# taz.de -- Berliner Koalitionsoptionen: Richtig links wählen | |
> Laut den Umfragen sind in Berlin drei Dreierkoalitionen denkbar. | |
> Strategisches Wählen ist dabei eine interessanter Gedanke, aber auch sehr | |
> riskant. | |
Bild: Rot? Oder grün? Oder ist ihr Schwarz doch näher? SPD-Spitzenkandidatin … | |
Rot-Schwarz-Gelb? Rot-Grün-Gelb? Also Deutschland-Koalition oder | |
Ampelbündnis? Oder doch weiter Rot-Rot-Grün, vielleicht bloß unter grüner | |
Führung, Grün-Rot-Rot also? | |
Auch unmittelbar vor der Abgeordnetenhauswahl an diesem Sonntag ist völlig | |
offen, wer künftig in Berlin zusammen regieren wird. Umso mehr, nachdem der | |
bis 2014 amtierende langjährige Regierungschef Klaus [1][Wowereit jüngst | |
über seine SPD] gesagt hat, dass die ihrer Spitzenkandidatin Franziska | |
Giffey ein Bündnis mit CDU und FDP nicht durchgehen lassen würde. | |
Diese sogenannte Deutschland-Koalition scheint nämlich die Wunschoption | |
der SPD-Spitzenkandidatin und Ex-Bundesfamilienministerin Giffey zu sein, | |
deren Partei seit Mitte August alle Umfragen in Berlin teils deutlich | |
anführt. Zu sehr ähneln sich [2][Giffeys Aussagen] und die von | |
[3][CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner], gerade bei den zentralen Themen | |
Verkehr und Wohnungsbau. Im taz-Talk äußerten sich die beiden zudem an | |
aufeinanderfolgenden Abenden kürzlich teils wortgleich zu Sicherheit und | |
einer Randbebauung des Tempelhofer Felds. | |
Giffeys Verhältnis zur Linkspartei wiederum kann man als zerrüttet | |
betrachten, nachdem ihr deren Landesvorsitzende Katina Schubert | |
„allgemeines Blabla“ vorgeworfen und sie als [4][„Populistin“] bezeichn… | |
hat. Giffey wiederum vergrätzte den Noch-Koalitionspartner der SPD, indem | |
sie eine Koalition mit Enteignungsunterstützern ausschloss. Die Linkspartei | |
unterstützt das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen. | |
Mit der Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, selbsternannte | |
Brückenbauerin und nach eigener Einschätzung keine Linksradikale, dürfte | |
Giffey zwar auskommen, weit weniger aber mit dem grünen Wahlprogramm, das | |
deutlich mehr als das der SPD auf Klimaschutz setzt. | |
Wowereits Einschätzung – „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie [Giffey; | |
d. taz] das in der SPD durchsetzen kann“ – fiel in einem Interview mit dem | |
Tagesspiegel und ist durchaus gewichtig. Zwar war der Ex-Regierungschef nie | |
selbst SPD-Landesvorsitzender. Aber er erreichte fast immer, dass seine | |
Partei seinen Kurs unterstützte, sogar als er gegen den Willen der | |
Parteibasis 2011 rot-grüne Koalitionsgespräche am Streit über die A 100 | |
scheitern ließ und danach mit der CDU zusammenging. | |
Doch seither ist die Berliner SPD erkennbar nach links gerückt. Bei einem | |
[5][Parteitag Ende 2019] gelang es dem damaligen Landesvorsitzenden und | |
Wowereit-Nachfolger Michael Müller nur noch mit großer Mühe, ein Nein zur | |
Enteignung großer Wohnungsunternehmen durchzusetzen. Obwohl alle | |
Führungsfiguren inklusive Müller, Giffey und Innensenator Andreas Geisel | |
inständig gegen Enteignung redeten, reichte es nur zu einem Ergebnis von | |
137 zu 97. Fast alle jüngeren Redner vertraten eine andere Haltung als die | |
Parteiführung und kramten teils den demokratischen Sozialismus aus der | |
Parteiprogrammatik – es wirkte wie ein letzter Sieg der älteren Generation | |
gegen eine jüngere, linkere. | |
Darum ist nicht ausgeschlossen, dass eine in diese Richtung neigende SPD | |
selbst einer erfolgreichen Spitzenkandidatin ein Bündnis mit der CDU | |
verweigern wird. Zumal es ja einen Kompromiss zwischen einer solchen | |
Deutschland-Koalition und dem mutmaßlich von Giffey abgelehnten „Weiter so“ | |
mit Rot-Rot-Grün gibt: eine Ampelkoalition, bei der die SPD-Linke die FDP, | |
Giffey hingegen die Grünen akzeptieren müsste. | |
Wie aber lässt sich am Sonntag mit nur einer von bis zu 2,5 Millionen | |
Zweitstimmen, die über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses | |
entscheiden, strategisch Einfluss auf die künftige Koalition nehmen? | |
Strategisch bedeutet hier: nicht die eigene oder favorisierte Partei zu | |
wählen, sondern sie über Bande zu unterstützen, durch eine Stimme für eine | |
andere Partei. Grundsätzlich gilt: Dieser Weg ist risikoreich, weil er rein | |
faktisch der eigenen Partei eine Stimme nimmt – und was passiert dann, wenn | |
alle meinen, auf diese Weise strategisch abstimmen zu müssen? | |
Das betrifft beispielsweise den sichersten Weg, eine Regierungsbeteiligung | |
der CDU zu verhindern, die derzeit in den Umfragen hinter der SPD mal auf | |
Platz 2, mal auf Platz 3 liegt. Die wäre skurrilerweise genau dann | |
ausgeschlossen, wenn die Christdemokraten am Sonntag stärkste Partei | |
würden. Denn Franziska Giffey mag erwägen, mit der CDU zu koalieren, aber | |
auf keinen Fall als Juniorpartnerin eines Regierenden Bürgermeisters Kai | |
Wegner. | |
Ihre SPD könnte nämlich auch als Zweitplatzierte der Wahl in der Lage sein, | |
eine Koalition zu anführen – dann eben eine Ampel oder doch Rot-Rot-Grün. | |
Die Christdemokraten blieben dann dort, wo sie jetzt sind: in der | |
Opposition. Denn nirgendwo ist festgelegt, dass jene Partei den | |
Regierungschef oder die Regierungschefin stellen muss, die am Wahlabend die | |
stärkste ist. Sonst hätte etwa Helmut Schmidt weder 1976 noch 1980 | |
Bundeskanzler bleiben können – beide Male waren CDU/CSU stärker als seine | |
SPD. | |
Mit einigen zusätzlichen Stimmen für die CDU ließe sich also eine | |
Deutschland-Koalition ausschließen – die ja genau genommen gemäß der | |
Farbfolge auf der Flagge Uganda-Koalition heißen müsste. Wie aber ließe | |
sich Einfluss nehmen auf ein fortgesetztes Bündnis von SPD, Linkspartei und | |
Grünen, allerdings unter grüner Führung als Alternative zu einer | |
rot-grün-gelben Ampel? | |
Das ist knifflig: Die Grünen als Wahlsieger könnten zwar eine Koalition mit | |
SPD und Linkspartei anführen. Doch daraus wird nichts, wenn die SPD zwar | |
schwächer abschneidet als die Grünen, aber immer noch stark genug, um mit | |
CDU und FDP zu koalieren. Da mag die SPD-Basis noch so weit nach links | |
gerückt sein: Es ist in der bundesdeutschen Wahlhistorie kein einziger Fall | |
bekannt, in dem eine Partei auf die Möglichkeit verzichtet hätte, selbst | |
eine Koalition anzuführen, statt bloß Juniorpartner zu sein. | |
Grün-Rot-Rot ist nur dann sicher, wenn sich so viele Stimmen hin zu den | |
Grünen verschieben, dass die SPD letztlich zu schwach abschneidet, um ein | |
Bündnis mit CDU und FDP bilden zu können. | |
Das aber zeigt die Schwierigkeit solcher strategischen Überlegungen auf: | |
Jeder und jede hat nämlich nur eine einzige Zweitstimme. Die CDU zur | |
stärksten Kraft machen und damit im Senat zu verhindern und gleichzeitig | |
die Grünen nach vorne bringen, um das Linksbündnis fortzusetzen – das geht | |
nicht. | |
Dass hier überhaupt von drei möglichen Koalitionen die Rede ist, mag beim | |
Blick auf die jüngsten Umfrageergebnisse irritieren. Denn weder eine Ampel | |
noch eine Deutschland-Koalition kommt darin auf eine absolute Mehrheit der | |
Stimmen. Das schafft nur Rot-Rot-Grün. Nach jetzigem Stand werden aber 12 | |
bis 13 Prozent der Stimmen unter den Tisch fallen, weil die damit gewählten | |
Parteien an der Fünfprozenthürde scheitern werden. Nur aus dem Rest, also | |
87 bis 88 Prozent, werden tatsächlich Parlamentssitze. Bleibt es dabei, | |
reichen für eine Koalition bloße 45 Prozent – eine Deutschland-Koalition | |
kommt aktuell auf 46 bis 47. | |
Was folgt also unterm Strich aus all diesen strategischen Überlegungen? | |
Sich auf die eigene Partei konzentrieren und sie wählen beziehungsweise | |
die, die am wichtigsten erscheint. Sozusagen mit dem Herzen wählen, auch | |
wenn es nicht links schlägt – es muss ja nicht unbedingt so eckig sein wie | |
das in der SPD-Wahlwerbung. | |
25 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-ehemaliger-regierender-buergerme… | |
[2] /taz-Talk-zur-Wahl-mit-Franziska-Giffey/!5799976 | |
[3] /taz-Talk-Berlin-Wahl-mit-Kai-Wegner/!5799878 | |
[4] /Linkenchefin-ueber-Berliner-Wahlkampf/!5795647 | |
[5] /SPD-Berlin-gegen-Enteignungen/!5633477 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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