussortierte. | |
Auf der Treppe hat er gerade die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop | |
getroffen, die wie er 2001 erstmals ins Parlament kam und nun nicht wieder | |
kandidiert. Ob sie weiter als Senatorin im Plenarsaal zu sehen ist, hängt | |
von Koalitionsverhandlungen und ihrer Partei ab. | |
Gut eineinhalb Stunden später steht drinnen ein anderer Abschiednehmer am | |
Rednerpult, auch einer, der durchaus gern noch geblieben wäre. Aber | |
Noch-Regierungschef Michael Müller, seit 1996 im Abgeordnetenhaus, | |
kandidiert am 26. September für die Bundestagswahl und kann fast | |
100-prozentig davon ausgehen, dass das funktioniert. „Das ist ja vielleicht | |
gar nicht meine letzte Rede in diesem Haus“, sagt Müller – bis ein neuer | |
Senat steht, bleibt der alte im Amt und damit auch er. In den vorangehenden | |
Reden hat sich seine rot-rot-grüne Koalition bei ihm bedankt, aber auch CDU | |
und FDP haben ihn für Fairness und Vertrauen gelobt. | |
Bettina Jarasch, die als grüne Spitzenkandidatin statt ihrer | |
Fraktionschefinnen spricht, offenbart dabei Richtung Müller: „Ich kann mich | |
noch gut daran erinnern, als wir Tage und Nächte miteinander verbracht | |
haben.“ Gemeint sind die Koalitionsverhandlungen von Ende 2016, im Saal | |
gibt es Gelächter. Als sich hingegen der FDP-Bundesvorsitzende | |
[1][Christian Lindner im vergangenen Jahr ähnlich doppeldeutig] über die | |
Zusammenarbeit mit seiner vormaligen Generalsekretärin Linda Teuteberg | |
äußerte, galt das als Sexismus. | |
## Wansner kommt wieder | |
Einer, bei dem man es altersgemäß anders hätte vermuten können, will | |
weitermachen und ist am Morgen wieder mal gut gelaunt ins Parlament | |
gekommen. Kurt Wansner, bald 74, Lieblingsfeind der Kreuzberger Grünen und | |
dort „Kutte“ genannt, hat zwar keine Chancen auf einen Wahlkreissieg im | |
links-grün-dominierten Bezirk, dürfte aber über die Kandidatenliste seiner | |
Partei erneut ins Abgeordnetenhaus einziehen. Und nicht nur das: Wansner | |
wäre dann nach jetzigem Stand der älteste Parlamentarier und würde die | |
erste Sitzung als Alterspräsident eröffnen. | |
Das soll im November passieren, die Koalition dürfte dann noch nicht stehen | |
– 2016 unterschrieben SPD, Linkspartei und Grüne Anfang Dezember ihren | |
Bündnisvertrag. Die Nachwuchsorganisationen der drei Parteien hatten schon | |
am Vortag angekündigt, dass sie nachmittags vor dem Parlament auf ein | |
„Weiter mit Rot-Rot-Grün“ drängen wollen. Halbwegs realistische | |
Alternativen sind nach aktuellem Umfragestand eine rot-schwarz-gelbe | |
Koalition und ein Ampelbündnis aus SPD, Grünen und FDP. | |
Regierungschef Müller, der also durchaus nach der Wahl noch mal im | |
Plenarsaal zu hören sein könnte, nutzt seine jetzige Rede nach einem | |
Rückblick auf Erfolge vergangener Jahre zu einer Attacke auf die AfD. | |
Konkreter: auf die zur Landeschefin und Spitzenkandidatin avancierte | |
Kristin Brinker. Wie die sich im Parlament gibt, daran hat Müller nichts zu | |
kritisieren. | |
Doch wo sie wirklich steht, will der Regierungschef tags zuvor in einem | |
Radiointerview mit ihr gehört haben. Da habe Brinker auf die Frage, was sie | |
bei einem AfD-Bundesvorsitzenden Höcke machen würde, rumgeeiert statt, wie | |
Müller fordert, klar zu sagen: „Ein Faschist gehört nicht in die Politik, | |
und davon grenze ich mich ab.“ | |
Im Plenarsaal löst das lautstarke gegenseitige Anwürfe aus. Ein | |
AfD-Abgeordnete ruft Müller mit zu einem Trichter geformten Händen gut ein | |
Dutzend Mal „Hetzer“ zu, eine SPD-Parlamentarierin brüllt „Faschisten“ | |
Richtung AfD. Nachdem sich der Trubel gelegt hat und Müller noch ein paar | |
eigenlobende Worte für Berlin als Wissenschaftsstandort findet – er ist | |
auch der zuständige Senator –, gehen seine letzten Worte nicht an die rund | |
150 Abgeordneten im Saal, sondern an alle 2,5 Millionen Berliner | |
Wahlberechtigten: „Bitte gehen Sie zur Wahl – und wählen Sie eine | |
demokratische Partei.“ | |
16 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/heftige-kritik-an-lindner-nach-herrenwi… | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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