# taz.de -- Franziska Giffeys Erfolgsrezept: Marianne Rosenberg der Politszene | |
> Die Spitzenkandidatin der SPD macht Wahlkampf für ganz Berlin. Logisch, | |
> dass die Coolen in Kreuzberg das nicht verstehen. | |
Bild: Adrett lächelnd in Pink: SPD-Spitzenkandidatin Giffey | |
Unklar ist, ob, aus der Perspektive von Grünen und Linken, die Verstörung | |
ob der [1][Umfragehochs für Franziska Giffey] nur gespielt ist oder | |
wirklich empfunden wird. Die Klagen gehen in jüngerer Zeit so, wahllos | |
zitiert aus einer Fülle von grünalternativen und linken | |
Meinungsbekundungen: Was? – wie sieht die denn aus? Oder: Bitte? – mit | |
diesem Nichts an politischem Aufbruch will die es schaffen? Auch: Empörend, | |
wie sie die Notwendigkeit einer Klimakrisenpolitik einfach übersieht! Auch | |
dies ist zu hören: Das kann doch nicht wahr sein – so rechts, so wenig | |
klimafreundlich! Summa summarum: Wie schafft es die SPD mit ihr an der | |
Spitze an der Spitze der Umfragen zur Abgeordnetenhaus zu liegen. | |
Dabei ist die Antwort einfach, so simpel, wie man auch all den bürgerlichen | |
Medien hätte vor 20 Jahren sagen können, dass Klaus Wowereit keineswegs | |
wegen seines Schwulseins ([2][„Und das ist auch gut so!“]) im | |
schrebergärtnisch strukturierten Berlin abgelehnt wird, sondern womöglich | |
gerade gemocht. Wowereit war nicht in Berlin-Mitte beliebt, dafür in den | |
Randlagen Berlins, gerade die älteren Frauen, echte Westberlinerinnen, | |
suchten seine Nähe: Ach, prima (Schwieger-)Sohn. | |
Giffey, die anders als [3][Klaus Lederer] (Linke) und [4][Bettina Jarasch] | |
(Grüne) von einer zur anderen Sekunde in ein keineswegs angelernt | |
klingendes Berlinerisch umschalten kann, ist aktuell hochbeliebt – und wenn | |
nicht noch ein Wunder geschieht (aus der Perspektive der | |
Koalitionspartner*innen der SPD im jetzigen Senat), wird sie die | |
nächste Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Und zwar nicht trotz, | |
sondern wegen ihrer volkstümlichen Art. | |
Man muss es den verbitterten Wahlkämpfenden der Grünen einfach nochmals | |
sagen: [5][Kreuzberg, Friedrichshain und Schöneberg sind Teile von Berlin]. | |
Wer da lebt, hört anspruchsvolle Musik, geht, so hat es den Anschein, gern | |
Kulturellem ohnehin nach, isst tendenziell vegan und spricht wahnsinnig | |
wach und woke. Giffey, ganz perfekte Schülerin ihres Mentor, des im | |
Gegensatz zu Thilo Sarrazin keineswegs in Neukölln rassistisch | |
wahrgenommenen Heinz Buschkowsky, weiß das alles – und macht Wahlkampf im | |
ganzen Berlin. Sagt, dass sie das Auto nicht aus den belebteren Vierteln | |
ausschließen will und dass sie das Gespräch zur Wohnungsfrage sucht, | |
[6][nicht die enteignungdrohende Konfrontation]. So eine liebt das | |
gewöhnliche Berlin, klar: Da will eine ein bisschen ändern, aber das | |
Bestehende nicht kulturkämpferisch antasten. | |
## Dit is doch den Berlinern ejal | |
Dass sie aus der Perspektive von ‚coolen‘ Kreuzbergleuten kreischig | |
aussieht und sich so auch anhört, ist ihr größter Trumpf: ein Ausweis von | |
Volksnähe, was nicht jeder in ihrer Partei, der SPD, drauf hat, Michael | |
Müller, der in den Bundestag wechselnde Bürgermeister, beweist dies. Ein | |
Glücksfall für Giffey war natürlich auch, dass Bettina Jarasch von ihren | |
Grünen schwer gedemütigt wurde, als sie dafür mit steifsten | |
Volkserzieher*innenlippen darauf hingewiesen wurde, dass man sich | |
gefälligst von Träumen aus Kindertagen zu distanzieren habe, | |
Indianerphantasien, Sie wissen schon. | |
Dass Giffey nicht härter kritisiert wird, ja unmöglich ist, [7][weil ihr | |
der Doktortitel aberkannt wurde] und die Masterarbeit akademischer Art auch | |
nicht ganz astrein selbst erarbeitet scheint: Dit is doch den Berlinern | |
ejal – Uni ist Uni, und das Leben ist das Leben. Giffey ist die Marianne | |
Rosenberg der aktuellen Politszene, fröhlich, ein wenig glamourös, durchaus | |
nicht unernsthaft; Jarasch hingegen die Liedermacherin, sagen wir: | |
verdüsternd-problembewusst, strukturell spaßbremsig – und damit | |
anstrengend, Typus Lehrerin mit viel zu hohem Anspruch. Sie, die | |
Sozialdemokratin, ist eine, in die man sich verlieben kann – ihre | |
Konkurrentin gebührt nur: Respekt. Alles viel zu richtig und streng. | |
23 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /SPD-Kandidatin-Giffey-in-Berlin/!5800206 | |
[2] /Pride-Month-und-Klaus-Wowereit/!5775339 | |
[3] /taz-Talk-Berlin-Wahl-mit-Klaus-Lederer/!5799105 | |
[4] /Gruene-Jarasch-ueber-Berliner-Wahlkampf/!5794582 | |
[5] /Vom-Ostseeurlaub-nach-Berlin/!5799933 | |
[6] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!5798017 | |
[7] /FU-entzieht-Giffey-den-Doktortitel/!5774467 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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