Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- TV-Runde zur Abgeordnetenhauswahl: Sextett statt Triell
> In der RBB-“Wahlarena“ treffen die Spitzenkandidaten der im Parlament
> vertretenen Parteien aufeinander. Klare Gewinner sind dabei nicht
> auszumachen.
Bild: Das Spitzenkandidaten-Sextett samt Moderatoren im Backstein-Ambiente des …
Berlin taz | Das ist echt Einsatz. Eine Stunde vorher da sein, ein, zwei
Minuten die eigene Frontfigur bejubeln und ein bisschen Aufmerksamkeit
bekommen, um dann wieder nach Hause zu gehen und nur im Fernsehen
mitzubekommen, was weiter passiert. Dieses Schicksal teilen am
Dienstagabend knapp zwei Dutzend Grüne und, doppelt so stark vertreten, der
CDU-Nachwuchs Junge Union. Schauplatz: Die Event-Location E-Werk in Mitte
zwischen Wilhelm- und Mauerstraße, in der an diesem Abend die
Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl bei der RBB-“Wahlarena“
aufeinander treffen.
Ein „Sie kommt!“ eines Vorpostens kündigt die Grüne Bettina Jarasch, die
laut bejubelt wird. CDU-Mann Kai Wegner wiederum erwartet von seinen Leuten
ein skandiertes „Neustart Berlin“ – wobei sich das „Neustart“ mal ein
bisschen wie „Deutschland“ anhört, mal wie „Neustaat“, Titel eines Buc…
von Wegners Parteifreund Thomas Heilmann. Aber nein, versichert Wegners
Pressesprecher, das sei alles „Neustart“.
Die anderen vier Teilnehmer – Franziska Giffey (SPD), Klaus Lederer
(Linkspartei), Sebastian Czaja (FDP) und Kristin Brinker (AfD) –, müssen
ohne eigenen Fanclub auskommen. Wobei: Begrüßt wird Brinker durchaus.
„Alerta Antifascista“, rufen die Grünen im Rückgriff auf einen Slogan der
Antifa-Bewegung. Und in Ermangelung eigener Unterstützer erbarmen sich die
Grünen auch des Linkspartei-Spitzenkandidaten Lederer: Den beklatschen sie
und ermutigen ihn, mit Rot-Rot-Grün weiter zu machen – was vergangene Woche
schon die Nachwuchsorganisationen von SPD, Linkspartei und Grünen von ihren
Mutterparteien forderten.
Die folgenden zwei Stunden drinnen legen allerdings nahe, dass es nicht in
Lederers Hand liegt, ob es mit Rot-Rot-Grün weiter geht. Drinnen heißt: In
dem Fernsehstudio, das der RBB im Backsteinlook des E-Werks – früher
Umspannwerk und Techno-Club – eingerichtet hat, und wo die sechs Kandidaten
nun an Stehtischen vor 75 Zuschauern stehen.
## Unterhaltsam trotz sperrigen Formats
Denn bei den Themen Enteignung, Randbebauung des Tempelhofer Felds und
Videoüberwachung liegen Lederers Linkspartei und die derzeit in den
Umfragen führende SPD von Giffey weit auseinander.
Der Abend verläuft überraschend unterhaltsam angesichts des sperrigen
Formats, sechs Spitzenkandidaten der besseren Vergleichbarkeit halber zu
allen Themen zu Wort kommen zu lassen. Zeitweise entwickelt sich zumindest
kurz ein Dialog zwischen den drei Frauen und drei Männern an den
Stehtischen. Die Fragen kommen dabei, teils nach kurzen einführenden
Filmen, vorwiegend von Zuschauern. Wobei die Einspieler allerdings teils
arg zuspitzen: Ein zwischen Kladow an der äußersten südwestlichen
Stadtgrenze und Treptow zur Arbeit pendelnder SUV-Fahrer als Beispiel für
eine nicht optimale Verkehrsinfrastruktur auszusuchen, wirkt nicht ganz
glücklich.
Auffällig unauffällig gibt sich an diesem Abend AfD-Kandidatin Brinker, von
Regierungschef Michael Müller (SPD) vergangene Woche im Parlament noch hart
wegen fehlender Abgrenzung zur Parteiströmung „Flügel“ kritisiert. Kein
Wort kommt nun von ihr zu Flüchtlingen und Asylbewerbern. Und als erste
Aktion nach der Wahl würde sie sich als Regierungschefin ganz nüchtern den
Landeshaushalt angucken.
Auch was Brinker über Radverkehr sagt, klingt so anders als das
AfD-Wahlprogramm, das vor einer „ideologischen Überdimensionierung des
Radverkehrs“ warnt und wo nur allgemein von gefahrlosen Fuß- und Radwegen
die Rede ist: Von Radrouten durch Nebenstraßen spricht Brinker stattdessen
– so etwas aber steht nicht in ihrem Wahlprogramm, sondern in dem von FDP
und CDU. Doch Widerspruch im Stile von Müllers Kritik von vergangener Woche
regt sich an den Nachbartischen nicht.
## Pressesprecher könne glätten
Als Journalist sitzt man derweil nicht im Studio, sondern im sogenannten
„Pressezentrum“, zwei eher sterilen Nebenräumen im Obergeschoss, wo man das
Ganze im Fernsehen verfolgen kann, wie mutmaßlich die inzwischen längst
abgezogenen Grünen- und CDU-Unterstützer. Immerhin sitzen im Raum auch die
Presseleute der Kandidaten – was den Vorteil hat, schnell nachfragen zu
können, ob diese oder jene Aussage nun ein neuer Dreh ist.
Etwa, als Klaus Lederer zum Tempelhofer Feld sagt, angesichts von Platz für
200.000 Wohnungen an anderer Stelle sei das Feld „nicht das Erste, was wir
bebauen müssen.“ Nicht das Erste? Aber vielleicht das Zweite oder Dritte?
Die Parteisprecherin schüttelt den Kopf und verweist aufs Wahlprogramm der
Linkspartei, wo über das Feld steht: „Als Ganzes frei zu halten.“
Beim Thema Videoüberwachung, wo die Moderatoren Differenzen zwischen SPD
und FDP erwarten, gibt es hingegen zwischen zwei möglichen Partnern einer
künftigen rot-schwarz-gelben Koalition keine Kluft. Mit der Einschränkungen
„temporär“ hat FDP-Spitzenkandidat Czaja kein Problem mit der Überwachung,
über die SPD-Frau Giffey sagt: „Da muss jedes Mittel genutzt werden.“
## Klimaschutz kommt nicht vor
Fazit nach 90 Minuten: Duelle sind spannender als solche Sechser-Runden,
aber dazu ist die Lage vor der Abgeordnetenhauswahl zu unklar. Giffey liegt
zwar derzeit vorne, in manchen Umfragen auch deutlich. Aber wer hätte ihr
gegenüber stehen sollen? Mal lagen in den jüngsten Umfragen die Grünen auf
Platz zwei, mal die Christdemokraten. Und auch Lederers Linkspartei war
Ende August mit 15 Prozent nicht wirklich abgeschlagen.
Eine Frage bleibt an diesem Abend ungestellt: Mit wem vor allem Franziska
Giffey am liebsten regieren würde. Andererseits: Ebenso oft wie fast alle
anderen ihre Präferenzen schon klar gemacht haben, hat Giffey in den
vergangenen Wochen retourniert, dass sie auf „SPD pur“ setzt.
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hat ganz anderes vermisst: „Über
Klimaschutz haben wir gar nicht gesprochen“, sagt sie der taz nach der
Sendung, „dazu hätte ich eine Menge sagen können“ – das Thema ist ja au…
Punkt 1.1 im Grünen-Wahlprogramm. Und während andere Kandidaten nun mit dem
Auto nach Hause fahren, macht sie sich mit ihrem Sprecher durch den gerade
pausierenden Nieselregen zu Fuß auf den Weg.
22 Sep 2021
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Abgeordnetenhauswahl 2021
Bettina Jarasch
Franziska Giffey
Abgeordnetenhaus
Schlagloch
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Die Linke Berlin
Bettina Jarasch
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Medien nach der Bundestagswahl: Transformative Zeiten
Die traditionellen Medien scheitern daran, sich in Ton und Inhalten zu
öffnen. Eine mediale Kompletterneuerung ist angesagt.
+++ Wahlen in Berlin +++: Enteignung und Giffey vorn
Franziska Giffeys SPD gewinnt die Abgeordnetenhauswahl. Für DW Enteignen
zeichnet sich ein deutlicher Sieg ab. Alle News im Ticker.
Tops und Flops des Berliner Wahlkampfs: Wahlspektakel oder Wahlkrampf?
Die CDU über ihrem Niveau, die NPD kurz vor der Todesstrafe, rot-roter Zoff
und Giffey-Wegner-Bingo. Das waren die Highlights des Wahlkampfs.
Linken-Spitzenkandidat im Wahlkampf: Lederers Schiff fehlt der Dampf
Berlins Kultursenator erhält viel Lob; bei einer Schiffstour stellt er neue
Projekte vor. Als Spitzenkandidat ist er von einem Erfolg aber weiter
entfernt denn je.
Neue Umfrage für Berlin-Wahl: Grüne und SPD gleichauf
Die Forschungsgruppe Wahlen sieht die SPD bei 21 Prozent, die Grünen bei
20. Damit ist ein Sieg von Franziska Giffey nicht mehr sicher.
Spitzenkandidatin der Berliner SPD: Franziska Giffey first
Mit ihrem auf die Spitzenkandidatin zugeschnittenen Wahlkampf hat die SPD
Erfolg. Was, wenn die nach der Wahl eine Koalition mit CDU und FDP
anstrebt?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.