# taz.de -- Spitzenkandidatin der Berliner SPD: Franziska Giffey first | |
> Mit ihrem auf die Spitzenkandidatin zugeschnittenen Wahlkampf hat die SPD | |
> Erfolg. Was, wenn die nach der Wahl eine Koalition mit CDU und FDP | |
> anstrebt? | |
Bild: Franziska Giffey besucht in Berlin das Anne Frank Zentrum in den Hackesch… | |
BERLIN taz | Zehn Jahre ist es jetzt her. Im September 2011 fuhr die grüne | |
Spitzenkandidatin Renate Künast mit dem Fahrstuhl im Roten Rathaus in den | |
vierten Stock, um die Koalitionsverhandlungen mit Klaus Wowereit und seiner | |
SPD zu beginnen. Mit dabei war auch Bettina Jarasch, damals eine von zwei | |
Landesvorsitzenden der Berliner Grünen. Noch am selben Tag sollten die | |
Verhandlungen platzen. Der Verzicht auf den Weiterbau der Stadtautobahn | |
A100 war für Wowereit eine rote Linie gewesen. | |
Die Grünen waren schockiert. Wowereit habe statt Koalitionsverhandlungen | |
nur „Kapitulationsverhandlungen“ geführt, sagte Renate Künast nach dem | |
Abbruch der Gespräche im ZDF-„Morgenmagazin“. „Ich habe solche | |
Verhandlungen noch nie erlebt.“ Das Ziel der SPD sei es gewesen, „dass die | |
Grünen die Nerven verlieren“. Kurze Zeit später begann Wowereit mit der CDU | |
zu verhandeln. Berlin bekam das, was viele Genossinnen und Genossen ganz | |
bestimmt nicht wollten – eine Neuauflage der Großen Koalition. | |
Kapitulationsverhandlungen durch die SPD: Das ist ein Szenario, das immer | |
mehr Grüne und Linke auch nach der Wahl am 26. September nicht | |
ausschließen. Aber würde die SPD-Basis da mitmachen? Würde sie diesmal | |
sogar eine Deutschlandkoalition mit CDU und FDP absegnen, nur damit ihre | |
Spitzenkandidatin Franziska Giffey nicht mit Grünen und Linken koalieren | |
muss? | |
Über ein solches Szenario mag Giffey selbst natürlich nicht reden. [1][Im | |
taz-Talk am 9. September] sagte sie lieber, es gehe in Wahlkämpfen nicht um | |
Koalitionen, sondern darum, für die eigenen Inhalte zu kämpfen. Giffey | |
first, gewissermaßen, alles andere sieht man dann nach der Wahl. Allerdings | |
gibt es eine verblüffende Parallele zwischen 2011 und 2021. | |
## In den Umfragen vorne | |
Es ist die Art und Weise, wie Sozialdemokraten über Grüne reden. „Ich bin | |
ja eigentlich für Rot-Rot-Grün“, sagt ein gestandener Lokalpolitiker aus | |
einem der Westberliner Bezirke. „Aber wenn man gesehen hat, wie die Grünen | |
in den Monaten aufgetrumpft haben, als sie in den Umfragen vorne lagen, war | |
das befremdlich.“ Vor zehn Jahren, als Künast in den Umfragen noch vor der | |
SPD lag, hieß es bei den Sozis: „Die Grünen können vor Kraft nicht mehr | |
laufen.“ Schon bei den ersten Sondierungsverhandlungen hätten sie über | |
Posten reden wollen. | |
Ausgeschlossen sind neuerliche „Kapitulationsverhandlungen“ also nicht. Und | |
auch die neue SPD-Fraktion muss nicht unbedingt zum Widerstandsnest gegen | |
Rot-Schwarz-Gelb mutieren. Schon 2016 hatte sich Fraktionschef Raed Saleh | |
gerühmt, dass die übergroße Mehrheit der „Neuen“ in der Fraktion auf sein | |
Ticket gegangen sei. Der Fraktionschef als Abgeordnetenmacher und | |
Postenvergeber: Daran dürfte sich auch fünf Jahre später nichts geändert | |
haben. | |
Schaut man sich den Landesvorstand der SPD an, so wird deutlich, dass | |
Giffey und Saleh auch dort keinen Widerstand zu befürchten haben. Dies ist | |
umso bedeutender, als es exakt dieses Gremium ist, das der Partei | |
empfiehlt, mit wem Sondierungs- oder Koalitionsverhandlungen aufgenommen | |
werden. Eine Ausnahme aber gibt es. Sollten vier Kreisverbände die | |
Einberufung eines Landesparteitages fordern, muss dieser stattfinden. Aber | |
wer sollten diese vier Kreisverbände sein? | |
Als Fraktionschef Saleh und Spitzenkandidatin Giffey bei der Aufstellung | |
der Liste für die Wahl zum Bundestag den Durchmarsch planten, kam es zum | |
Machtkampf mit den sechs als links geltenden Kreisen | |
Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg, Steglitz-Zehlendorf, | |
Charlottenburg-Wilmersdorf, Lichtenberg und Mitte. Das Ergebnis war ein | |
Kompromiss, der auch dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller das | |
Gesicht wahren ließ. | |
## Wahlkampf für die Spitzenkandidatin | |
Eine ähnlich rebellische Stimmung ist derzeit allerdings nur bedingt | |
auszumachen. „Wir machen Wahlkampf für die SPD, unsere Spitzenkandidatin | |
ist Franziska Giffey“, sagt eine Sozialdemokratin, die in einem der sechs | |
linken Kreise für ein Abgeordnetenhausmandat kandidiert. Jetzt schon | |
Szenarien über mögliche Koalitionen anzustellen sei zu früh. „Das machen | |
wir dann nach dem 26. September, wenn die Wählerinnen und Wähler | |
entschieden haben.“ | |
Und die CDU? Ist die nicht den Sozialdemokraten ein rotes Tuch? Nicht nur | |
im Bund, sondern auch in Berlin, wo es seit der Wende gleich vier Große | |
Koalitionen gab? Nein, sagt die Sozialdemokratin. „Wir haben inzwischen so | |
viele neue Mitglieder, denen das überhaupt nichts sagt. Die wollen | |
möglichst viele sozialdemokratische Inhalte durchsetzen. Mit wem, spielt da | |
nicht unbedingt die entscheidende Rolle.“ | |
Hinzu kommt, dass sich die Vorstände der Kreisverbände im Februar kommenden | |
Jahres zur Wiederwahl stellen müssen. „Die Wahlen im September können da | |
auch zu Verschiebungen der Kräfteverhältnisse führen“, heißt es in einem | |
der linken Kreisverbände. „Die Kreisvorstände müssen also flexibel sein.“ | |
Offene Kritik an Giffey und ihrem Blinken nach rechts äußern derzeit nur | |
wenige Sozialdemokraten. Als Giffey die Enteignungen als eine rote Linie | |
bezeichnete, sagte die ehemalige Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose, | |
die in Mitte in den Bundestag will, dem RBB: „Das als rote Linie für eine | |
Koalition zu definieren, ist jedenfalls nicht der Beschluss der SPD – auch | |
wenn es vielleicht die Präferenz unserer Spitzenkandidatin an dieser Stelle | |
ist.“ | |
Andere äußern sich eher hinter vorgehaltener Hand. Dass die Partei in den | |
Umfragen derzeit vorne sei, liege auch an der Geschlossenheit. „Es ist vor | |
allem die Parteilinke, die durch ihr Stillhalten für diese Geschlossenheit | |
sorgt“, sagt ein Genosse. „Das kann aber nach der Wahl wieder vorbei sein.�… | |
Soll heißen. Der Burgfrieden hält, solange Franziska Giffey nicht ausschert | |
und die Partei, die immer noch als mehrheitlich links gilt, mitnimmt. | |
„Falls nicht“, sagt der Genosse, „werden wir einen Sonderparteitag | |
einberufen.“ | |
Wenn er denn die nötigen Hürden nimmt. Vielleicht gibt es | |
Kapitulationsverhandlungen ja nicht nur gegenüber Grünen und Linken, | |
sondern auch gegenüber der eigenen Partei. | |
17 Sep 2021 | |
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[1] /Berlins-Spitzenkandidatinnen-3/!5794491 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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